Mariahs Absturz *4*

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Am nächsten Morgen, als Alany und Jamie beim gemeinsamen Frühstück saßen, klingelte das Telefon erneut. Jamie sprang wie von einer Tarantel gestochen auf und stürzte in den Gang. Alany rang kurz mit sich, doch entschied sich dafür, ihre Cornflakes aufzuessen anstatt ihrem Vater hinterher zu laufen. Dieses Mal dauerte das Gespräch nicht lange, denn er kam bereits nach einer guten Minute zurück ins Wohnzimmer.

„Richard hat eine Krisensitzung einberufen!", teilte er Alany mit, winkte jedoch ab, als sie Anstalten machte, aufzustehen. „Tut mir leid, keine Kinder." 

Alany funkelte Jamie wütend an, doch sie sah in seinen Augen, dass er es ernst meinte.

„Die Situation ist kritisch, da es sich anscheinend es sich nicht um eine kurzweilige Laune handelt. Ich fürchte, Mariah hat ernsthafte Probleme." 

Ernsthafte Probleme.... Alany zuckte zusammen. Obwohl sie bemerkt hatte, dass ihre Cousine sich verändert hatte, hatte sie nicht damit gerechnet, dass Mariah so sehr in Schwierigkeiten steckte.

„Kann ich Mariah oder Tiana wenigstens im Krankenhaus besuchen?", fragte sie hoffnungsvoll, doch Jamie schüttelte den Kopf. „Der behandelte Arzt ist der Meinung, dass die beiden fürs Erste nur Besuch von den Eltern haben sollten. Tianas Mutter ist sicherlich aus allen Wolken gefallen, als sie von ihrem Zustand gehört hat."

Alany nickte. Eine alleinerziehende Spitzenanwältin wie Tianas Mutter Helen hatte es mit ihrem Job, vier chaotischen Söhnen und einer rebellischen Tochter wirklich nicht leicht. 

„Ich werde zu Richard fahren, aber du musst mir versprechen, dir nicht zu viele Sorgen zu machen!", verkündete Jamie und fuhr ihr mit der Hand sanft über die Wange. „Ich hoffe, es wird nicht lange dauern. Alex besucht einen Freund, damit Tante Caroline, Richard und ich in Ruhe reden können. Wollen wir hoffen, dass uns was Schlaues einfällt."

Mit diesen Worten schritt Jamie Richtung Kommode, zog seine hellblaue Lions-Trainingsjacke an und war schneller im Freien, als Alany blinzeln konnte. „Wenn Mariah selbst das Problem ist, dann ist sie die einzige, die es lösen kann", murmelte sie. Sie fühlte sich hilflos, da sie mit der neuen Situation alleine zurecht kommen musste. Jamie war auf dem Weg zu Richard und mit ihrer besten Freundin konnte sie auch nicht über ihre Sorgen reden, da Tiana selbst in der Klinik lag.

Warum hatte Tiana bloß so viel getrunken, dass sie mit einer Alkoholvergiftung in der Klinik gelandet war? Alany wusste keine Antwort, obwohl Tiana und sie mittlerweile seit über fünf Jahren unzertrennlich waren. Tiana war nie der Typ Mädchen gewesen, der sich auf wilden Hauspartys herumtrieb oder sich unter den Tisch soff. Wahrscheinlich war es das Beste, sich damit abzufinden, dass sie Tiana persönlich fragen musste. 

 Da Horden von wirren Gedanken in Alanys Kopf umherschwirrten, beschloss sie, sich abzulenken, indem sie sich eine Aufgabe suchte. Es war Sonntag und sie hatte alle ihre Hausaufgaben bereits erledigt. Was sollte sie tun? Die Küche putzen? - Nein, sonst lernte Jamie nie, dass auch er für den Haushalt verantwortlich war. Zachy anrufen und ihn um Rat fragen? – Auch keine gute Idee, denn Zachy war nicht einfühlsam genug für derartige Gespräche. Vielleicht... Nein, sie war keine Spionin- oder doch? Langsam bewegte Alany sich auf den kleinen Beistelltisch im Gang, auf dem das Telefon platziert war, zu. Wie erwartet lag das Telefonbuch neben dem Apparat. Ein kurzer Blick konnte nicht schaden... 

Zunächst verlief Alanys Suche unter dem Buchstaben C erfolglos, denn es gab einfach zu viele Carlsons und Cartwrights, doch schließlich gelangte sie bei den Castles an. Darauf folgte eine Mrs. Castles-Hughes und letztendlich Dr. Attila und Rosemary Castle-Jones. Das mussten Milans Eltern sein. Interessiert las Alany die Adresse. Dr. Attila und Rosemary Castle-Jones, Rosegarden 10.

Rosegarden? Soweit Alany wusste, handelte es sich dabei um ein sehr nobles Viertel, das ein ganzes Stück außerhalb von Nottingham in der Nähe eines Naturschutzparks lag. Dort wohnte Milan also. Kein Wunder, dass sie sich bisher noch nicht über den Weg gelaufen waren, denn sowohl das Viertel, in dem Richards Haus stand, als auch die Neubausiedlung, in der Jamie und sie jetzt lebten, lagen zentral.

Alany seufzte. Warum interessierte sie sich eigentlich dafür, wo Milan lebte? Wahrscheinlich würde sie ihn sowieso nicht mehr sehen. Oder doch... Wenn Milan die Spiele der Ladybirds als Rettungssanitäter betreute, würde sie ihn bei deren nächstem Heimspiel antreffen. Aber wirkte es nicht merkwürdig, wenn sie zum Ladybirds-Fan konvertierte, nachdem Greg von einem der dortigen Spieler gefoult worden war?

Mit einem lauten Schlag klappte Alany das Telefonbuch zu und legte es auf seinen Platz zurück. „Oh mein Gott, ich verhalte mich wie ein Mädchen, das Jungen als Kriegsbeute betrachtet!" Sie lief rot an. „Ich sollte Milan nicht hinterherspionieren. Ich bin keine Stalkerin und ich werde auch keinem Jungen hinterher rennen wie ein Groupie. Schließlich habe ich meinen Stolz und den werde ich nicht für einen Typen aufgeben!" Nichtsdestotrotz ärgerte Alany sich darüber, dass Milan außerhalb der Stadt wohnte, denn so konnte sie ihm nicht zufällig beim Bäcker über den Weg laufen.

Alany ließ die Schultern hängen. Eine Weile lang setzte sie sich auf den Boden und stellte sich vor, wie es wäre die Uhr um ein oder zwei Jahre zurück drehen zu können. Dann würde sie wieder bei Tante Caroline und Onkel Richard wohnen, Mariah wäre an der St. Mary's School ein Mauerblümchen und Tiana läge höchstens mit einer Blinddarmentzündung im Krankenhaus. Doch der Kreislauf des Lebens war grausam, weshalb sie der Gegenwart nicht entfliehen konnte, wie sehr sie sich auch nach der Vergangenheit sehnte. 

Sparks/ Amby Awards Shortlist 2023Unde poveștirile trăiesc. Descoperă acum