《6》

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《 Kania| 6 》

Die Sonne war kaum noch zu sehen, es war jedoch trotzdem noch hell genug, um keine Fackeln zu benötigen, als das Zweiergespann gemeinsam mit Pferd und Karren am üblichen Treffpunkt ankam. In der Mitte der Kreuzung konnten sie schon von weitem sehen, dass ihr Handelspartner bereits auf Nikul und Kania wartete. Jedoch wurde, als sie näher kamen, schnell deutlich, dass er gerade beschäftigt war. Hinter ihm befand sich ein Karren mit Sitzfläche und zwei vorgespannten weißen Stuten, die ruhig standen und die Neuankömmlinge musterten.

Der Händler Vrinsi kniete auf einem blauen Teppich mit roten Verzierungen. Kania hatte Nikul, bevor sie ankamen, den Namen des Händlers und ein paar Hintergrundinformationen verraten. An der nach Westen gewandten Seite des Teppichs befanden sich zwei kopfgroße Statuen. Ebenfalls an der nach Osten gewandten Seite. Vrinsi kniete in der Mitte zwischen ihnen und betete nach Norden. Beim Näherkommen erkannte Kania alle vier Statuen. Nach Westen ausgerichtet die zwei Götter von Pharos. Eldir war der Gott der Fruchtbarkeit und Dürre. Er herrschte über das Sonnenlicht und die Helligkeit. Man verehrte ihn für Reinheit und Ehre. Eldir brachte Regen über das Land. Sein Bruder Xyreus wurde Weltenformer genannt. Er erschuf zwar nicht die Welt, jedoch formte er sie in den vergangenen tausenden Jahren. Wüsten und Oasen, Wälder und Täler, Berge und Flüsse. Selbst das Meer war ihm Untertan.

Nach Osten ausgerichtet konnte Kania die zwei Götter, die in Fredgar verehrt wurden und die Dunkelheit repräsentierten, erkennen. Während die Gläubigen sich vorstellen, dass Eldir und Xyreus in der Sonne über die Welt wachten und sie lenkten, lebten Ruris und Dhagaris in der Hölle, dem Erdkern und wachten über ihre Dämonen. Dhagaris war der Gott der Nacht. Er erschuf den Sternenhimmel und wacht über ihn. Dhagaris entscheidet, welche ehrenhaften Krieger nach ihrem Heldentod als Sterne auf ewig über dem Nachthimmel schweben. Er steuert den Mond und ist Herrscher über die Dunkelheit. Der Gott wird von den Kriegern verehrt und ist Herrscher über den Tod. Seine Schwester Ruris hatte weniger Verehrer als Dhagaris, dafür waren ihre Kulte wesentlich fanatischer. Ruris war die Göttin des Wahnsinns und der Albträume. Gleichzeitig schuf sie in allen lebenden Wesen ein Gewissen und Furcht. Ihre Anhänger verehren sie, da alle Lebewesen, ohne mit einem Gewissen und Albträumen belegt zu sein, Monster wären.

Vrinsi beendete das Gebet kurz nachdem Kania und Nikul eintrafen und dem braunen Hengst zu verstehen gaben, dass er etwas rasten konnte.
»Ich wusste gar nicht, dass du religiös bist, Vrinsi. Und viele Götter scheinst du auch zu haben?« Kania musterte ihn etwas misstrauisch. Tatsächlich gab es kaum Menschen, welche die Götter beider Königreiche verehrten. Sie mögen an ihre Existenz glauben, aber die Götter des anderen Königreichs wurden von den meisten mit Abscheu betrachtet. Pharos unterdrückte Fredgar nun seit vielen Jahren und verlangte dem einst so stolzen Reich umfangreiche Tribute ab. Viele Einschränkungen, die das Militär und die Wirtschaft betrafen, hielten die Bevölkerung arm und ein Aufbegehren war aufgrund von Ressourcenmangel und fehlendem Militär unwahrscheinlich.

Der Händler musterte beide und blickte bei Nikul etwas genauer hin. Sicher, da es sich um einen Unbekannten handelte. »Jeden Tag zum Sonnenuntergang und Sonnenaufgang bete ich. Für mich ist die Welt ein Gleichgewicht aller Aspekte der Götter. Wenn auch nur einer von ihnen fehlt, wären wir in einer anderen, schlechteren Welt. Als reisender Händler interessieren mich die Differenzen und die gegenseitige Abneigung von Pharos und Fredgar nicht. Die Menschen beider Reiche bezahlen meine Waren und Dienstleistungen mit Münzen.« Er zwinkerte dem Zweiergespann zu und fing an den Teppich sowie die Götterstatuen in seinen Karren zu laden »Ich sehe, du hast einen Freund mitgebracht? Willst du ihn gar nicht vorstellen?«

Kania bemerkte, dass Nikul den Händler genauestens musterte und seinen Blick etwas zwischen dem Mann und ihr schweifen ließ. »Nikul kommt aus Muya und arbeitet dort. Er hilft mir ausnahmsweise. Mein Vorgesetzter lässt mich die ganze harte Arbeit sonst immer allein machen. Das konnte sich Nikul als wahrer Gentleman nicht mehr anschauen.« Sie zwinkerte ihm gehässig zu, was nur von einem Stirnrunzeln erwidert wurde. Vrinsi ging leise lachend zur Seite und führte Kania zum Wagen. Seine kurzen braunen Haare waren gepflegt und er trug ein olivgrünes Hemd gepaart mit einer schicken Lederhose. Ein goldener Ring am Ringfinger sowie königsblaue Verzierungen seines Hemdsaums zeigten, dass er ein wohlhabender Mann war. Er führte Kania und Nikul die bestellten Waren vor und las akribisch die Bestellliste vor, während seine Hand gleichzeitig auf die entsprechende Ware gestikulierte. Eine Mischung aus Holzfässern, Kisten und Bündeln wurde von Nikul und Vrinsi innerhalb von fünfzehn Minuten auf Kanias Karren geladen, während sie den Prozess mit Argusaugen überwachte und es sich nicht verkneifen konnte, regelmäßig Kommentare abzusetzen.

Von einer Mischung aus »Vorsichtig, ihr macht noch alles kaputt!« und »Schneller, wir haben nicht den ganzen Abend Zeit!« begleitet, ließ Nikul den letzten Sack Kartoffeln in ihren Wagen fallen und schnaufte etwas durch. Kania musterte ihn verstohlen und dachte sich innerlich, dass die Arbeit als Holzfäller zumindest gut gewesen ist, um seine Muskeln zu stählen. Der Transport von schweren Fässern stellte kein Problem für ihn dar und am Ende war er nicht mal etwas aus der Puste. Kanias Hand wurschtelte in ihrer Hosentasche herum und holte einen Metallschlüssel heraus, mit dem sie ein Kästchen, das unterhalb des Karrens versteckt war, öffnete. Vrinsi wurde für seine Waren bezahlt. Er machte sich nicht die Mühe, nachzuzählen. Da es nicht viele Alternativen gab, wer das Dorf beliefern konnte, würden sie es sich kaum mit ihm verscherzen. Kurz bevor Vrinsi sich wieder auf den Weg machte, fragte er sie noch:
»Und Kania? Glaubst du an die Götter?« Die Frage machte kurz nachdenklich. Tat sie das? Kania entschied sich, neutral mit einer Prise Humor zu reagieren.

»Wenn Sie mir helfen, meine zahlreichen Feinde zu beseitigen, ist mir ihre Anwesenheit willkommen. Ansonsten sollten sie sich aus meinen Angelegenheiten raushalten.«
Vrinsi blieb emotionslos und verabschiedete sich nur mit »Dann möge Dhagaris stets an deiner Seite sein und meine Wenigkeit nie zu deinen Feinden zählen.«

Die Schankfrau kicherte etwas in sich hinein, unterdrückte es jedoch, ihre Gedanken laut auszusprechen. Ach Vrinsi, wenn du nur wüsstest, wie es meinen Feinden ergeht.

The Fredgar Chronicles: Rise of the VodrugWo Geschichten leben. Entdecke jetzt