《 30 》

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 《 Viktor | 30 》

Sand peitschte auf seine fahle Haut. Das vom Alter gezeichnete Gesicht des Bibliothekars veränderte sich in den letzten Tagen merkbar. Die Falten wurden immer tiefer und schwarze Augenringe verzierten seine finstere Iris. Um ihn herum erstreckte sich eine unendliche Weite an Dünen. Die Sonne brannte zerstörerisch auf seiner Haut. Selbst die abgenutzte graue Robe konnte nicht verhindern, dass die darunter liegenden Hautschichten durch Sonnenbrand gerötet waren. Nur die widerstandsfähigsten und durch Jahrhunderte der Evolution angepassten Tiere existierten unter den Lebensbedingungen der Sirani Wüste. Eine handgroße, grüne und mit Schuppen bedeckte Echse zischte blitzartig davon, als Viktors Gehstab in den Boden stieß. Vereinzelte Kakteen boten den Tierchen eine Lebensgrundlage. Sein Kopf hob sich leicht. Sandkörner peitschten vom Wind getragen in die regungslosen Augen. Viktors Sicht war weiterhin von einer allumfassenden Dunkelheit umnebelt, er nahm weder Schmerzen noch Hitze wahr. Egal wie weit sein Blick in den Horizont fiel, nichts außer Dünen, im Wind wehende Wellen von Sandkörnern und blauer wolkenloser Himmel.

Der Wasserbeutel des alten Mannes war seit Tagen geleert, ohne die Brut in seinem inneren hätten längst alle lebenswichtigen Organe versagt. Doch etwas hielt ihn auf Kurs und ließ den obersten Bibliothekar von Fredgar unentwegt auf sein Ziel zuwandern. Gelegentlich war er in der Lage klare Gedanken zu fassen. Viktor überlegte, ob er wirklich am Leben war oder er sich in einer Art Fegefeuer aufhielt. Immer wieder nahm er Gespräche und Empfinden aus einer anderen Welt wahr. Seine Seele riss hin und her. Die Erkenntnisse waren flüchtig, in den seltensten Fällen war Viktor einige Minuten später noch in der Lage seine Visionen zu rekapitulieren. Doch manches Hängen und der Wanderer setzte alles daran sich zu erinnern. Er vergas seinen eigenen Namen und seine Vergangenheit. Das war der Preis, um an Wissen hinter dem Schleier aus Finsternis festzuhalten.

Einen Tag später leuchtete ein sichelförmiger Halbmond über der Wüste und spendete selbst in der düstersten Nacht etwas Licht. Viktor benötigte diese Quelle nicht, seine Wahrnehmung war seit geraumer Zeit auf einer ganz anderen Ebene als den menschlichen Sinnen. Er hätte es nicht mit Worten beschreiben können, wenn ihn jemand darum bat. Doch der Greis nahm alles um sich herum genauestens wahr und steuerte ohne die geringsten Orientierungsprobleme auf sein Ziel zu.

Er überquerte gerade eine höher gelegene Düne und sein Innerstes fing an, sich zu verzehren. Die Wüste gab den Blick auf Viktors Bestimmungsort frei. Vor ihm erstreckte sich eine aus Lehmhütten aufgebaute Oasenstadt. Zu den bräunlichen Lehmhütten mit Strohdächern gesellten sich vereinzelt mit gelblichem Mörtel konstruierte Häuser. Auf ihren Dächern brannten Fackeln und erleuchteten die Kleinstadt unterm sternenklaren Nachthimmel auf atemberaubende weiße. Menschlichere Wesen als Viktor hätten die Oasenstadt wunderschön und idyllisch genannt. Er hingegen hatte für so etwas keinen Sinn mehr. Mit einem klaren Ziel vor Augen schritt der Greis seinen Gehstock rhythmisch bewegend auf die Siedlung zu. Um sie herum zog sich eine Palisade aus Holz. Die zwei Wachen am Eingang ließen ihn wortlos passieren. Ihre Gesichter waren schweißnass und die Hände zitterten panisch. Mit ausdruckslosen Augen starrten sie in die Nacht.

Die wenigen Menschen auf der Straße kamen gerade aus dem Gasthaus der Ortschaft oder waren auf dem Weg dorthin. Angetrunkenes Gelächter verstummte und die Pharosianer erstarrten, sobald Viktor ihnen näher kam.

Eine quietschende Holztür öffnete sich behutsam und der alte Mann trat ein. Das Gasthaus war mit Dutzenden kleinen Tischen ausgestattet, auf denen Schnapsgläser, gebratenes Fleisch, Kartenspiele und Würfel lagen. Fast alle Sitzmöglichkeiten waren belegt und eine Mischung aus schallendem Gelächter und durch Alkohol versetzte Luft schlug ihm entgegen. In der Mitte befand sich eine große Feuerstelle, über der Fleisch Spieße drehten. Sie spendete dem Raum Wärme und Geborgenheit.

Viktor nahm am Feuer Platz. Er atmete tief durch. Der Raum war auf einen Schlag still. Die Flamme schwächelte und hielt sich kaum am Leben. Kalte Windböen zogen durch die offene Tür und einige Fenster. Alle starrten ihn regungslos an. Ihre Gesichter waren wie eingefroren.

»Lasst mich eine Geschichte erzählen.« Viktors Mundwinkel bewegten sich kaum. Eine tiefe dämonische Stimme erhellte den Raum. Allein ihr uralter unnatürlicher Klang war in der Lage Leben hinfort zu fegen.

»Die Geschichte handelt von einem ehrgeizigen jungen König. Er war Abkömmling eines Gottes und als solcher mit vielen Gaben gesegnet. Doch seine Gier kannte keine Grenzen. Er war nicht imstande seine Sterblichkeit zu akzeptieren. Der Junge wollte mehr und mehr und mehr... seine Machtgier war schier grenzenlos. Er beging ein Unrecht, das unsere Welt erschütterte. Es verschob das Gleichgewicht für immer und brachte alles ins Wanken. Ungesehen und unverstanden von den Menschen um ihn herum errichtete das Junge ein Imperium, um sich vor der Rache zu schützen. Seit dem Tag seines Verbrechens lebt er in Angst vor den Konsequenzen.«

Die Stimme wurde immer tiefer und war mittlerweile auch weit außerhalb der Taverne zu hören.

»Er soll wissen, dass der Preis schon bald fällig ist. Er wird bezahlen.«

Von außen betrachtet war die Siedlung, kaum noch zu sehen. Ein düsterer Nebel durchzog sie und löschte alle Lichtquellen aus. Schreie durchschossen die Oase und beendeten das idyllische Leben unterm sternenklaren Nachthimmel. Ranken aus Dunkelheit stachen die Bewohner in der ganzen Stadt nieder, vogelhafte Wesen mit Klauen und langen Hälsen brachen aus dem Himmel und stürzten sich auf die Überlebenden. Viele der Pharosianer verfielen in Rage. Sie wendeten sich mit allem, was zur Verfügung stand, gegen ihre eigene Familie, Nachbarn und Freunde.~

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Er war Kommandant der vierzehnten Sonnenlegion und eigentlich auf dem Weg zur Grenze. Seine Befehle lauteten der achten Sonnenlegion aufzuschließen und die Stadt Varis zu besetzen. Eigentlich war der Plan, an dieser Oase nur ihre Vorräte aufzustocken und dann schnellstmöglich zur Grenze zu reisen. Doch die Berichte der Späher waren so unglaubwürdig und verstörend, dass er sich persönlich ein Bild machte.

Der Kommandant watete von wenigen vertrauenswürdigen Männern begleitet durch ein Blutbad. Der Sand zu seinen Füßen war zu großen Teilen rot gefärbt. Überall lagen Leichen. Jeder verdammte Mensch in dieser Stadt war tot. Die Untersuchung der Umstände ergab so mannigfaltige Todesursachen, dass völlig unklar war, was hier geschah. Manche stürzten von Gebäuden, andere wurden mit einer Bratpfanne totgeschlagen. Hunderte wiesen Spuren von Bissen und Klauen auf. Der Rest hatte tiefe Stichwunden, die keiner gewöhnlichen Waffe zuzuordnen waren.

»Niemand darf etwas erfahren, bis geklärt ist, was hier geschah. Lasst die Armee einige Kilometer entfernt ein Lager aufschlagen. Und bereitet mein Pferd vor. Ich muss nach Davos... «

Er betrat von zwei völlig verstörten Wachen flankiert das Gasthaus im Zentrum der Kleinstadt. Auf einem Stuhl saß ein alter leichenblasser Mann mit ausgefallenen Haaren. Er atmete noch. In die Wände um ihn herrum waren Dutzende Leichen eingedrückt. Als hätte etwas sie so stark dagegen gepresst, dass ihr Material nachgab. Überall an der Wand stand in Blut geschrieben:

»Zahl den Preis«

The Fredgar Chronicles: Rise of the VodrugWhere stories live. Discover now