Liebe ist wie Bungeejumping *7*

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„Alany, beschreibe bitte die Lage des Uralgebirges." 

„Hmm?" Alany realisierte zu spät, dass Mr. Belafonte sie aufgerufen hatte und mit erwartungsvollem Blick ansah. In Mr. Belafontes Klasse war sie einer der wenigen hell leuchtenden Sterne, weshalb er sie gerne aufrief. Geographie lag ihr, denn ihr Gehirn schien jede kleinste Info, auf die sie in Zeitungen oder im Internet stieß, zu speichern. Auf diese Weise musste sie für Geographie kaum lernen, um Spitzennoten zu erhalten. In dieser Stunde war sie im Kopf jedoch das Telefongespräch vom Vortag durchgegangen. Folglich hatte sie von Mr. Belafontes eifrigem Herumgehüpfe vor der Europakarte nicht viel mitbekommen. Die Frage zum Uralgebirge gehörte allerdings zum Basiswissen und stellte höchstens für Schüler wie Jordan Dylan, der kürzlich Peking nach Japan umgesiedelt hatte, eine Herausforderung dar.

„Das Uralgebirge erstreckt sich in Nord- Süd Richtung durch den mittleren Westen Russlands und stellt einen Teil der russisch- europäischen Grenze dar", spulte Alany die Antwort herunter und befürchtete, dabei wie eine Streberin zu klingen. Sie sehen, wie Zachy die Augen verdrehte und hörte einige ihrer Klassenkameraden gelangweilt aufstöhnen.

„Na bitte." Mr. Belafonte schien sichtlich erleichtert. Vielleicht hatte er befürchtet, seinen Unterricht fortan als Monolog führen zu müssen. „Danke, Alany und euch allen viel Spaß bei den Hausaufgaben!" Dabei zeigte er grinsend auf die kleine Hausaufgabentafel, die von oben bis unten mit Seitenangaben beschrieben war. „Die nächste Klassenarbeit ist am Montag und ich rate euch, vorbereitet zu sein!", fügte er mit streng erhobenem Zeigefinger hinzu und schob sich die Brille auf der Nase zurecht.

Alany fragte sich, ob Mr. Belafonte die Hornbrille, die aussah, als hätte er sie von seinem Großvater geerbt, jemals austauschen würde. Wenigstens lenkte sie von der Glatze ab, die sich inmitten seines grauen Haares auszubilden drohte. „Ja, ja, meine Schüler, lernt fleißig, denn nicht jeder kann ein Universalgenie wie Miss O'Callaghan sein!" Zu allem Überfluss zeigte Mr. Belafonte auf Alany, als präsentiere er einen Hollywoodstar. Alany schüttelte innerlich den Kopf. In diesem Jahr würde sie wohl keine Geographiestunde ohne eine peinliche Bemerkung seitens ihres Lehrers erleben.

Nach der Stunde rief Mr. Belafonte Zachy zu sich, da er aus Langeweile Papierkügelchen gegen ein paar Mädchen geschossen hatte. Normalerweise hätte Alany Zachys Benehmen mit einem Kopfschütteln zur Kenntnis genommen und sich auf den Weg zur Cafeteria gemacht, doch heute brauchte sie den männlichen Rat ihres Freundes. Zachy mochte durchgeknallt sein, doch er war immerhin ein Junge.

Mr. Belafonte fühlte sich offenbar nicht wohl dabei, Zachy vor Alany eine Gardinenpredigt zu halten, denn er beschränkte seine Bestrafung auf eine schlichte Verwarnung.

Auf dem Weg zur Cafeteria merkte Alany, dass Zachy sie von der Seite anstarrte. „Du kannst dir beim alten Belafonte wirklich alles erlauben, Lenny. Wenn ich du wäre, würde ich das mehr ausnutzen. Wie wäre es zum Beispiel..."

„Danke, Zachy", unterbrach Alany ihn freundlich, aber bestimmt. „Ob du es glaubst oder nicht, ich brauche deine Meinung als Typ."

„Hä?" Zachy sah sie an, als spräche sie Chinesisch. „Wozu? Ich dachte, du möchtest nicht mit mir über Jungs reden."

„Das werd ich dir erklären, wenn wir alleine sind", flüsterte Alany, da sie verhindern wollte, dass alle von Milan hörten. Anne, die mit einem Buch auf der Treppe zur Cafeteria saß, warf ihr einen spöttischen Blick zu, als hätte sie das Gespräch belauscht. Alany bedachte sie im Gegenzug mit dem giftigsten Gesichtsausdruck, den sie auf Lager hatte. Von einem lahmen Bücherwurm wie Anne würde sie sich das Leben nicht schwer machen lassen.

Dennoch hatte Annes Blick in Alany jedoch das Bedürfnis nach mehr Privatsphäre ausgelöst, weshalb sie Zachy in ein verlassenes Treppenhaus anstatt in die Cafeteria lotste.

„Hey, was soll ich denn hier?", wollte der verdattert wissen, doch Alany wies ihn wortlos an, sich auf den Stufen niederzulassen.

„Ich habe es vermasselt", fing sie an. „Und da du ein Junge bist, musst du mir sagen, wie ein Junge darauf reagieren würde."

„Ich kapier's nicht!", war Zachys mehr als inkompetente Antwort.

Jetzt fiel Alany ein, dass sie Zachy bisher nicht von Milan erzählt hatte. Sie hatte nicht einmal Tiana von ihm erzählt. Ihre beste Freundin würde sie mit Sicherheit zur Schnecke machen, wenn sie herausfand, dass sie es zuerst Zacy erzählt hatte. Allerdings lag Tiana erstens mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus und konnte ihr zweitens keine männliche Einschätzung der Lage liefern. Also musste Alany sich an Zachy wenden, ob sie wollte oder nicht. Im Schnelldurchlauf erzählte sie ihrem staunenden Freund von jenem Fußballspiel, bei dem sie Milan zum ersten Mal gesehen hatte, und seiner Arbeit als Sanitäter.

„Mann, Lenny, ich kann mir nicht vorstellen, dass du mit einem Typen rumknutscht", lautete Zachys erster Kommentar, nachdem Alany geendet hatte. Typisch Zachy: Unsensibel bis zum geht nicht mehr.

„Gestern hab ich ihn angerufen, aber ich hab's vermasselt", seufzte Alany und wiederholte Wort für Wort das Telefongespräch. 

„Du hast's vermasselt", bestätigte Zachy mit einem dreckigen Grinsen und zwickte Alany in die Schulter. „Wie soll ich dich wieder aus dem Dreck ziehen, Lenny? Soll ich deinem Schatzi sagen, dass ich dich abgefüllt habe und du deswegen am Telefon durcheinander warst?"

Alany musste gegen ihren Willen lachen. Zachy war ein solcher Idiot, dass es schon wieder lustig war. „Nein, danke. Sag mir bitte, was du als Junge von dieser Unterhaltung denken würdest", bat sie ihn und kämpfte dagegen an, loszuprusten. Mit einem Jungen über Mädchenthemen zu reden war mehr als gewöhnungsbedürftig.

„Ich würde schließen, dass du hoffnungslos in mich verknallt bist, weil du wie ein Groupie rumgedruckst hast. Du hast ihm erzählt, dass du seine Stimme gerne hörst, richtig? Damit hast du ihm endgültig offenbart, wie sehr du auf ihn stehst. Jetzt weiß der arme Kerl, wie es um ihn steht." Zachy legte eine Kunstpause ein, während Alany spürte, wie sie errötete. Sie würde es nie zugeben, aber Zachys Analyse klang logisch.

„Um dich nicht weiter auf die Folter zu spannen", Zachy knackste mit seinen Fingerknöcheln, eine Angewohnheit, die Alany nicht leiden konnte, „mit dem ‚Alany, warte!' hat dein Sunnyboy signalisiert, dass er ebenfalls auf dich abfährt. Wenn auch nicht so auffällig, wie du es tust. So das war die berühmte Zachary Aurelius Lord-Analyse des männlichen Gehirns und du hast sie kostenlos auf dem Silbertablett serviert bekommen."

Zachy sprang auf und hielt Alany seine Hand hin. „Und jetzt lass uns endlich essen! Die Pause ist halb vorbei."

Sparks/ Amby Awards Shortlist 2023Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt