Sparks/ Amby Awards Shortlist 2023

Vollcrash ins Leben *2*

In der Pause beschloss Alany, ihre beste Freundin Tiana Manzotti zu suchen. Eigentlich waren Tiana und sie ein Herz und eine Seele, doch es krachte zwischen ihnen häufiger als es in einer gesunden Freundschaft krachen sollte. Zudem herrschte jedes Mal, nachdem die beiden aneinandergeraten waren, für eine gewisse Zeit Funkstille. Alany konnte dafür nichts, denn sie war stets dafür, sich auszusprechen. Tiana hingegen war starrköpfig und weigerte sich manchmal wochenlang, den Streit aus der Welt zu schaffen.

Einmal hatte Tiana mit Ben Lewis ausgehen wollen, einem Muskelprotz aus dem Schwimmteam, den sie heiß fand. Zufälligerweise hatte Ben jedoch Alany angesprochen, um mit ihr über die guten Leistungen ihres Cousins Alex im Langstreckenschwimmen zu reden.

Da Tiana keine Ahnung gehabt hatte, dass a) Alex im Schwimmteam war, b) Ben Alany deswegen angesprochen hatte und c) Ben sich für Jungen interessierte, hatte sie gefolgert, dass Alany ihr die muskulöse Sportskanone  wegschnappen wollte.

Damals hatte Tiana sich einen Monat lang geweigert, mit ihr zu reden. Vor den Sommerferien waren die beiden Freundinnen abermals wegen einer Kleinigkeit aneinandergeraten, doch Alany hoffte, dass Tiana sich mittlerweile beruhigt hatte.

Meist verbrachte die hübsche Halbitalienerin Tiana ihre Pausen in der Nähe der Schulcafeteria, da es dort eine Sitzecke gab. Auf dem Weg dorthin lief Alany im Schneckentempo durch die leeren Gänge, denn insgeheim versuchte sie, das Zusammentreffen mit ihrer Freundin hinauszuzögern. Um die Wahrheit zu sagen, wusste sie nicht, wie sie Tiana begrüßen sollte. Dieses Problem löste sich jedoch von selbst. 

„Ich hatte schon befürchtet du bist über die Sommerferien zur Schulschwänzerin mutiert!", rief Tiana, die wie immer das Haar zurückgebunden, doch die Kniestrümpfe lässig heruntergekrempelt hatte, Alany zu und zog sie neben sich auf die Sitzbank. Anscheinend hatte sie die alte Streiterei vergessen. „Stimmen die Gerüchte, die man sich über Mariah erzählt?", wollte sie begierig wissen und ihre Augen strahlten. 

 „Typisch Tiana", dachte Alany, als sie sich setzte. Auf Skandale war ihre Freundin schon immer scharf gewesen. Kein Wunder, dass Mariahs Auftritt die Auseinandersetzung vom letzten Schultag aus Tianas Gedächtnis gelöscht hatte- wenn sie den Streit nicht schon im Laufe der Sommerferien mental in den Mülleimer geworfen hatte.

Zumindest hatte sich Tiana zu Alanys Erleichterung über die Sommerferien, die sie bei ihren Großeltern in Italien verbracht hatte, nicht verändert. Fürs erste war ihr Leben schließlich genug auf den Kopf gestellt worden. Aufgrund der ordentlichen geflochtenen Zöpfe auf der einen und der Laufmaschen aufweisenden Kniestrümpfe auf der anderen Seite wurde Alany wie immer den Eindruck nicht los, dass ihre beste Freundin zwischen Chaos und Ordnung gefangen war. Tianas Mutter Pauline regte sich über diesen Charakterzug ihrer Tochter auf, doch Alany war äußerst froh, dass ihre Freundin nicht mit dem Strom schwamm.

Leider hatte der Widerspruch in Tianas Charakter nicht nur positive Folgen. Meistens konnte man sich auf sie verlassen, doch manchmal beging sie eine Dummheit nach der anderen oder vergaß die Welt um sich herum. Das verrückteste Beispiel hierfür war Tianas Überraschungsparty zu Alanys vierzehntem Geburtstag gewesen. Tiana hatte viel Zeit darin investiert, Mädchen und Jungen aus ihrer Jahrgangstufe einzuladen, einen Kuchen zu backen, den Partykeller bei sich zu Hause zu dekorieren und Alany mit Hilfe eines selbst angefertigten Kreuzworträtsels zu ihrem Haus zu lotsen. Als Alany angekommen war, hatte sie all das vorgefunden- nur Tiana hatte gefehlt. Die hatte sich danach ununterbrochen entschuldigt und erklärt, sie habe die Party vergessen und sei stattdessen im Kino gewesen.      

„Was ist mit Mariah los?" Tiana riss Alany mit ihrer schrillen Stimme aus ihren Gedanken und zog sie am Ärmel ihres Blazers. „Hat dein Cousinchen vor, die Queen B der Schule zu werden?"

„Vielleicht", startete Alany einen Versuch, ihre Cousine nicht vorschnell zu verurteilen. „Vielleicht hat unser Auszug sie verwirrt. Mariah musste ihr ganzes bisheriges Leben lang auf mich Rücksicht nehmen und ich verstehe, wie schwer..."

„Alany O'Callaghan, du weißt genauso gut wie ich, dass du gerade Scheiße laberst!", schnitt Tiana ihr das Wort ab und warf einigen Fünftklässlern, die neugierig stehen geblieben waren um zuzuhören, einen vernichtenden Blick zu. „Versuch um Himmels willen nicht die dreckige Suppe auszulöffeln, die Mariah sich eingebrockt hat. An der Schule gibt es jede Menge Leute, die nervende Geschwister haben und deswegen nicht gleich durchdrehen. Schau zum Beispiel mich an. Mariah sollte heilfroh sein, dass sie nur Alex und dich zu ertragen hat!"

Alany nickte. Tiana hatte vier ältere Brüder, über die sie sich oft beschwerte. Alany wollte sich lieber nicht vorstellen, wie sie sich fühlen würde, wenn sich andauernd jemand über sie lustig machte. Oder noch schlimmer, ihr permanent über die Schulter schaute, um je nach Lust und Laune den „verantwortungsvollen Beschützer" oder den „Ratschlaggeber in Sachen Jungs" zu spielen. Ein Glück, dass Jamie momentan das einzige männliche Wesen in ihrem Haus war.

„Es redet doch nicht die ganze Schule über Mariahs kleine ‚Show'?", startete Alany nun einen jämmerlichen Versuch, die Einstufung von Mariahs Auftritt als Vollkatastrophe zu verhindern.

Tiana bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen. „Haha, netter Scherz, Alany. Wenn Mariah es darauf angelegt hatte, auf einen Schlag als Skandalnudel bekannt zu werden, hat sie es geschafft. Du solltest dir nicht anhören, was die heißen"- Tiana betonte dieses Wort auf eine Weise, die vor Spott nur so strotzte- „Lederjacken-Typen mit ihren Zigarettenstummeln im Maul für Kommentare abgeben. Wenn man sich mit dem Namen der Jungfrau Maria schmückt und auf eine katholische Schule geht, sollte man lieber keine Karriere als Las Vegas- Showgirl anstreben."

Die Schulglocke schellte. „Versprich mir, dass du Mariah eine reinhaust, wenn du sie das nächste Mal siehst!", rief Tiana Alany zu, bevor sie in einem der Gänge verschwand.

Alany seufzte. Mariahs neue Art sich zu präsentieren würde sicherlich nicht nur ihr selbst eine Menge Scherereien einbringen.