Die gordischen Knoten platzen *4*

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Die nächsten Tage verliefen ruhig, bis Milan am letzten Ferientag mit einer wichtigen Nachricht unerwartet vor Alanys Tür auftauchte.

„Was machst du denn hier?", fragte Alany neugierig, doch Milan hatte sie bereits an der Hand gefasst und ins Freie gezogen.

„Ich hab mich in Mariahs Krankenzimmer geschlichen und sie gebeten, dir einen Besuch zu erlauben. Zunächst war sie etwas pampig, aber letztendlich hat sie mir versichert, dass sich freuen würde, dich zu sehen." Milan zwinkerte verschwörerisch. 

„Ich bin mir nicht so sicher, ob das eine gute Idee war", antwortete Alany vorsichtig. „Vielleicht hat Mariah sich unter Druck gesetzt gefühlt und deshalb zugestimmt."

Milan schüttelte den Kopf. „Vertrau mir, sie möchte wirklich mit dir sprechen. Allerdings erst am Nachmittag, vorher spricht nochmal eine Psychologin mit ihr. Wie wär's, wenn ich dich solange  ins Café einlade, um deine Bedenken zu zerstreuen? Es ist herrlich warm und Fredo's hat die besten Milchshakes in der ganzen Stadt."

Alany grinste in sich hinein. Wie schaffte Milan es bloß, ihr stets das Gefühl zu geben, die Welt könne getrost explodieren, solange er nur bei ihr war? 

                                                             *

Im hübschen Café in der Innenstadt angekommen, bestellte Milan drei verschiedene Kuchensorten (Schoko-, Käse und Obstkuchen), damit Alany sich nicht entscheiden musste und die besten Erdbeermilchshakes, die sie je gekostet hatte. Während Alany und Milan das gleiche Kuchenstück in Angriff nahmen, verfingen sich ihre Gabeln, worüber beide herzlich lachen mussten. Milan sprach weder die Problematik um ihre Mutter noch die um Mariah an, weshalb Alany einen sorgenfreien Vormittag erlebte und sich entspannte. So rückten ein Uhr dreißig und damit der Besuchstermin bei Mariah viel zu schnell näher.

Auf dem Weg zum Krankenhaus kam die Sprache nun doch wieder auf Joanna Angel und Mariah.

„Ich bin froh, dass das Rästel um deine Mutter nicht mehr wie ein Damoklesschwert über deinem Kopf schwebt", beendete Milan die Diskussion schließlich, als sie ihr Ziel erreicht hatten, und hielt die Eingangstür des Krankenhauses für Alany auf. Er hatte ihr versichert, dass sich Mariahs Zustand laut seinem Vater nach mehreren Gesprächen mit ihren Eltern und Psychologen gebessert hatte, doch Alany traute dem Braten nicht. Sie erinnerte sich nur zu gut an die letzte Begegnung mit ihrer Cousine, bei der Mariah völlig durch den Wind gewesen war.

„Kopf hoch, Mariah wird dir schon nicht den Kopf abreißen!", munterte Milan Alany auf und griff nach ihrer Hand. „Sie hat deinem Besuchs zugestimmt, deshalb ist es unwahrscheinlich, dass sie noch wütend auf dich ist. Außerdem hat mein Vater durchblicken lassen, dass sie einen großen Schritt in Richtung Genesung gemacht hat."

Alany hoffte, dass Milan Recht behielt. Raschen Schrittes durchquerte sie an seiner Hand die Eingangshalle und steuerte auf den Empfangsschalter zu. Hinter dem Schalter, das Haar streng hochgesteckt und einen blutroten Lippenstift aufgetragen, saß niemand anderes als Karen. Sobald sie Alany erblickte, verfinsterte sich ihr Gesicht. „Habe ich dir nicht deutlich gesagt, mich nicht mehr mit deiner verdorbenen Cousine zu belästigen?", zischte sie und hätte Milan sie nicht abgewürgt, wäre sicher eine Hasstirade über unverschämte Teenager gefolgt.

„Alany hat einen Besuchstermin", schnitt Milan Karen das Wort ab und zeigte auf das Notizbuch, das vor ihr lag. „Bei Mariah O'Callaghan. Schau nach."

Karen fuhr mit ihrem spindeldürren Finger die Zeilen hinunter. Schließlich schien sie Alanys Namen gefunden haben, denn sie schaute mit genervten Gesichtsausdruck auf. „Wenn es so weitergeht, wird das Krankenhaus bald vor die Hunde gehen!", gab sie bissig von sich, nachdem Milan und Alany ihr bereits den Rücken zugedreht hatten. „Man darf nicht zulassen, dass alle drogenabhängigen Teenager hier ein- und ausgehen wie auf dem Jahrmarkt! Und, Chefarztsohn..."

Sichtlich widerwillig drehte Milan sich um.

„Die Besuchserlaubnis gilt nur für deine kleine Freundin. Was sagt dein Vater eigentlich dazu, dass du dich permanent in die Angelegenheiten der Unterschicht einmischst?"

Alany fühlte Wut in sich aufsteigen und hätte Karen am liebsten einen Faustschlag verpasst, doch Milan legte beruhigend seine Hand auf ihre Schulter.

„Reg dich wegen der blöden Kuh nicht auf!", murmelte er und zog Alany ein Stück weit vom Empfangsschalter weg, sodass Karen nicht mithören konnte. „Es ist tatsächlich besser, wenn du mit Mariah alleine redest. Sie würde sich bestimmt nicht wohl fühlen, wenn eine dritte Person dabei wäre."

Alany spürte, wie die Nervosität von ihr Besitz ergriff. „Aber wir hatten im Cafe abgemacht, dass du die Vermittlerrolle übernimmst", sagte sie leise und sah ihren Freund dabei flehend an. „Mariah und ich sind beide sehr emotional und es kann durchaus sein, dass wir uns ohne Hilfe die ganze Besuchszeit lang anschreien oder vor lauter Schluchzern kein vernünftiges Wort heraus bekommen."

Milan küsste Alany liebevoll auf die Wange. „Ich weiß, dass es schwer ist, aber du wirst es schaffen", munterte er sie auf. 

Alany nickte, bevor sie sich auf den Weg zur Intensivstation machte.

„Mariah?" Vorsichtig öffnete Alany die Tür, halb erwartend, dass sie durch einen fliegenden Schuh oder einen Schwall von Schimpfwörtern begrüßt werden würde. Doch nichts dergleichen geschah.

Mariah saß im Schneidersitz auf ihrem Bett und sah auf, als Alany den Raum betrat. „Hallo", begrüßte sie Alany mit schwacher Stimme und winkte sie herein.

„Hallo." Alany wusste nicht, was sie sagen sollte. Mariah wirkte so... normal. „Wie geht's dir?" Vorsichtig, als würde sie sich an eine giftige Schlange anschleichen, trat Alany näher an das Bett ihrer Cousine.

„So gut wie es einem Durchschnittsmenschen nach Magenauspumpen, zu vielen Begegnungen mit hysterischen Eltern und Dauerbeschallung durch sämtliche Psycho-Tanten eben geht", scherzte Mariah und klopfte auf neben sich aufs Bett. „Ich beiße nicht, komm her!"

Alany befand sich immer noch in Habachtstellung, doch sie folgte Mariahs Einladung. „Ich bin verwirrt", gab sie zu, wobei sie Mariah fragend ansah. „Was haben die Psychologen mit dir gemacht? Du bist viel netter als bei meinem letzten Besuch."

Mariah wiegelte ihren Kopf. „Naja, beim letzten Mal bist du unangemeldet in mein Zimmer geplatzt. Es ist mir peinlich, es zuzugeben, aber meine Eltern haben die Besuchssperre für Alex und dich nicht grundlos eingerichtet, denn ich war ein mentales Wrack. Am liebsten hätte ich die ganze Welt in Schutt und Asche gelegt und besonders dich. Und auf einmal bist du mir nichts, dir nichts in meinem Zimmer aufgetaucht. Mann war ich sauer."

Alany war geschockt. „Du bist auf mich wütend? Was hab ich dir denn getan?" Sie konnte nicht vermeiden, dass sie verletzt klang. 

Sparks/ Amby Awards Shortlist 2023Where stories live. Discover now