Auf dem Gartenhausdach *4*

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Von ihren Gefühlen gelenkt, die sie wie eine warme Welle überrollten, riss Alany die Tür auf und warf sich regelrecht in Milans Arme. Sie konnte es zwar nicht sehen, weil ihre Wange gegen seine gepresst war, doch sie könnte schwören, dass er über ihre stürmische Art schmunzelte. 

„Es ist schön, dich zu sehen", begrüßte Milan sie herzlich und küsste sie auf die Wange.

„Dich auch", antwortete Alany und hätte ihren Freund am liebsten nie mehr losgelassen.

Peng! Anscheinend war in der Küche ein Topf zu Boden gefallen. Typisch Jamie! Natürlich musste er sie daran erinnern, dass er auch noch eine Rolle in ihrem Leben spielte. Seufzend löste Alany sich aus Milans sanfter Umarmung und nahm seine Hand in die ihre. „Tut mir leid, dass du es bei unserem ersten offiziellen Treffen gleich mit meinem Vater aufnehmen musst", entschuldigte sie sich und blickte schüchtern zu Boden. Hoffentlich war Milan nicht sauer.

Milan jedoch lachte sein unbekümmertes Lachen und drückte ihre Hand fester. „Ich hab gesehen, wie sich dein Vater im Krankenwagen um seinen Freund gekümmert hat. Er scheint ein wunderbarer Mensch zu sein. Mach dir keine Sorgen, Lenny." Alany lief ein wolliger Schauer den Rücken herunter, als Milan sie mit demselben Kosenamen ansprach, den ihr Vater für sie verwendete.

Wenn Jamie sie Lenny nannte, fühlte sie sich geborgen und ruhig. Wenn dagegen Milan ihren Kosenamen aussprach, breitete sich ein wohliges Kribbeln in ihrem ganzen Körper aus und in ihrem Kopf brach ein Chaos der Gefühle aus. Es war, als ob ein Feuerwerk in ihr entzündet wurde. Einerseits war dieses Feuerwerk beängstigend, andererseits wunderschön.

                                                             *

„Hi, ich bin Jamie, Alanys Vater", stellte Jamie sich vor, sobald Alany und Milan die Küche betraten und streckte dem jungen Sanitäter mit breitem Grinsen seine Hand entgegen.

Milan schüttelte sie und lächelte. „Ich bin Milan."

„Weiß ich doch, schließlichhast du meinen Freund Greg auf dem Fußballfeld gerettet", antwortete Jamie und klopfte Milan sanft auf die Schulter.

Alany wurde rot. Hoffentlich übertrieb es ihr Vater nicht mit der Lobhudelei.

Für eine kurze Weile kehrte peinliche Stille ein, denn keiner von ihnen schien zu wissen, worüber man sich unterhalten könnte.

„Wie läuft das Training mit Ihrer Mannschaft denn?", meldete Milan sich plötzlich zu Wort, wofür Alany ihm unheimlich dankbar war.

Jamie lachte. „Bitte dutz mich. Wenn ich gesiezt werde, komme ich mir vor wie ein Greis mit Dumbledore- Bart. Das Training läuft gut, allerdings könnten wir ein paar junge Beine zur Verstärkung gebrauchen." Dabei hob er fragen die Augenbrauen.

„Tut mir leid, aber beim Fußball bin ich eine Niete", gab Milan zu und drückte Alanys Hand. „Allerdings spiele ich liebend gerne Tischtennis. Vielleicht könnten Alany und ich irgendwann eine Partie gegen meinen Vater und Sie- ich meine dich- spielen."

„Abgemacht!", rief Jamie und wandte sich den Leckereien, die sich in der Küche türmten, zu. „Würde es dir was ausmachen, mir beim Anrichten zu helfen, Milan?", fragte er und deutete auf das kulinarische Kuddelmuddel.

Milan schüttelte den Kopf und ließ- widerwillig, wie Alany zu bemerken glaubte- ihre Hand los. Als er mit einem großen Teller Croissants im Wohnzimmer verschwunden war, schob Jamie sich neben Alany. Sie brachte nicht den Mut auf, ihrem Vater ins Gesicht zu sehen. Vermutlich grinste er über beide Ohren und würde in einem Sekundenbruchteil eine schnippische Bemerkung über ihren hübschen Sanitäter fallen lassen.

Zu Alanys Überraschung ging Jamie jedoch auf eine erwachsene Art und Weise mit der unbekannten Situation um. „Wie du siehst, kommen Milan und ich gut miteinander klar", erklärte er und legte seinen Arm um ihre Schulter. „Verjag die Sorgen aus deinem Kopf und sei fröhlich, Lenny. Die Alany, die zur Tür gerannt ist, um ihren Freund zu begrüßen, wirkte ausgelassen, doch seitdem ihr in die Küche gekommen seid, hast du kein einziges Wort gesagt. Ich verstehe, dass das erste Treffen zwischen Vater und Freund stressig für dich sein muss, aber ich bin kein vierzigjähriger Durchschnittsvater. Ich werd dich nicht blamieren oder Milan und dir zu nah auf die Pelle rücken, das verspreche ich dir."

„Danke, Dad." Alany umarmte ihren Vater, bevor sie sich zwei Flaschen Wasser schnappte und Milan ins Wohnzimmer folgte.

                                                                 *

Während des Brunchens lockerte sich die Stimmung und gegen Ende des Essens hatte Alany ihre Bedenken vergessen und lachte genauso ausgelassen über Jamies Witze wie Milan. Sie war glücklich, dass Milan und Jamie sich so gut verstanden, denn es hätte auch anders laufen können.

„Die Mädchen, deren Eltern ihre Freunde nicht akzeptieren, haben es echt schwer", dachte Alany, als sie nach dem Brunch dreckige Teller und Geschirr in die Spülmaschine räumte. „Ohne Dads Zustimmung würde eine unsichtbare Mauer zwischen Milan und mir stehen, die eine Menge kaputt machen würde."

„Es tut mir leid, dass ich nicht länger bleiben kann", entschuldigte Milan sich, nachdem die grobe Aufräumarbeit erledigt worden war. Er klang aufrichtig enttäuscht, doch das tröstete Alany nicht. Wie sehr hatte sie sich darauf gefreut, am Nachmittag Zeit mit Milan allein zu verbringen! Das Essen mit Jamie war zwar nett gewesen, aber sie hatte sich zu beobachtet gefühlt, um Zärtlichkeiten mit Milan auszutauschen.

„Es war schön, dass wir uns endlich offiziell kennengelernt haben!", schaltete sich Jamie, der anscheinend ihren angesäuerten Gesichtsausdruck bemerkt hatte, plötzlich ein und gab Milan zum Abschied die Hand. „Schade, dass unser Treffen so abrupt endet, doch es wird sicherlich nicht das Letzte sein. Mach's gut. Begleitest du Milan nach draußen, Alany?"

Und damit schob er sie sanft in Richtung Tür. Dort angekommen, suchte Alany nach den richtigen Worten, um ihrem Freund zu sagen, wie sie sich fühlte, doch er war schneller.

„Manchmal hasse ich meinen Job, Lenny, das musst du mir glauben. Nachdem wir gestern Abend telefoniert hatten, kam mein Vater nach Hause und hat mir erklärt, dass John, der Sanitäter, der normalerweise donnerstags Dienst hat, mit einer Blinddarmentzündung ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Auf die Schnelle konnte unsere Leitstelle keinen anderen Ersatz finden. Ich fühlte mich scheußlich, als ich zusagte, aber mein Team braucht mich."

Als Milan Alany mit seinen wundervollen grünen Augen ansah, las sie Aufrichtigkeit in ihnen. Diese Augen waren nicht fähig, zu lügen. Langsam verpuffte ihr Ärger. „Warum hast du mir das nicht erzählt, als ich dir heute Morgen die Tür geöffnet habe?", fragte sie, nun mit ruhiger Stimme.

Milan blickte ihr abermals tief in die Augen und sie war überrascht von der Wärme, die sein Blick auf einmal ausstrahlte. Der Ausdruck in seinen Augen war ihr unbekannt und sie realisierte, dass sie ihn wohl erst in einigen Jahren verstehen würde. „Ich hab es nicht übers Herz gebracht", antwortete er und senkte den Blick. „Ich dachte, ich wäre darauf vorbereitet, dich wiederzusehen, doch ich lag falsch. Du warst so fröhlich, als du mir die Tür geöffnet hast, dass ich dich unmöglich enttäuschen konnte, Lenny!"

Alany nickte verständnisvoll. Innerlich staunte sie über ihren Freund, weil seine Gedanken und Entscheidungen so erwachsen wirkten. Sie wusste, dass sie sich sehr glücklich schätzen konnte, mit einem so verantwortungsbewussten Jungen wie Milan zusammen zu sein.

„Du hast Recht", stimmte sie ihm zu und fegte die Enttäuschung mit einem imaginären Besen aus ihrem Kopf.

Milan lächelte. „Ich werd es wieder gut machen, versprochen." Dann küsste er sie.

Alany konnte nicht sagen, dass der Kuss besser war, als ihr erster Kuss am See, denn der erste Kuss trägt immer eine ganz besondere Magie mit sich, doch er übertraf ihn einiges an Intensität. Milans Lippen berührten die ihren selbstsicherer und einen Tick feuriger als zuvor und auch sie fühlte sich vorbereiteter. Vorsichtig erkundete sie mit ihren Lippen die seinen und am liebsten hätte sie sich nie wieder von ihnen getrennt.

Sparks/ Amby Awards Shortlist 2023Where stories live. Discover now