Kapitel 7: Eine Schlägerei und ein Vater-Tochter-Projekt *1*

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Milan hatte sie geküsst. Alany lächelte, als sie die Augen nochmals schloss und an den Kuss mit ihm dachte. So oft hatte sie gegrübelt, wie sich ihr erster Kuss anfühlen würde und schließlich war es ohne Vorwarnung passiert. Beim Gedanken an Milan lief Alany ein wohliger Schauer den Rücken hinunter. Trotzdem fühlte sie sich noch nicht bereit, Jamie von dem Kuss zu erzählen. Sollte sie es Tiana sagen? Lieber nicht, denn ihre Freundin hatte mit ihrer ehrgeizigen Mutter genug Sorgen.

Apropros Mutter...Wie gern würde sie ihre eigene Mutter nach deren erstem Kuss fragen. Joanna Angel... Wenn Alany den Namen ihrer Mutter vor sich hin sagte, fühlte sie nichts. Joanna Angel war für sie eine leere Hülle, ein unbeschriebenes Blatt.

Als Alany in der Mittagspause Richtung Cafeteria schlenderte, erblickte sie eine zusammengekrümmte Gestalt im Gang liegen. Sie unterdrückte einen Schrei und kniete sich neben die Gestalt. „Oh mein Gott!" Es war Alex.

„Alany?" Alex versuchte die Augen zu öffnen, doch sein rechtes Auge war so geschwollen, dass er es nur halb aufbekam.

„Was ist passiert?" Entsetzt registrierte Alany, dass ihr Cousin neben dem geschwollenen Auge eine blutende Hand und Kratzspuren im Gesicht aufwies.

„Ich will nach Hause!" Anscheinend hatte Alex starke Schmerzen, denn er wimmerte anstatt auf ihre Frage zu antworten.

„Keine Panik, ich hole Hilfe!" Alany stürmte die Treppe hinauf ins Erste- Hilfe Zimmer und packte kurzentschlossen die verdatterte Krankenschwester, die gerade Dienst hatte, am Arm und zog sie mit sich. Zurück bei Alex angekommen, sah Alany zu ihrer Erleichterung, dass er nicht mehr alleine war. Neben Zachy, der seine Jacke unter Alex' Kopf geschoben hatte, stand die rasende Schulleiterin neben ihrem blutenden Cousin.

„Wer hat dir das angetan?", schrie sie und klang dabei wie eine der Furien aus der griechischen Mythologie. „Wir befinden uns in einer katholischen Schule! Zum Teufel nochmal, hier gibt es keine Gewalt!" Alany konnte sich nicht erinnern, Heather Clarington jemals derart in Rage gesehen zu haben.

„Wenn ich die erwische!"

„Dann werden sie sich an mir rächen", murmelte Alex eingeschüchtert, während die Krankenschwester sich seine Hand näher ansah. „Beruhige dich, mein Kleiner", redete sie auf ihn ein, während er vor Schmerzen das Gesicht verzog.

„Es wird alles wieder gut", tröstete Alany ihren Cousin und ließ sich neben ihm auf dem Boden nieder, um ihn zu umarmen. Alex tat ihr leid. Inzwischen hatte Heather Clarington sich beruhigt und aufgehört, jeden in der näheren Umgebung anzuschreien. Alany glaubte sogar, in ihrem strengen Gesicht Mitleid erkennen zu können.

„Nun gut", die Schulleiterin kniete sich vor Alex hin, sodass sie sich mit ihm auf Augenhöhe befand. Zachy und Alany warfen sich einen verwunderten Blick zu, denn derartigen Respekt hatte die Schulleiterin noch nie vor einem Schüler gezeigt.

„Wie heißt du, Kleiner?" Alex war so geschockt, dass er nicht einmal gegen diese Anrede protestierte.

„Alex O'Callaghan", brachte er mühsam hervor.

„O'Callaghan? Der Bruder von Miss Party animal? Aha. Du musst dir keine Sorgen machen, dass diese Brutalos dich noch einmal verprügeln werden, Alex. Ich werde sie augenblicklich der Schule verweisen, jeden einzelnen von ihnen."

„Aber es gibt keine Zeugen", jammerte Alex und umklammerte mit der unverletzten Hand Alanys Arm. „Und die Schläger werden alles leugnen. Außerdem sind sie mega beliebt, eine Menge Leute werden sie decken."

„Die Aussagen der Tussis und Machos sind keinen Penny wert", erwiderte Heather Clarington mit Verachtung in der Stimme und erhob sich. Alany kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, denn die Schulleiterin verwendete nie Schimpfwörter. Im Moment regte sie sich anscheinend so sehr auf, dass sie ihre guten Manieren über Bord warf. Alanys Zuneigung für die Frau, die sie jahrelang gefürchtet hatte, wuchs mit jeder Minute.

„Also, die Namen?", fragte die Schulleiterin freundlich. 

„Tim Hacksley und Nino Gonzalez." 

Alany hielt den Atem an. Nino Gonzalez war der Schulsprecher und Tim Hacksley dessen bester Freund. Würde die Schulleiterin Alex glauben, dass ihre beiden Vorzeigeschüler ihn verprügelt hatten?

„Eigentlich müsste ich überrascht sein, doch ich habe Gerüchte über die beiden gehört", antwortete Heather Clarington nachdenklich. „Mir wurde vor einiger Zeit ein Zettel zugespielt, aber damals war ich mir sicher, dass jemanden den beiden eins auswischen wollte. Auf dem Zettel stand, Nino und Tim drohten Mitschülern, sie zu verprügeln, falls sie nicht deren Aufsätze schrieben."

Die Krankenschwester eilte davon, wahrscheinlich um einen Kühlbeutel zu holen, und  Aufmerksamkeit wandte sich Alany und Zachy zu. „Und wer seid ihr?" 

Als Alany ihren Namen nannte, entfuhr der Schulleiterin ein Seufzer. „Es scheint mir, ihr O'Callaghans zieht den Ärger nur so an", sagte sie und musterte Alany prüfend. „Vor gut zwei Jahrzehnten gab es hier diesen schlimmen Bengel, der den gleichen Nachnamen trug. Wie hieß er doch gleich... Ach ja, Jamie!"

Alany schluckte. Jamie war hier zur Schule gegangen? Heather Clarington hielt sich jedoch nicht lange mit der Vergangenheit auf, sondern fuhr fort, Alex zu befragen. „Warum haben die beiden dich verprügelt, mein Kleiner? Haben sie von dir verlangt, ihre Aufsätze zu schreiben? Aber du bist doch höchstens zwölf!"

Zachy kicherte, weil die Schulleiterin Alex für zwölf hielt, doch Alany versetzte ihm einen Ellenbogenstoß.

„Nein, es war wegen Mariah." Alex wich Heather Claringtons forschendem Blick aus und umklammerte Alanys Hand noch fester. „Nino und Tim haben mich als Schlampenbruder bezeichnet und mir zugerufen, dass meine Schwester sich nach dem gesamten Schwimmteam wahrscheinlich bald die Jungs aus der Theatergruppe krallen wird. Da habe ich zugeschlagen." Alex' Miene hellte sich deutlich auf und Alany sah Stolz in seinen Augen. „Keiner beleidigt ungestraft meine Familie! Und der Fauststoß hat gesessen!", verkündete er mit triumphierender Stimme, während die zurückgekehrte Krankenschwester seine Hand verband und ihm einen Kühlbeutel aufs Auge drückte.

„Deshalb hätten sie nicht den Helden spielen müssen!", antwortete Heather Clarington, doch Alany hatte den Verdacht, dass die Schulleiterin insgeheim Alex' Mut bewunderte. Nino Gonzalez war mindestens 1.90 m groß und recht breit gebaut und auch Tim Hacksley war kein Gartenzwerg. Zudem waren der blonde Mädchenschwarm Nino, der als Model durchgehen könnte, und Tim- der zugegebenermaßen aussah, als hätte man sein Gesicht durch eine vertrocknete Pflaume ersetzt, und mehr Muskeln als Hirn hatte- sehr beliebt. Es brauchte ganze Wagenladungen Mut, um mit den beiden Streit anzufangen.

„Ich sehe keinen Grund, warum sie mir nicht die Wahrheit sagen sollten", fuhr Heather Clarington fort. „Anscheinend sind Nino und Tim nicht die braven Schüler, für die ich sie gehalten habe. Natürlich hätten Sie nicht zuschlagen dürfen, Mr. O'Callaghan, und werden dafür bestraft werden, aber ich werde mildernd berücksichtigen, dass sie provoziert wurden. Haben Sie keine Sorge, ich werde ihre Mutter verständigen und anschließend werde ich Mr. Gonzalez und Mr. Hacksley eins hinter die Löffel geben", versprach sie und eilte davon.

Alex stöhnte. „Selbst wenn die Clarington Nino und Tim rausschmeißt, werden deren Freunde mir das Leben zur Hölle machen", nuschelte er.

„Mit denen werden wir fertig!", rief Zachy, der inzwischen aufgesprungen war und angefangen hatte, mit einem fiktiven Gegner zu boxen. Alany grinste. Zachy hatte eine Schraube locker, soviel war klar.

„Alany, würde es dir was ausmachen, Clarington einzuholen und sie zu bitten, Jamie anstelle von Mom anzurufen? Wenn Mom erfährt, dass ich in Schwierigkeiten stecke, flippt sie aus. Sie macht sich wegen Mariah schon genug Sorgen!" Alany nickte Alex verständnisvoll zu und lief der Schulleiterin hinterher. 

Sparks/ Amby Awards Shortlist 2023Where stories live. Discover now