Vollcrash ins Leben *4*

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„Wie war dein erster Schultag?", wollte Jamie von Alany wissen, als er am frühen Abend von seiner Arbeit in der Marketingfirma nach Hause kam. Alanys Meinung nach passte Jamie nicht in ein Büro, doch zumindest trug er keinen öden Anzug. Da Jamies Chef das Motto ‚Wie wollen Sie dem Kunden klar machen, dass sie seine Sportartikel bewerben wollen, wenn Sie selbst so theoretisch aussehen?' vertrat, ließ er seinen Mitarbeitern bei der Kleiderwahl viel Freiraum.

„Schon in Ordnung." Alany wich der Frage ihres Vaters bewusst aus, da sie keine Lust hatte, schon wieder über Mariah zu reden. 

Jamie hakte trotzdem nach.

„Ist nicht schwer zu erraten, was unsere Mitschüler über Mariahs kleine Show gesagt haben", antwortete Alany. Sie hoffte, dass die Sensationslust ihres Vaters damit gestillt war.

„Das wundert mich kein bisschen!" Jamie verschwand kurz in der Küche, um sich ein paar Leberwurstbrote zu holen, die er anschließend vor dem Fernseher herunterschlang.

Alany hatte aufgegeben, ihm das vor dem Fernseher essen austreiben zu wollen. Schließlich durfte auch sie nach Belieben das Sofa vollbröseln, wenn er es tat. 

„Das Showgen und der Wunsch nach Aufmerksamkeit scheinen in der Familie zu liegen!", nuschelte Jamie, während er so herzhaft in sein Brot biss, dass die Leberwurst zu den Seiten heraus quoll. 

 „Showgen? Wohl eher der Plemplem-Effekt!", erwiderte Alany schlecht gelaunt und steckte die Hände in die Hosentaschen. Ihr passte es nicht, dass ihr Vater Mariahs Auftritt verharmloste. War es ihrem Vater egal, dass die Leute dank ihrer Cousine auch über Alex und sie tratschten?

„Ich würd mir nicht den Kopf über Mariah zerbrechen!", durchbrach Jamie nach einer Weile die Stille. Offensichtlich versuchte er, sich selbst zu beruhigen, doch seine Stimme verriet, dass er sich Sorgen machte. Dann schwieg er und Alany folgerte aus seinem angespannten Gesicht, dass er nachdachte. Vielleicht ging er im Geiste all die Dummheiten durch, die er als Jugendlicher selbst begangen hatte, und hoffte, Mariah wäre klug genug, wenigstens den idiotischsten Teil davon nicht nachzuahmen.

„Ich werde Richard anrufen, um die Lage zu checken!", teilte Jamie Alany nach einer Weile, in der er automatisch weitergegessen hatte (selbstverständlich mit den Manieren eines Tartaren- das hieß, ihr Vater spießte das Essen mit dem Messer auf und ließ die Gabel links liegen), das Ergebnis seines Gedankengangs mit.

Aha! Die Idee, dass sich Richard und ihr Vater, die größten Schulhof-Casanovas aller Zeiten, vereinten, um mit Hilfe ihrer eigenen Erfahrungen zu verhindern, dass jemand ihnen den Titel streitig machte, war nicht mal übel.

Ganze volle sechzig Sekunden (Alany hatte es an der Uhr, die über dem Fernseher hing, überprüft) herrschte wieder Stille. Dann verwandelte Jamie sich wieder in den Lausbuben seiner Jugend und neckte Alany.

„Lenny, warum takelst du dich nicht mal auf? Wie wär's mit ein paar engeren Klamotten und Lippenstift? Ich wünsche mir so sehr, dass mir die Jungs eines Tages die Bude einrennen, damit ich ein bisschen Zerberus spielen kann! Es würde mir Spaß machen, die Horde ein paar Runden mit dem Baseballschläger durch den Garten zu jagen..." Jamies Augen glänzten unternehmungslustig wie die eines kleinen Jungen, der gerade im Süßwarenladen einen Lutscher geschenkt bekommen hatte. Außerdem knetete er seine Hände, als wolle er sie auf den festen Griff um den Baseballschläger vorbereiten. 

 Alany zog beleidigt eine Schnute. „Und ich würde mit der Bratpfanne hinter dir herrennen!", gab sie schlagfertig zurück. Dann versuchte sie ihren Vater in den Schwitzkasten zu nehmen, was ihr für einen Augenblick sogar gelang. 

 „Brich mir nicht meine alten Knochen!" Jamie rangelte mit Alany, bevor sie ihm durch das Quetschen seines rechten Oberarms signalisierte, dass sie genug hatte.

„Wenn jemand mein Freund sein will, sollte er sich benehmen anstatt mir wie einem wilden Tier hinterherzujagen!", verkündete Alany mit gespielter Arroganz.

„Für dich wäre gerade Prinz William gut genug!", zog ihr Vater sie auf und schaltete den Fernseher ein. 

„Das stimmt, doch leider war Kate Middleton schneller als ich!" So schnell gab Alany sich in einem Wortgefecht nicht geschlagen. 

 „Eins zu Eins, unentschieden!", verkündigte Jamie, während er durch die Kanäle zappte. „Mal im Ernst: Müsste dein Traumprinz dir Blumen mitbringen und dich zum Essen ausführen?"

Alany wurde rot. „Ich mag romantische Jungen", gestand sie und bemühte sich, Jamies Blick auszuweichen. Was war peinlicher, als vom eigenen Vater über Jungs ausgequetscht zu werden?

„Offen gestanden bin ich froh, dass du noch nicht neben einem völlig fremden Mädchen- oder in deinem Fall einem Jungen- auf dem Wohnzimmertisch deines besten Freundes aufgewacht bist. Oder Minderjährigen Wodka angedreht hast, um dich über ihr Herumgetorkel zu amüsieren und sie dabei zu filmen", gestand Jamie ein Weilchen später. Alany konnte an seinem Tonfall hören, dass er sich schämte. „Viele Teenager halten romantische Liebe für ein Hirngespinst, doch es lohnt sich, an sie zu glauben, Lenny. Sei anspruchsvoll, auch wenn deine Mitschüler dich deswegen für eine Spießerin halten."

Sparks/ Amby Awards Shortlist 2023Where stories live. Discover now