Sparks/ Amby Awards Shortlist 2023

Prolog

„Wir ziehen aus?" Alany starrte ihren Vater Jamie entsetzt an. Seit sie denken konnte, hatten sie bei Onkel Richard und Tante Caroline gewohnt und nun wollte Jamie von einem Tag auf den anderen ihr Leben umkrempeln. Hatte er noch alle Tassen im Schrank?

Jamie seufzte. „Mir war klar, dass du nicht begeistert sein würdest, Lenny, aber bitte versuch wenigstens, mich zu verstehen."

„Nicht begeistert? Dass ich nicht lache!" Alany stemmte die Hände in die Hüften. Musste ihr Vater sie mit seiner blöden Idee an einem gemütlichen Sonntagnachmittag überfallen? Musste er ihr die Vorfreude auf die Sommerferien, die in einer Woche beginnen würden, nehmen?

„Lenny, bitte hör mir eine Minute lang zu. Begreif doch, es geht um unsere Zukunft!", versuchte ihr Vater sie zu beschwichtigen, doch Alany wandte sich von ihm ab.

Na prima! Anscheinend plante Jamie die gemeinsame Zukunft seit neuestem in Entenmuttermanier und erwartete, dass sie, Alany, das Küken, ihm blindlings nachfolgte. Zählte ihre Meinung denn nicht? Kümmerte es ihn nicht, dass sie bisher mit Onkel Richard als Familienoberhaupt und Tante Caroline als Mutterersatz ein geordnetes Leben geführt hatte?

Alany bezweifelte, dass ihr Vater es schaffen würde, einen eigenen Haushalt zu führen, geschweige denn sich alleine um sie zu kümmern. Musste er es darauf ankommen lassen und es ihr auch noch beweisen?

Klar, Jamie hatte es als minderjähriger Vater nicht leicht gehabt. Als alleinerziehender, minderjähriger Vater wohlgemerkt, denn ihre Mutter hatte sich nach ihrer Geburt aus dem Staub gemacht. Dennoch hatte er sie mithilfe Onkel Richards und Tante Carolines aufgezogen, wofür Alany ihn bewunderte. Doch musste er das Experiment des Auf-sich-allein-gestellt-seins hier und jetzt durchführen? Für Junggesellen mochte das Chaos, das normalerweise entstand, wenn sie flügge wurden, unterhaltsam sein, doch Jamie sollte auch an sie denken, seine Tochter.

Wenn Alany daran dachte, wie überfordert er allein schon mit dem Wäschewaschen wäre! Bisher hatte Tante Caroline diese Aufgabe übernommen und um ehrlich zu sein war Alany sich sicher, dass Jamie sich noch nie auch nur im Entferntesten mit einer Waschmaschine auseinander gesetzt hatte. Und das Kochen! Er benutzte entweder zu viel Salz oder zu wenig, vergaß den Braten im Ofen oder goss aus Versehen Salatöl in die Backmischung. Alles in allem war Jamie für jegliche Art von Hausarbeit ungeeignet und Alany hatte keine Lust, sämtliche häuslichen Pflichten zu übernehmen.

„Könntest du mit deiner männlichen Version der Emanzipation nicht warten, bis ich an die Uni gehe?", bettelte sie und sah ihren Vater flehend an.

Jamies entschlossener Gesichtsausdruck verriet jedoch, dass Protest zwecklos war. „Es ist Zeit auszuziehen, Lenny. Ich kann nicht ewig bei Richard und Caroline wohnen bleiben und dich durchfüttern lassen. Schließlich bin ich kein überforderter Siebzehnjähriger mehr!", rechtfertigte Jamie sich. „Außerdem hab ich den Kaufvertrag für unser Haus bereits unterschrieben."

„Komm schon, Lenny, du darfst uns besuchen, sooft du möchtest!", versuchte Onkel Richard, der gerade rechtzeitig ins Wohnzimmer gekommen war, um ihr Gejammer mitanzuhören, Alany aufzumuntern. Liebevoll verstrubbelte er ihr krauses Haar.

Besuchen, ja. Aber das war nicht dasselbe.

                                                                    *

Nachdem Onkel Richard sich in den Garten verzogen hatte, waren Vater und Tochter wieder allein und lieferten sich ein Feuergefecht mit ihren Blicken. Schließlich fing Alany an zu lachen und ihr Vater stimmte mit ein. Das musste sie ihm lassen: Es war unmöglich, lange böse auf ihn zu sein. Sie freute sich nicht auf den geplanten Auszug, doch fürs Erste war ihre Wut verraucht.

„Gegen unser Leben war Einsteins Gedankengang zur Relativitätstheorie vermutlich der reinste Spaziergang!", scherzte Jamie.

Immer noch lachend schlenderten Alany und Jamie hinaus in den Garten, den Duft des frischen Käsekuchens, den Tante Caroline auf der Terrasse servierte, in der Nase.