Vollcrash ins Leben *5*

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Beim Aufstehen am nächsten Morgen merkte Alany, dass sich der Alltagstrott einstellte und die entspannte Atmosphäre der Sommerferien endgültig verschwunden war. „Hoffentlich wird mein Leben nicht so eintönig, wenn ich erstmal einen Job habe!", überlegte sie, während sie im Schneidersitz auf ihrem Lieblingsstuhl sitzend an ihrem Toast knabberte. Vielleicht war es ungewöhnlich, dass sie so kurz nach dem Einzug bereits einen Lieblingsstuhl hatte, doch sie hatte am Vorabend Ketchup darauf verschüttet, was ihm eine individuelle Note verlieh. 

Jamie hatte anscheinend in Dauerschleife den Snooze Button auf seinem Wecker gedrückt, denn es war bereits spät, als er die Treppe hinuntersprintete. „Wehe, du wirst mal genauso eine faule Langschläferin wie ich!", schnaufte er. Dann drückte er Alany kurz, wobei sie sich beinahe an einem Stück ihres Marmeladentoasts verschluckte. Kurz darauf war Jamie auch schon zur frisch gestrichenen Garage gesprintet und in seinem Wagen davongerast.

Alany hoffte, dass der ehemalige Fahrlehrer ihres Vaters dieses Verhalten nie zu sehen bekommen würde. Wahrscheinlich würde der Arme aus lauter Verzweiflung seinen Beruf an den Nagel hängen.

Zweiter Schultag... Der Nachteil aller Schultage im Jahr, außer dem ersten, bestand darin, dass sie den Schulbus nehmen musste und nicht durch die Gegend chauffiert wurde. 

Ein Weilchen blieb Alany noch vor dem Spiegel stehen, um ihr blondes Haar zu kämmen. Warum sah sie nur so brav aus? Mit einem Seufzer krempelte sie ihre Strümpfe nach unten und band ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, damit ihre Locken nicht auffielen. Eigentlich mochte Alany ihre Locken, doch seit Alex sie einmal damit aufgezogen hatte, dass sie die gleiche Frisur wie die blonde Zeichentrickfigur in „Barbie als Rapunzel" hatte, stand sie ihnen kritisch gegenüber. Spontan beschloss sie, am Wochenende im Einkaufszentrum ein Glätteisen zu kaufen. Die frisch gewaschene Schuluniform aus dunkelblauem Blazer und kariertem, hellblauem Rock ließ sie ohnehin kindlicher aussehen, als sie in Wirklichkeit war. 

Upps! Ein Blick auf die Uhr im Eingangsbereich ließ Alany zusammenzucken, denn sie erinnerte sich an Jamies Warnung. Anscheinend begann sie bereits, seine schlechten Angewohnheiten zu übernehmen. Nachdem sie sich ihren Rucksack geschnappt hatte, ließ sie die Haustür mit Schwung zufallen und legte einen kurzen Sprint die Straße hinunter zur Bushaltestelle ein. Glücklicherweise hatte der Bus Verspätung, sodass sie ihn nicht verpasste.

Fünf Minuten später kam der Bus schließlich in Sicht und hielt mit einem ohrenbetäubenden Quietschen an. Als die Türen sich öffneten, erblickte Alany die erste Neuerung: Bisher hatte ein schlecht gelaunter Typ Mitte dreißig, der stets eine Zigarette im Mundwinkel hatte, Alanys Schulbus gesteuert, doch da sie nun eine andere Linie nahm, gehörte er der Vergangenheit an. Stattdessen würde sie von nun an beim Einsteigen das Gesicht einer chinesischen Dame, die rosa Lipgloss und eine Menge Emaillearmreifen trug, zu sehen bekommen.

„Dich sehe ich heute zum ersten Mal!", begrüßte die Busfahrerin Alany freundlich und grinste sie frech an. 

„Ich bin umgezogen", antwortete Alany knapp und stieg ein. Hinten im Bus saßen erst zwei Teenager: Ein lässig wirkender, Kaugummi kauender Junge mit einem in schrillen Farben bedruckten Hip-Hopper T-Shirt, das er über seinen Blazer gezogen hatte, und ein nervös wirkendes Mädchen, das andauernd an seiner Brille herumfingerte. 

Sparks/ Amby Awards Shortlist 2023Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt