《1.2》

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《Nikul | 1.2》

Im Gasthaus gab es zehn unterschiedlich große Tische für Gruppen zwischen zwei und acht Personen. An beiden Seiten der massiven Kiefernholztische war jeweils eine Bank der Länge nach aufgestellt. Die neuen Tische bildeten einen Kontrast zu den abgenutzten Holzbänken, die bei jeder Bewegung knarrten und nachgaben.
Das Gasthaus war zum Glück wie erwartet größtenteils leer. Nur eine Gruppe von drei Männern saß in einer Ecke des Raums.

Sie aßen Erbseneintopf, spielten Karten und unterhielten sich laut. Auf der Treppe, die nach oben zur zweiten Etage führte, saß eine blonde, etwas fülligere Bedienung und blickte immer wieder zu den Männern. Hauptsächlich machte sie Notizen in einem Papierblock und würdigte ihn zum Glück nur eines kurzen, leicht angewiderten Blickes. Nikul nahm allerdings an keinem Tisch Platz, sondern ging direkt zur Bar, also musste sie ihn nicht weiter beachten.

Die Bar ... sein zweites Zuhause neben der Schlafpritsche im kleineren der Arbeiterquartiere. Sein Puls fing wieder an zu pochen, als er die andere Bedienung der Schänke betrachtete, die heute hinter der Bar stand. Kania - Einer der wenigen Namen im Dorf, den er kannte. Wenn das dunkle Königreich Fredgar eine wandelnde weibliche Personifikation hätte, dann wäre sie zweifelsfrei diese Person.

Ihre Haut war blass wie Schnee und das Haar hatte sie sich mit einem grauen Stift zu einem Dutt hochgesteckt. Pechschwarz, wie die Nacht, sah ihre Frisur majestätischer aus, als es von einer Schankfrau in einem kleinen Dorf an der Grenze zum Sonnenreich Pharos irgendjemand erwarten würde.

Aufgeweckte, smaragdgrüne Augen durchdrangen ihn, während sie Nikul musterte. Der Holzfäller setzte sich auf den Hocker und ausnahmsweise wich sein Blick nicht aus. Er benötigte Informationen und das schnell. Kania lächelte und zwinkerte ihm frech zu

»Es ist schon fast Mittag und du hast noch keine Fahne? Werde ich gleich zu einem romantischen Abendessen eingeladen, edler Gentleman?«

Er wich Ihrem Blick aus und seufzte leicht. Tatsächlich saß er fast jeden Tag allein in der letzten Ecke der Schenke und betrank sich langsam, aber stetig mit billigem Fusel, um leichter einschlafen zu können. Wenn die Albträume ihn heimsuchten und er die halbe Nacht das Gefühl hatte kurz vorm Wahnsinn zu stehen, kam es auch schon mal vor, dass er der Schänke vor der Arbeit einen Besuch abstattete.

In einem anderen Leben hatte er Leute in diesem Zustand verabscheut. Hatte Sie für Gesindel gehalten. Wahrscheinlich dachten alle 500 Einwohner des Dorfes Ähnliches jetzt von ihm.

Kania verpasste seiner rechten Schulter einen leichten Stupser mit der flachen Hand. Die Gedanken an die Vergangenheit hatten ihn weggetrieben und sein Blick sie wohl zu lange angestarrt.

»Nur weil du keine Fahne hast, heißt das nicht, dass du nicht stinkst, also würde ich vorschlagen, du bestellst etwas und bewegst deinen Hintern auf Abstand.«

Auch wenn sie absolut Recht hatte, machte Kania nicht den Eindruck, sich wirklich an ihm zu stören. Mit gesenkter Stimme antwortete Nikul der jungen Frau, dem Gesicht nach höchstens zwanzig Jahre alt.

»Eine Portion Erbseneintopf und ein paar Antworten ... dann bist du mich schneller los, als dir lieb ist.« Er hielt kurz inne und zwinkerte ihr mit sanftem Lächeln zu: »Das königliche Drei-Gänge-Menü für unser Rendezvous bereite ich gleich im Anschluss vor«.

Die junge Frau sah kurz aus, als hätte sie einen Geist gesehen, sichtlich überrascht, dass er auf ihren Witz einging, und lachte herzhaft.

»Na sowas, dein Vokabular scheint ja umfangreicher als -Mehr Whiskey- zu sein!« Am Tisch in der Ecke des Lokals drehten sich zwei der drei Männer kurz zu ihnen um und runzelten die Stirn, widmeten sich dann jedoch wieder den Karten.

Nikul fuhr sich mit einer Serviette vom Tresen über Gesicht und Hals, um den Schweiß abzuwischen, und steckte sich die Überreste in die rechte Tasche seiner Arbeitshose. Sein Puls beruhigte sich etwas und er fragte leise.

»Ich habe die zwei prächtigen Fredgar-Hengste im Stall gesehen. Mein Vater hat mir früher viel von ihnen erzählt. Sie sollen unglaublich schnell sein ... und teuer.« Er hielt kurz inne und versuchte, beim darauffolgenden Satz nicht wie jemand mit Verfolgungswahn zu klingen »Ich habe mich gefragt, wer zum Teufel in Muya halt macht und solche Tiere besitzt?«

Ihr Blick schien für einen Moment etwas ernster zu werden, lockerte sich aber wieder auf, als würde sie versuchen, ihre Gedanken zu überspielen.

Sie sah ihn ernst ein »Ich hoffe, du verstehst, was das bedeutet und dass du keine weiteren Fragen dazu stellen solltest.«

Die Farbe, die er in den letzten Monaten erlangt hatte, wich ihm schlagartig aus dem Gesicht und seine Gedanken fingen vor Panik an zu kreisen. Zwei Männer der Vra'Ghul, eine der Eliteeinheiten des Königs von Fredgar.

Im Gegensatz, zu der Tor'Ghul, einer gefürchteten Eliteeinheit für die Schlacht und den direkten Nahkampf, waren die Vra'Ghul für Geheimoperationen, den Schutz wichtiger Persönlichkeiten und Attentatsaufträge ausgebildet. Sie kannten jegliche Gifte des Kontinents und waren in der Lage, diese auf Dutzende verschiedene Arten zu übertragen. Von der Berührung einer Türklinke bis zur Windböe.

Da kaum ein Bewohner Fredgars je einem Vra'Ghul begegnet ist, ranken sich nur Mythen um sie. Gerüchten nach trugen sie schwarze, zerfledderte Stoffmäntel und matte, dunkle Dämonen Masken. Jedes Mitglied der Vra'Ghul soll den Erzählungen nach eine eigens für ihn zugeschnittene Gesichtsmaske besitzen, die das Ebenbild seines Seelenverwandten in der Schattenwelt darstellt. Dass die Vra'Ghul wohl gerade aus Pharos kamen, welches seit über hundert Jahren Fredgar unterdrückt, kann nur Ärger bedeuten.

Woher wusste Kania wie ein Vra'Ghul aussah und aus welchem Ort sie kamen? Am liebsten hätte Nikul die junge Frau beiseite gezerrt und ihr tausend Fragen gestellt, aber mit einer Sache hatte sie unweigerlich recht. Wenn zwei von ihnen wahrhaftig hier waren, war es besser nicht zu viele Fragen zu stellen und sich bedeckt zu halten. Suchten sie ihn? Falls ja, hätten sie Nikul längst gefunden und mitgenommen oder gleich an Ort und Stelle vergraben. Und sie wären sicher nicht aus Pharos gekommen.

Ein Erbseneintopf, der vor ihm auf den Tresen geknallt wurde, schreckte ihn aus den Gedanken. Die füllige blonde Bedienung hatte ihn gebracht und wünschte Nikul guten Hunger. Er kannte nicht mal ihren Namen, hatte andere Sorgen. »Danke für die Antworten Kania. Ich werde das Essen mitnehmen.«

Seine Hand ließ flink zwei Kupfermünzen aus dem Geldbeutel an seinem Gürtel auf den Tresen fliegen. Er drehte sich direkt um und marschierte schnurstracks zur Tür. Aus den Augenwinkeln erkannte er, wie Kania die Stirn runzelte und ihm hinterher sah.

Etwa fünf Stunden später senkte sich die Sonne langsam so weit, dass der Himmel orangene Züge annahm, und die mit saftigen grünen Blättern geschmückten Bäume des malerischen Walston Forest anfingen, die Farbe des Sonnenuntergangs zu reflektieren. Es hatte zwischenzeitlich einen kurzen Regenschauer gegeben, der für die Holzfäller eine erfreuliche Abkühlung bedeutete.

Nikul hatte sich entschieden, in Muya zu bleiben, anstatt panisch wegzulaufen und damit Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die Entscheidung verlangte ihm alles an Mut ab, es schien dem jungen Mann nach reichlich Abwägung aber das Klügste zu sein.
Seit Stunden schlug er auf die hohen und kostbaren Bäume des Waldes ein. Koordinierte mit den anderen den Fall der Stämme. Trug sie, mit Unterstützung von Apparaturen, die Rechts und Links große Räder und in der Mitte eine stabile Stahlstange hatten, zum Ablageort. Unterstützte beim Sägen der Bretter. Normalerweise half ihm die harte Arbeit, sich auf das Hier und jetzt zu konzentrieren. Seine Gedanken wüteten allerdings.

Auf dem Weg zurück zum Dorf war er nah dran, seine Meinung zu ändern und die Beine in die Hand zu nehmen.
Nach Süden ... zur Piratenbucht. Da sucht und findet mich niemand. Ging ihm immer wieder durch den Kopf. Da sie sich an der westlichsten Stelle Fredgars befanden, nah an der Grenze zu Pharos, konnte man mit einer Fußreise von etwa einer Woche nach Süden in ein neutrales Gebiet gelangen.

Die Piraten, die dort lebten, hatten es geschafft, ein Handelsimperium aufzubauen und gute Beziehungen mit den benachbarten Königreichen zu pflegen, indem ihre Beutezüge diese nicht betrafen und weit entfernt stattfanden.

Ausnahmsweise mal Glück gehabt! Ging dem schwarzhaarigen jungen Mann auf dem Weg zu seiner Arbeiterunterkunft durch den Kopf.

The Fredgar Chronicles: Rise of the VodrugWhere stories live. Discover now