《3》

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Nikul | 3

Er rannte den Gang entlang. Ein Flur aus schwarzem Marmor. Sein Herz schlug so schnell, dass es zu platzen drohte. Hinter ihm schlängelte sich unter grausamen und krächzenden Geräuschen ein Wesen aus der Hölle. Der Dämon hatte tausend Augen mit gelber Iris und roter Umrandung, die Nikul fokussierten. Deren Blick ihn zerfetzten. Zehn Tentakelbeine schoben das Monster hinter dem rennenden und schreienden Jungen her. Der Dämon kam immer näher und der Gang vor Nikul schien sich zu verengen.
Von der Decke fing es an, Blut zu regnen. Fast hatte er ihn erreicht. Das Maul der Bestie öffnete sich und tausend Zähne waren in mehreren Ringen in der Schnauze zu sehen. Dahinter die ewige Leere. Er konnte nicht entkommen. Es würde ihn holen.

Nikul schreckte auf und unterdrückte einen Schrei, der zehn andere Arbeiter aufwecken würde. Sein ganzer Körper war schweißgebadet. Was hatte er sich nur gedacht, ihr zuzusagen? Kaum zu trinken und seine Sinne bei vollem Verstand zu lassen?

Es war in dieser Nacht das zweite Mal, dass er aufschreckte. An einem Dritten hatte Nikul kein Interesse.

Einige der Arbeiter, die auf Etagenbetten für jeweils zwei Personen schliefen, schnarchten. Entsprechend wachte niemand auf, als Nikul sich leise und langsam erhob und seine Kleidung sowie die wichtigsten Habseligkeiten zusammen suchte.

Er zog wieder die braune Arbeitshose an und entschied sich für ein weißes Leinenhemd als Oberteil. Nachdem ein paar Wechselsachen in einen Beutel gefüllt waren und er seinen Geldbeutel, der wichtigste Besitz, an die Hose geschnallt hatte, verließ der Holzfäller die Wohnbehausung der Arbeiter.

Sein Blick schweifte über den Sternenhimmel. Kaum Wolken, ein klares Bild zeichnete sich ab. Nikul erkannte einige der Sternbilder und bewunderte sie eine Zeit lang, dabei erfasste ihn eine kühle Brise.

Die Tage waren drückend heiß, während die Nächte in dieser Gegend kalt waren. Auch wenn es nicht nötig war, zu heizen, war der Kontrast zwischen den Temperaturen eine Belastung für jeden Körper.

Zügige Schritte führten ihn einen Kiesweg, der aus dem Dorf leitete, nach Norden, entlang in den Wald. Entgegengesetzt der Richtung zur Arbeitsstelle seines Unternehmens. Kurze Zeit später befand er sich im Forst und konnte die Bäume rascheln und Nachtvögel singen hören.

Es hatte etwas Beruhigendes. Er fühlte sich in diesem wunderschönen Wald für einen Atemzug einsam und wohl zugleich. Der Vollmond schien hell und reichte als Lichtquelle, um sich orientieren zu können, bis Nikul einen versteckten See erreichte, dessen Oberfläche das Mondlicht reflektierte.

Vor dem See befand sich eine Lichtung und um ihn herum wuchsen verschiedene Blumen. Typische schwarze Rosen aus Fredgar mischten sich mit Pflanzen aus Pharos, die so nah an der Grenze in das Biom überschwappen.
Das Leinenhemd und die Arbeitshose wurden hastig ausgezogen und auf einen Baumstamm gelegt. Kurz darauf bewegte sich Nikul nach mehrfachem tiefen ein und ausatmen mit schnellen Schritten in den See. Eisige Kälte hüllte sich um seinen Körper. Kurz schnürte es ihm die Luft ab, aber Gewöhnung an die Wassertemperatur setzte zügig ein.

Tiefes Einatmen. Tiefes Ausatmen. Tiefes Einatmen. Seine Gedanken kreisten und eine leichte Nervosität mischt sich mit ungewohnter Vorfreude auf den morgigen Tag. Auf der Mitte des Sees angekommen, sammelte sich der junge Mann und drang mit aller Kraft in das Wasser ein. Schnelle starke Schwimmzüge ließen ihn in die Tiefe eintauchen. Sein langes, tiefschwarzes Haar schwang im Wasser hinter ihm her. Nikul erreichte nach wenigen weiteren Schwimmbewegungen den Grund und suchte mit Händen und Füßen sein Ziel.

Er konnte nichts sehen, da das Mondlicht so tief im See kaum noch Licht gab und die Luft in seinen Lungen wurde immer knapper. Kurz bevor Nikul aufgab und auftauchte, um einen neuen Versuch vorzubereiten, berührte seine rechte Hand Holz. Erinnerungen an die damit verbundene Vergangenheit ließen den Mann kurz innehalten. Schnell umschlang sein Griff ein kleines Holzkästchen, das durch ein Seil und einen Stein auf dem Grund des Sees lag. So zügig wie möglich tauchte er auf und schnappte erst einmal eine Minute nach Luft, da er die Grenzen seiner Tauchkondition bis zum Maximum ausgereizt hatte.

Am Rand des Sees angekommen, legte er das Kästchen gut sichtbar ab und holte aus seinem Beutel ein Stück Seife, um sich im See zu waschen. Eine Rasur stand ebenfalls dringend an. Aus irgendeinem Grund hatte er nach dem Gespräch mit Kania den Drang dazu.

Sie hatte etwas in ihm geweckt, über das er sich keine Gedanken machen wollte. War es das Verlangen mehr zu erreichen, als Holz zu hacken und sich zu betrinken? Die Gefühle wurden abgeschüttelt und seine Kleidung nach dem Trocknen wieder angelegt. Das Kästchen... er öffnete es langsam und holte sorgsam einen Ring, in dem ein ovalförmiger Edelstein eingelassen war, heraus. Nikul verstaute seinen wertvollsten Besitz, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, im Geldbeutel. Zu viele düstere Erinnerungen kamen hoch.

Das Kästchen verbuddelte er und setzte sich auf einen Baumstamm, um den Wind, die Geräusche des Waldes, den Sternenhimmel, die Einsamkeit und die Ruhe zu genießen, bis die Sonne sich erhob.

The Fredgar Chronicles: Rise of the VodrugWhere stories live. Discover now