Eine Schlägerei und ein Vater-Tochter-Projekt *8*

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Der  Sonntag begann vielversprechend, denn Greg tauchte auf, um beim Gartenhausbau zu helfen.

„Greg!" Alany stürzte sich auf den besten Freund ihres Vaters und schlang die Arme um ihn. „Wie geht es dir? Es tut mir so leid, dass ich mich nicht eher nach dir erkundigt habe!"

Greg lachte. Alany liebte sein Lachen, denn seine warme, tiefe Stimme ließ es an das eines sanften Riesen erinnern. „Ich bin okay. Meine Rippen schmerzen noch ab und zu, aber ich werd's überleben. Und sehen wir es mal so"- Greg zog Alany beiseite, sodass Jamie nicht mithören konnte- „hätte dieser Vollidiot mich nicht gefoult, hätten wir den hübschen Sanitäter vielleicht nie zu Gesicht bekommen. Und das wär doch jammerschade, findest du nicht?" Greg zwinkerte Alany verschwörerisch zu, bevor er Jamie mit Handschlag begrüßte. Anschließend versammelten sich alle zu einer kurzen Lagebesprechung, um über die weiteren Arbeitsschritte zu reden. Greg, ganz Fachmann, prüfte das Fundament und nahm einige kleinere Verbesserungen vor. „Im Großen und Ganzen habt ihr beiden aber phänomenale Arbeit geleistet!", versicherte er Jamie, als er dessen besorgten Blick bemerkte.

Als nächstes mussten die Blockbohlen zu Wänden aufgestellt werden. Diese Arbeit war zwar nicht schwer, aber unglaublich schweißtreibend. Besonders, weil es ungewöhnlich warm für einen Tag im Spätherbst war. Alany freute sich, Greg scherzen und lachen zu hören, als wäre er auf dem Fußballfeld nie so böse gefoult worden. Allerdings hatte sie gehofft, der Gartenhausbau würde zu hundert Prozent ein reines Vater-Tochter-Projekt werden. Wie sollte sie vernünftig mit ihrem Vater reden, wenn noch jemand anders dabei war?

Es wäre kein richtiges Vater- Tochter- Gespräch, auch wenn es sich um Greg handelte, den sie beide so sehr schätzten. Alany war enttäuscht. Später würde sie Jamie fragen, warum er sein Versprechen gebrochen hatte, doch im Moment war er zu beschäftigt. Um sich ihre schlechte Laune nicht anmerken zu lassen, arbeitete Alany schweigend vor sich hin. Jamie und Greg hatten sich zu viel zu erzählen, sodass ihnen nicht auffiel, wie abweisend sie war.

Nach einer Weile hatte Alany mit ganz anderen Problemen zu kämpfen, denn die Sonne schien so erbarmungslos vom Himmel, dass ihr schwindlig wurde. „Alany? Bist du in Ordnung?" Sie wankte, doch ihr Vater hielt sie fest, bevor sie über eine Holzbohle stolpern konnte.

„Die Sonne scheint dir nicht gutzutun!", stellte Greg fest und rieb seine von der Arbeit schmutzigen Hände an seiner alten Jeans ab.

„Mir geht's gut, ehrlich!" Alany schüttelte Jamies Arm ab und wollte einen Schritt gehen, doch vor ihren Augen wurde erneut alles schwarz.

„Scheinbar nicht! Du hast wahrscheinlich einen Hitzeschock erlitten. Komm in den Schatten!" Jamie stützte Alany auf den Weg ins Haus und half ihr, es sich auf dem Sofa gemütlich zu machen. „Soll ich einen Sanitäter anfordern?", fragte er sichtlich besorgt, während er ein Glas kühle Limonade vor sie stellte. 

„Nein, nein", versicherte Alany ihm eilig. „Ich hab zu viel Sonne abbekommen, das ist alles. Bei einem Sonnenstich würde ich mich anders fühlen. Erinnerst du dich nicht an Alex' Sonnenstich von vorletztem Jahr? Sein ganzer Kopf war rot und er hat sich andauernd übergeben. Nach einem kleinen Nickerchen geht es mir bestimmt wieder blendend. Hilf Greg mit den Wänden, sonst werdet ihr nie fertig."

Zu Alanys Erleichterung bestand Jamie nicht weiter darauf, einen Rettungswagen zu rufen und ließ sie allein. „Uff. Das war knapp." Alany konnte sich nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn der angeforderte Sanitäter Milan gewesen wäre. Sie wünschte sich, ihrem Vater die Beziehung zu Milan in einem richtigen Gespräch erklären zu können, und wollte auf keinen Fall, dass Jamie von der Neuigkeit überrumpelt wurde.

Seufzend ließ Alany ihren Kopf auf ein Kissen sinken. Zu ihrer Überraschung war sie froh darüber, noch einmal Zeit gewonnen zu haben. Und sie verachtete sich dafür. Es ist nicht Gregs Schuld, dass ich Dad noch nichts von Milan und mir erzählt habe, gab sie vor sich selbst zu. „Wahrscheinlich mache ich mir vor, auf den passsenden Augenblick warten zu müssen, weil ich mich fürchte. Und weil ich mich noch nicht hundertprozentig bereit für einen Freund fühle." Alany fiel auf, dass sie noch nie gründlich über die Idee einen Freund zu haben nachgedacht hatte. Sie hatte sich zwar ihren Traumprinzen ausgemalt und sich vorgestellt, wie es wäre, mit ihm zusammen zu sein, doch sie hatte sich noch nie über einen realen Jungen Gedanken gemacht. Milan war so plötzlich in ihrem Leben aufgetaucht wie ein Sommersturm, der vom einen Augenblick auf den anderen alles durcheinanderwirbelte.

Für Alanys Verhältnisse war alles zu schnell gegangen: Das Fußballspiel, ihr Gespräch im Arztzimmer neben George, dem Skelett, der Spaziergang, der Kuss... Alany bekam beim bloßen Gedanken an Milans sanfte Lippen Herzklopfen. Was war aus dem Mädchen geworden, das alles genauestens plante, nie unvorbereitet war?  Von dem Moment an, in dem sie Milan zum ersten Mal in die Augen geblickt hatte, war Alany allerdings klar gewesen, dass sie dieses Mädchen nie mehr sein würde. Sie wusste instinktiv, dass sie Milans Freundin sein wollte, ohne ewig darüber brüten zu müssen. Es war, als würde sie sich kopfüber in die Fluten stürzen. Normalerweise hätte dieses Gefühl ihr Angst gemacht, doch nun genoss sie den Nervenkitzel, den es mit sich brachte. Wenn sie Zeit mit Milan verbrachte, waren alle Zweifel in ihrem Kopf ausgelöscht und sie verschwendete keinen Gedanken daran, was sie falsch machen könnte.

„Ich brauche keinen besonderen Moment, um Dad von meinem Kuss mit Milan zu erzählen", beschloss Alany schließlich. „Die alte Alany mag sich selbst durch unnötiges Grübeln blockiert haben, doch die Neue wird ihr Leben ohne die ständige Nachdenkerei genießen."

Sparks/ Amby Awards Shortlist 2023Where stories live. Discover now