Eine Schlägerei und ein Vater-Tochter-Projekt *9*

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Als Alany aufwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Schwindlig war ihr inzwischen nicht mehr, doch sie war erschöpft und hatte Probleme, klare Gedanken zu fassen. Das Bett würde sie in den nächsten Stunden nicht verlassen, so viel war klar.

„Du hast dir gestern vermutlich einen kleineren Hitzeschock eingefangen", mutmaßte Jamie, als er fürsorglich einen kalten Waschlappen auf ihre Stirn legte. „Ruh dich aus, Greg und ich stellen die Gartenhauswände alleine auf. Das macht nach einer Weile sowieso keinen Spaß mehr, da man jeden Muskel in seinem Körper spürt." Sanft strich Jamie ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Dad?" Alany wollte nicht sauer auf ihren Vater sein, weil er sich so rührend um sie kümmerte, doch sie konnte die Enttäuschung über sein gebrochenes Versprechen nicht verdrängen.

„Ja, meine Honigblume?" Musste das sein? Warum grub Jamie ihren Kosenamen aus Kindergartentagen wieder aus?

„Ich dachte, der Gartenhausbau wird ein reines Vater- Tochter- Projekt." Alany sah ihren Vater mit herausfordernden Augen an, woraufhin er kurz den Kopf abwandte.

„Dad! Ich- wir- haben uns darauf gefreut, endlich miteinander reden zu können. Aber zuerst waren wir zu beschäftigt mit dem Fundament, dann war das Hämmern zu laut und jetzt hilft Greg mit! Wie sollen wir uns bei all dem Trubel je erzählen, was in unseren Leben so passiert?"

Als ihr Vater ihr wieder den Kopf zuwandte, konnte Alany Erschöpfung in seinen Augen sehen. „Du hast recht, Lenny", gab er mit müder Stimme zu. „Ich habe mir unser Projekt einfacher vorgestellt. Etwas in dieser Größenordnung zu bauen erfordert so viel Konzentration und Muskelkraft, dass es mich schlaucht. Es war nicht die beste Idee, sofort nach meiner Präsentation anzufangen, denn die letzten Wochen auf der Arbeit haben mich doch mehr angestrengt, als ich erwartet hätte. Nach unserem ersten Arbeitstag habe ich gemerkt, dass wir es alleine wohl nicht rechtzeitig vor Einbruch des Winters schaffen."

„Und deshalb hast du Greg um Hilfe gebeten", ergänzte Alany und spürte, wie ihre Wut langsam verrauchte. „Und ich dachte..."

„dass dein Vater sein Versprechen bricht und das Vater- Tochter- Projekt zugunsten ein paar netter Nachmittage mit seinem besten Freund sausen lässt", vollendete nun Jamie ihren Satz.

Alany senkte die Augen. Hatte sie ihren Vater tatsächlich für gemein genug gehalten, sein Versprechen zu brechen?

„Lenny, es tut mir leid, dass du gestern den Eindruck bekommen hast, dass ich das Vater- Tochter- Projekt zerstöre. Das Arbeitstempo, das wir vorlegen, ist halsbrecherisch, doch wir haben keine Wahl, weil ich mir bloß eine Woche freinehmen konnte. Ohne Greg steht das Gartenhaus bis zum Winter nicht. Allerdings verspreche ich dir", er nahm ihre Hand und drückte sie fest, „dass Greg uns nur mit den Wänden hilft. Sobald die stehen, stellen wir es alleine fertig- nur du und ich."

Alany lächelte erleichtert. „Einverstanden." Als Jamie ihr den Rücken zukehrte, fiel ihr auf, dass er immer noch nicht über ihren Kuss mit Milan Bescheid wusste, doch sie brachte nicht den Mut auf, es ihm zu sagen.

                                                                   *

Alany schlief den ganzen Nachmittag und wachte erst zur Abendessenszeit wieder auf. Gähnend begab sie sich in ihrem Schlafanzug auf dem Weg in die Küche, in der Jamie und Greg gemeinsam Chilli kochten. Während des Essens schwieg sie und lauschte mit halbem Ohr Gregs Erzählung über eine Horde Mäuse, die aus ihren Käfigen in der Haustierabteilung des Baumarktes entwischt waren. 

                                                                   *

Der nächste Tag verlief exakt wie der vorige, mit der Ausnahme, dass Alany sich von Stunde zu Stunde besser fühlte. Als es Zeit war, ins Bett zu gehen, waren alle ihre Krankheitssymptome verschwunden und sie war voller Tatendrang.

Nachdem sie eine Weile gebettelt hatte, erlaubte Jamie ihr, am folgenden Tag bei der Montage des Daches zu helfen. Alany war froh, dass ihr Vater und Greg bereits das Rohgerüst des Daches verlegt hatten, sodass Jamie und ihr der lustige Teil der Arbeit blieb. Lachend kletterte sie mit Hilfe einer Leiter aufs Dach und nahm die Bretter entgegen, mit denen sie das Dach zunageln würden. Dann folgte ihr Jamie ihr mit zwei Hämmern und einer Kiste voll Nägeln.

„Fantastischer Ausblick von hier oben", schwärmte Alany, als Jamie neben ihr- wenn auch unter großen Schwierigkeiten- Platz nahm. Zwischen den Holzbohlen des Dachgerüsts klafften immer noch Öffnungen, die nun mithilfe der restlichen Bretter geschlossen werden mussten.

Jamie stimmte ihr zu. „Sieh mal, dort drüben sind die Felder!" Tatsächlich sah man vom Gartenhausdach aus die Kornfelder, die Alany bisher nur von ihrem Küchenfenster aus betrachtet hatte. Von oben sahen sie noch voller aus, so als hätten sie den Herbst in sich aufgesogen.

Während Alany ihren Blick über die Baumkronen des Waldes gleiten ließ, machte sich Jamie an die Arbeit. Vorsichtig, um auf keinen Fall durch die Spalten zu rutschen, krabbelte er mit einem unter den Arm geklemmten Brett ans andere Ende des Gartenhauses und legte es über einen Spalt. Dann nagelte er es fest. 

Das sanfte Klick- Klack des Hammers und die frische Brise, die ihre Haare zerzauste versetzten Alany in einen Zustand völliger Harmonie. Auf ihrem Holzbalken sitzend, die Beine rechts und links in den Spalten neben ihm baumelnd, kam sie sich vor wie die Königin der Welt. „Leonardo di Caprio hatte seinen Schiffrumpf und ich habe mein Gartenhausdach", dachte sie zufrieden und lächelte. Als Herrin über die Wälder und Felder Nottinghams genoss sie den Ausblick in vollen Zügen, bis ihr Blick an einem See hängen blieb. Dem See hinter den Feldern. Jenem See, an dem Milan sie geküsst hatte. 

Alany fiel es wie Schuppen von den Augen und sie stürzte beinahe vom Dach herunter, weil ihr Herz einen Purzelbaum schlug. Jetzt. Sie hatte keinen Grund, ihr Geständnis weiter hinauszuzögern. Nach der durch den Hitzeschock erzwungenen Ruhepause war ihr klar geworden, dass sie keinen besonderen Moment brauchte, um mit ihrem Vater zu reden. Doch wenn er sich so spielend ergab, konnte es nicht von Nachteil sein, ihn zu nutzen. Ein Gartenhausdach, das über atemberaubender Natur thronte, war ein hübscher Platz für einen monumentalen Augenblick, dessen war sie sich bewusst. Alany holte tief Luft. „Dad, ich habe Milan geküsst."

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