Vollcrash ins Leben *3*

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„Irgendwelche Neuigkeiten?", fragte Alex, nachdem er sich zur Mittagszeit hinter Alany in die Warteschlange an der Ausgabe der Cafeteria eingereiht hatte.

„Eigentlich nicht", antwortete Alany wahrheitsgemäß, denn Tianas ungeschminkte Meinung über Mariahs Auftritt hatte keine neuen Erkenntnisse zu Tage gefördert. 

 „Wie schön für dich."

Besorgt registrierte Alany, dass Alex traurig klang. „Erzähl mir, was passiert ist, wenn wir unter uns sind!", flüsterte sie ihm zu. Schließlich musste nicht jeder mitbekommen, dass Alex und sie über Familienangelegenheiten redeten. 

 Mit je einem Stück Lasagne und einer Flasche Orangensaft bewaffnet suchten Alany und Alex sich in der ruhigsten Ecke der Cafeteria ein freies Plätzchen. Alanys schlaksiger Cousin sah ungewohnt angespannt aus und sie konnte Anzeichen von Sorgenfalten auf seiner Stirn erkennen. Was war bloß los?

„Die Jungs in meiner Klasse reißen die ganze Zeit Witze über Mariah, um mich zu ärgern!", klagte Alex und fuhr sich mit der Hand durch sein lockiges Haar. „Ich weiß, dass es das Beste wäre, sie zu ignorieren, aber... Klar geht Mariah mir auf die Nerven, aber sie ist meine Schwester und ich kann nicht weghören, wenn diese Idioten..."  Alex' Stimme stockte. Dann schloss er die Augen, offenbar um die Worte seiner Klassenkameraden zu verdrängen. 

Alex brauchte keine Details zu nennen, denn Alany konnte sich vorstellen, welche anzüglichen Sprüche seine pubertierenden Klassenkameraden von sich gegeben hatten. „Ich versteh dich", versicherte sie ihm und legte ihm tröstend eine Hand auf die Schulter. „Paps hat mir erklärt, dass es keinen Grund dafür gibt, dass Jungs in dem Alter manchmal ...", Alany holte tief Luft, um das Wort zur Geltung zu bringen- „...Arschlöcher sind. Sie sind es einfach."

 Alex lächelte. „Onkel Jamie muss über das Thema ja Bescheid wissen, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass er so respektlos über Mädchen hergezogen ist."

„Unterschätz meinen Vater nicht!", erwiderte Alany, hoffte aber insgeheim, dass Jamie nie so tief gesunken war. „Und was deine Klassenkameraden betrifft: Lass dich nicht provozieren, selbst wenn's schwer ist. Darauf hoffen diese Idioten doch nur." 

„Leichter gesagt als getan. Jedes Mal, wenn diese Idioten Mariah beleidigen, fangen meine Finger zu kribbeln an und ich möchte ihnen eine reinhauen." Fasziniert, als könne er es selbst nicht glauben, betrachtete Alex seine Hände. „Im Klassenzimmer fühlen sie sich stark, weil sie dort im Rudel auftreten, aber falls ich einen von ihnen allein erwische..." 

 „Alex!" Alany boxte ihn lachend mit dem Ellenbogen in die Seite. Das waren ja ganz neue Töne von ihrem Cousin, denn normalerweise war er ein ruhiges Kerlchen, was bei einer aufgedrehten Schwester wie Mariah nicht verwunderlich war. Anscheinend brachten die halbwüchsigen Idioten aus seiner Klasse nun eine andere Seite in ihm zum Vorschein. Alex schien der Rolle des „kleinen Bruders" zu entwachsen. 

 „Sich zu prügeln ist keine gute Idee, denk dir lieber ein paar schlagfertige Gegenkommentare aus!", schlug Alany ihm schließlich vor, da sie selbst nicht wusste, wie man sich in solch einer Situation am besten verhielt. Am Abend würde sie ihren Vater nach Ideen fragen, da er in puncto Schulhofgesetze und außer Kontrolle geratene Teenager reichlich Erfahrung gesammelt hatte.

Während Alex nun lustlos in seinem Essen herumstocherte, bemühte sich Alany keinen Seitenblick zu den Tischen zu riskieren, an denen die berüchtigtsten Tratschtanten der Schule saßen. Sie wollte nichts sehen, nichts hören und am besten für eine Weile auch nicht mit ihren sensationsgeilen Mitschülerinnen über Mariah sprechen. Wie die drei berühmten Affen. Die hatten im Dschungel wenigstens ihre Ruhe vor Teenagern.

„Wenn's so weitergeht, kennt bald jeder an der Schule unsere Namen, auch wenn nur Mariah Scheiße gebaut hat!", sprach Alex nach einer Weile Alanys Sorge aus.

„Mitgefangen, mitgehangen", murmelte Alany und spießte ein Stück Lasagne auf. Einerseits hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie sich mehr Sorgen um ihren eigenen Ruf als um ihre Cousine machte. Andererseits war Mariah siebzehn und kein kleines Kind mehr, auf das man aufpassen musste. Sie war für ihr eigenes Leben verantwortlich und sollte intelligent genug sein zu begreifen, dass in der Schule die Sexbombe zu spielen (zur Erinnerung: das war der Ort, an dem all die Rotzgören, Streber, Rebellen, Ladendiebe und Hobby- Mädchenaufreißer zwischengelagert wurden, damit sie ihren Eltern zumindest einige Stunden lang nicht auf die Nerven gehen konnten) Folgen hatte. Besonders an einer katholischen Schule, an der Benehmen zumindest in der Theorie großgeschrieben wurde.

Für die große Masse der chronisch gelangweilten Schüler und Schülerinnen war der kleinste Skandal eine willkommene Gelegenheit, ihre Lästermäuler zu entrosten und ein gut funktionierendes Klatsch- und Tratschnetz aufzubauen. Jugendliche scherten sich nicht darum, ob sie jemandes Ruf durch Gerüchte ruinierten, was Mariah jedoch klar sein sollte.

„Musstet ihr euch in den hintersten Winkel dieser Kalorienmaschinerie verziehen?", ertönte auf einmal eine grummelnde Stimme hinter Alany und Alex und Tiana tauchte an ihrem Tisch auf. Auf ihrem Teller lagen zwei riesige Pizzastücke, was bei ihrer Figur bedeutete, dass ihr Stoffwechsel Kilokalorien im Millisekundentakt verbrennen musste. 

Alex und Alany blickten sich schweigend an.

Sparks/ Amby Awards Shortlist 2023Where stories live. Discover now