Die Sache mit dem Alkohol *4*

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Alany war froh, dass Milan nun das Thema wechselte. Ich unterhalte mich gerne mit dir klang danach, als ob er sie mochte. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob er sie seit ihrem Angriff auf Karen nicht als unreifes Kind abgestempelt hatte. Zögernd schilderte sie ihm Mariahs Benehmen und das Gespräch, das sie mit Jamie über deren Absturz geführt hatte. Die Details von Mariahs ‚Auftritt' in der Schule und die Tatsache, dass ihre beste Freundin Tiana ebenfalls im Krankenhaus lag, sparte sie allerdings aus. Alany schämte sich für Mariahs und Tianas Verhalten und wollte Milan nicht das Gefühl geben, sie hätte nur mit Chaoten zu tun.

„Es kommt vor, dass sich unauffällige Jugendliche"- nun klang Milan wie ein professioneller Sozialarbeiter- „auf einer Party plötzlich nicht mehr unter Kontrolle haben. Viele von ihnen lernen ihre Lektion und sagen anschließend nein zum Saufen. Vielleicht ist deine Cousine gerade in einer schwierigen Phase, die bald vorübergeht. Wenn nicht..."  Milan beendete den Satz nicht und sah stattdessen auf Alanys Hände, die wie Espenlaub zitterten. 

Oh nein, er sollte bloß nicht denken, dass sie zerbrechlich war. „Es ist okay. Ich werd Mariahs Anblick schon verkraften", wandte Alany ein und stand auf. „Kann ich sie besuchen?"

„Bist du sicher, dass du für diesen Schritt bereit bist?", wollte Milan mit ernster Stimme wissen und musterte sie scharf. „Man kann nie vorhersagen, wie Leute, denen gerade der Magen ausgepumpt wurde, reagieren. Es kann durchaus sein, dass Mariah austickt und dich anschreit. Dein Vater hat dir sicherlich nicht ohne Grund verboten, sie zu sehen."          

„Ja, ich bin bereit", antwortete Alany und versuchte dabei mit wenig Erfolg, das Beben in ihrer Stimme zu unterdrücken. 

Milan warf ihr einen zweifelnden Blick zu, widersprach jedoch nicht. „Na gut, komm mit." Flugs sprang er von seinem Stuhl auf und machte sich auf den Weg Richtung Tür. Alany folgte ihm, doch sie konnte nicht widerstehen kurz bei Georg, dem Skelett, zu stoppen, um ihm die Hand zu geben. Augenblicklich fühlte sie sich besser. Für so ein nettes Plastikskelett war sie gerne bereit, ihre Abneigung gegenüber Skeletten abzulegen.

Während sie Milan in ein kleines Büro neben der Eingangshalle folgte, fiel Alany auf, dass er sich außerordentlich gut kleidete. Die Sanitäteruniform stand ihm zwar ebenfalls, doch in seinen eigenen Klamotten sah er nicht so unnahbar aus. Milans Look war gleichzeitig sportlich- aber nicht gammelig, wie es bei vielen Jungen der Fall war- und schick. Zudem wirkte die Kombination aus der dunklen Jeans, dem guns ‚n' roses T-Shirt und dem langen, schwarzen Hemd, das er offen über dem T-Shirt trug, individuell.

„Der Look passt gut zu Milans Charakter", dachte Alany, während Milan eine Sekretärin überredete, im Computer nach Mariahs Zimmernummer zu suchen. „Auf dem Fußballplatz war er zurückhaltend, doch jetzt öffnet er sich." Der Moment, als Milan ihr zum ersten Mal in die Augen gesehen hatte, der Wind, der sanft durch seine Haare gefahren war, seine grünen Augen... Oh nein, dieses Mal würde sie sich nicht in Träumereien flüchten. Milan war real, so real wie noch nie ein Junge zuvor. Und sie würde für ihn kämpfen anstatt sich lediglich in Gedanken eine Beziehung zurechtzuspinnen.

„Wäre", „hätte" und „könnte" gehörten von nun der Vergangenheit an. Sie, Alany Aphrodite O'Callaghan, wartete nicht länger auf einen Prinzen, der im Luftschloss wohnte, sondern verbrachte Zeit mit einem echten Jungen mit Fehlern und Schwächen. Einem Jungen, der sich zum Test in die Bewusstlosigkeit gesoffen hatte. Milan war keine perfekte Kunstfigur, sondern ein Jugendlicher, der leibte und lebte. Und genau diesen Milan mochte sie, keinen Kenverschnitt mit null Lebenserfahrung, in dessen Welt alles perfekt war. Aus diesem Grund verdrängte Alany alle Gedanken an ihre Zukunft mit Milan aus ihrem Kopf, um sich wieder auf die Realität zu konzentrieren.

„3. Stock, Zimmer 207. Deine Cousine liegt zur Überwachung noch auf der Intensivstation, also müssen wir uns auf ihr Zimmer schleichen", eröffnete Milan Alany und klopfte ihr sanft auf die Schulter. Ein sanftes Kribbeln durchfuhr ihren Körper, als er sie berührte. Leider war es viel zu schnell wieder weg.

„Treppe oder Aufzug?", wollte Milan wissen, doch er zog sie bereits mit einem Grinsen zur Treppe. „Reingelegt! Der Aufzug ist seit gestern Nachmittag kaputt", erklärte er.

Alany musste lachen. Sie war dem jungen Sanitäter sehr dankbar dafür, dass er sie von ihrem Kummer ablenkte. Als sie im 1. Stock angelangt waren, merkte sie jedoch, wie sehr ihre Beine zitterten.

„Du wirst den Besuch bei Mariah schon überstehen", versuchte sie sich selbst aufzumuntern, doch es klappte nicht. Stattdessen wurde ihr schwindlig. „Alles in Ordnung?" Vor Alanys Augen tanzte alles, doch Milan hatte ihr bereits unter die Arme gegriffen, sodass sie nicht umkippte.

„Danke, es geht schon wieder", murmelte sie verlegen und hielt sich am Treppengeländer fest. Warum lief bei ihrer ersten richtigen Begegnung mit Milan alles schief? Ihre Cousine lag mit einer Alkoholvergiftung auf der Intensivstation, sie selbst hatte die Empfangsdame angegriffen und zu guter Letzt machte vor lauter Aufregung ihr Kreislauf schlapp. Zumindest hatte Milan sie in seine Arme geschlossen. Alany beschloss, nie mehr über kitschige Filme, bei denen die Frauen zufrieden in die starken Arme des männlichen Protagonisten sanken, zu lästern. 

Endlich hörte Alany auf, zu zittern und fühlte sich imstande, die Treppe ohne Hilfe zu erklimmen. Milan ging dicht hinter ihr, was ihr unangenehm war. Wahrscheinlich fürchtete er, dass sie erneut umkippen könnte. Zu ihrem Glück trafen sie auf keine Ärzte oder Krankenschwestern, als sie leise durch die Tür zur Intensivstation schlüpften, nachdem Milan den Sicherheitscode eingegeben hatte. 

Alany steuerte schnurstracks auf Mariahs Zimmer zu, um Milan ihre Entschlossenheit zu demonstrieren. Vor der Zimmertür angekommen, holte sie dennoch tief Luft und wartete, bis Milan an ihrer Seite war. Sie atmete heftig ein und aus. 

„Möchtest du noch einen Moment..." 

„Nein!" Alany tat es leid, dass sie Milan anschnauzte, doch sie wollte sich nicht länger vor der Konfrontation mit ihrer Cousine drücken. Einer Cousine, die nun zu der Gruppe der Partylöwen und Komasäufer gehörte, um die Alany stets einen großen Bogen gemacht hatte. Konzentration, Hand auf die Klinke und den Fuß über die Türschwelle setzen. Das hatte geklappt. Nun langsam die Augen auf das Bett richten. Zunächst sah Alany niemanden im Bett liegen. Erst als sie näher trat, bemerkte sie, dass Mariah sich die Decke über den Kopf gezogen hatte. Wollte sie in Ruhe gelassen werden oder sich verstecken? Oder war sie noch nicht nüchtern?

Zu Alanys Schrecken ragten Schläuche und Kanülen, die mit dem Körper ihrer Cousine verbunden zu sein schienen, unter der Bettdecke hervor. Alany warf Milan einen unsicheren Blick zu. Er als Sanitäter musste doch wissen, wie man sich in solch einer Situation korrekt verhielt? Milan blieb jedoch im Türrahmen stehen und wartete ab.

„Vielleicht überlässt er mir das Schlachtfeld, weil es sich um eine Familienangelegenheit handelt", dachte Alany. „In dem Fall werde ich tun, was ich für richtig halte." Sie ging vorsichtig auf Mariahs Bett zu und setzte sich auf die Bettkante.                                     

Sparks/ Amby Awards Shortlist 2023Where stories live. Discover now