Die Sache mit dem Alkohol *3*

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„Ich hatte Probleme einzuschätzen, wie viel ich trinken musste, um zwar einen Rausch zu erleben, aber meine Gesundheit nicht ernsthaft zu gefährden", fuhr Milan schließlich fort. „Das ist eine der größten Gefahren beim Trinken: Wenn man einmal angefangen hat, ist es schwer, wieder aufzuhören. Also warf ich nach kurzer Zeit meine guten Vorsätze über Bord und leerte ein Glas Wodka nach dem nächsten. Irgendwann wurde mir zu heiß und ich zog mein T-Shirt aus. Alle Angst vor dem Selbstversuch war verschwunden und ich stimmte ein Liedchen an, irgendwann bin ich sogar vom Küchentisch gesprungen, weil ich so aufgedreht war. Als Betrunkener fühlst du dich, als läge dir die Welt zu Füßen. Dein Selbstvertrauen wächst und alles was du tust, wirkt zehnmal lustiger. Schließlich trinkst du weiter, weil du dich so gut amüsierst und nicht willst, dass es aufhört. Später rächt sich der  Alkohol allerdings: Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren und alles um mich herum verschwamm. Das ist der berühmte Tunnelblick. Eigentlich hätte ich zu diesem Zeitpunkt aufhören sollen."

„Aber du hast nicht aufgehört", flüsterte Alany, die mittlerweile in eine Art Schockstarre gesunken war, jedoch jedes von Milans Worten neugierig in sich aufsaugte.

Milan kam näher und nahm auf dem Stuhl neben Alany Platz. Wäre sie nicht so gebannt von seinem Experiment gewesen, hätte ihr sicherlich der Atem gestockt- wie einer dieser primitiven Ziegen, die hinter dem Captain des Schwimmteams her waren.

„Ich war mir sicher, dass mir in jenem Superman- Zustand nichts passieren könnte. Also dachte ich mir, dass ein Glas Wodka mehr nicht schadet. Letztendlich hat es mich umgehauen. Tja, die weiteren Nebenwirkungen stehen in jedem Präventationsheft." 

Alany schluckte. Noch nie hatte sie jemanden so sachlich übers Komasaufen reden hören wie Milan. Sie selbst hatte bloß einmal von Jamies Bier probiert, doch ihr war bereits vom Geruch schlecht geworden. Wenn ihr eines Tages ein Lebensmittel zum Verhängnis werden würde, wäre es eher Schokolade. „Was ist passiert, als du aufgewacht bist?", fragte sie leise und traute sich endlich, Milan wieder direkt anzusehen. Sie hoffte sehr, dass er ihren ausweichenden Blick dem heiklen Thema zuschrieb und nicht ahnte, dass sie vermied ihn anzusehen, weil sie befürchtete, ihn wie eine Kuh anzuglotzen.

Milan war nicht der erste hübsche Junge, den Alany kennengelernt hatte, aber der erste, dem gegenüber sie ihre Zuneigung nicht überspielen konnte. Normalerweise redete sie sich- selbst wenn ihr ein Junge gut gefiel- ein, dass es nicht klappen würde. Um ehrlich zu sein, hatte sie nach einiger Zeit stets Zweifel bekommen, ob sie wirklich verliebt war oder ob sie es sich nur eingebildet hatte. Einer Wunschvorstellung aufgesessen war, wie sie Mädchen haben, die auf ihren Traumprinz warten, aber irgendwann feststellen müssen, dass die Realität keine Schlösser aus Zuckerwatte und rosane Kutschen zu bieten hat.

Alany hatte sich oft ausgemalt, wie es wäre, einen Freund zu haben. Jemanden, der sie für ihre Persönlichkeit schätzte, mit dem sie lachen und reden konnte. Bisher hatte ihre Vorsicht stets über ihre Träumereien gesiegt, aber hier war Milan, der sie gehörig durcheinanderbrachte. Alany spürte, dass sie ihn nicht auf die Weise mochte, auf die man sich in den älteren Schulsprecher verliebte. Wenn sie Milan ansah, war da noch etwas anderes. Jedoch vermochte sie beim besten Willen nicht zu sagen, was.

Milan schwieg eine ganze Weile, bevor er Alanys Frage beantwortete. „Nun gut, was mit mir nach meinem Experiment passiert ist." Er seufzte. „Ich hab mich noch nie in meinem Leben so schuldig gefühlt. Als ich die Augen aufschlug, lag ich schön zugedeckt mit einer Wärmflasche auf dem Bauch und einer Kanne Tee auf dem Nachttisch in einem Krankenhausbett. Meine Mutter saß auf der Bettkante und ich konnte ihr ansehen, dass sie geweint hatte. Sie meinte, mein Vater hätte mich in meinem eigenen Erbrochenen gefunden und zunächst gedacht, ich wäre erstickt."

Alany erschrak heftig, doch Milan erzählte weiter. „Alany"- sie zuckte zusammen, als er ihren Namen nannte- „laß bitte die Finger vom Alkohol. Trink nicht, weil alle anderen Teenager es tun oder weil du nicht weiter weißt. Es lohnt sich nicht."

Alany nickte. Davon abgesehen, dass ihr kein Alkohol schmeckte, konnte sie sich Schöneres vorstellen, als in ihrem Erbrochenen auf dem nagelneuen Wohnzimmerteppich zu liegen. „Waren deine Eltern sehr sauer?", fragte sie vorsichtig, um in kein Fettnäpfchen zu treten. 

„Meine Mutter war vor allem erleichtert, dass ich aufgewacht bin", erwiderte Milan und ein leichtes Zittern in seiner Stimme verriet, wie sehr ihn die Wirkung, die das Experiment auf seine Mutter gehabt hatte, mitgenommen hatte. „Mein Vater hingegen war enttäuscht. Natürlich habe ich ihm erklärt, warum ich mich betrunken habe, doch er sagte mir, er hätte mich für schlauer gehalten. Ich gebe zu, dass meine Aktion hirnlos war. Allerdings verstehe ich nun, was in meinen betrunkenen Patienten vor sich geht. Außerdem hab ich dank des Experiments einen hoffentlich lebenslangen Ekel vor Alkohol entwickelt."

Anscheinend fühlte Milan sich nicht wohl dabei, genauer auf die Reaktion seines Vaters einzugehen. Alany konnte sich gut vorstellen, dass Chefarzt Attila Castle-Jones wahrscheinlich aus allen Wolken gefallen war. Der brave Milan war nicht der Typ Draufgänger, der sich betrank, um zu rebellieren.

„Was ist mit dir?", wollte Milan plötzlich von Alany wissen und zog fragend die Augenbrauen hoch. 

„Ich trinke nie", antwortete Alany wahrheitsgemäß. „Nicht bei Parties oder an Feiertagen, nie." Der Großteil ihrer Jahrgangsstufe, vor allem Tiana, bezeichnete sie als Weichei, weil sie nichts trank. 

Milan war jedoch anderer Meinung: „Du hast meine Hochachtung, denn in unserem Alter nein zu sagen ist nicht einfach." Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln und Alany gelang es, zurückzulächeln ohne Stielaugen zu bekommen.

„Tut mir leid, dass ich abgeschweift bin. Eigentlich wollten wir ja über deine Cousine und nicht über meinen Ausrutscher sprechen!", schien Milan sich plötzlich zu besinnen.

„Du musst dich nicht entschuldigen. Ich habe schließlich nach deinen Erfahrungen mit Betrunkenen gefragt. Wie egoistisch von mir, Mariah aus unserem Gespräch zu schubsen!", berichtigte Alany ihn schnell.

„Du bist keine Egoistin", versicherte Milan ihr, was Balsam für ihre Seele war. „Normalerweise plappere ich nicht so viel, aber ich unterhalte michgerne mit dir. Ich kann nicht glauben, dass ich dir bei unserem erstenrichtigen Gespräch von meinem Trinkexperiment erzählt habe! Ich habe Wochen gebraucht, bis ich es meinen besten Freunden Matt und Constantin gestanden habe. Aber genug davon. Erzähl mir von Mariah."                            

Sparks/ Amby Awards Shortlist 2023Where stories live. Discover now