《 13.1 》

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Kania| 13

Es sollte ihr nichts ausmachen. Sie hatte eine Mission und befand sich in akuter Gefahr, Ihr Körper war geschunden. Trotzdem traf es sie tief im Herzen, das sie in seinen Augen ein Monster war. Anjas Tod bereitete Kania keinerlei Freude, aber er war Teil des Auftrags. Sie handelte auf Basis ihrer Ausbildung und hinterfragte die Entscheidung nicht. Ihre nunmehr ehemalige Arbeitskollegin hätte dieses Dorf niemals verlassen und bei der ersten Gelegenheit gesungen wie eine Kirchenmaus. Wahrscheinlich wäre Folter nicht mal nötig.

Anja hat nichts Falsches getan, aber sie war eine Gefahr für Nikul, für das ganze Königreich und schlussendlich auch für Kania selbst. Sie musste folgerichtig beseitigt werden. Was die Kleine anging, drehte sich der jungen Frau der Magen um. Sie fühlte sich körperlich schon elendig genug, lag ihr die Kälte der Dunkelheit doch noch tief in den Knochen. Ihre Wunde brannte schmerzvoll und die Quetschungen begleiteten jede Bewegung mit einem Orchester aus ziehenden Schmerzen.

Sie verdrängte die Unannehmlichkeiten, um sich vorerst auf ihre Mission zu konzentrieren. Unglücklicherweise war da noch die letzte Zeugin des Geschehens. Kania hätte es am liebsten schnell hinter sich gebracht, aber nachdem Nikul sie aufhielt, argumentierte die junge Frau innerlich dagegen an. Wägte Vor- und Nachteile ab. Schätzte das Risiko ein. Ungeachtet aller emotionalen Vorbehalte kam sie zum Fazit, das Nikul für immer abzuschrecken und gegen sich aufzubringen ihre Mission mehr gefährdete als dieses Mädchen am Leben zu lassen. Kania tötete noch nie ein Kind und würde zum Glück auch heute nicht damit anfangen.

Eine große Last fiel von den ramponierten Schultern, nachdem der Entschluss feststand, Nikul seinen Willen zu lassen und das Wagnis in Kauf zu nehmen. Ein Risiko, dass Pharos von den Vorkommnissen erfuhr und die Hölle über dieses Königreich herabregnen ließ.

Kania gab dem jungen Vodrug klare Anweisungen. Er sollte ohne Habseligkeiten zu retten zwei der im Stall des Gasthauses eingepferchten Pferde satteln und das Nötigste an Proviant aus dem Wirtshaus mitnehmen. In spätestens fünf Minuten wären ihre Spuren hier verwischt und die Gruppe über alle Berge. Nikul behielt seine Fragen für sich. Zumindest erspart er mir weitere Diskussionen ... hoffentlich stellt er nichts Dummes an. Sie malte sich ein paar Szenarien aus, verdrängte die Risiken jedoch wieder.

Ohne sich gegenseitig zu Vertrauen würde keiner von ihnen die nächsten Tage, wenn überhaupt Stunden, überstehen. Kania befand sich mittlerweile im Keller und traf alle nötigen Vorkehrungen, um ihre ehemalige Betriebsstätte und damit den wichtigsten Besitz ihres Arbeitgebers von der Weltkarte zu tilgen. Der Wirt braute hier unter fragwürdigen Sicherheitsstandards nicht nur Alkohol, sondern experimentelle Tränken aller Art. Kurz nach ihrer Anreise hier hatte er es bei Kania mit einem provisorischen Verführungstrank versucht. Absurderweise lachte sie bei dem Gedanken laut und sah aus, wie eine Geisteskranke, während sie in verkrüppeltem Zustand einen grauen Stift aus Ihrem Dutt zog. Ihre glatten Haare fielen nach unten und lagen nun offen.

Der Stift, für Außenstehende nur als Halterung für ihre Frisur zu erkennen, wurde in der Mitte zerbrochen und das darin enthaltene Schießpulver durch den Raum gestreut. Sie ging extrem vorsichtig damit um. Die Menge reichte, um einen Pferdekarren in die Luft zu jagen, aber nicht für das ganze Gasthaus. In Kombination mit den mannigfaltigen Utensilien des Wirts, die hier unten lagerten, dürfte das Explosionspulver jedoch genügen. Zumindest so Kanias Hoffnung. Es folgte der letzte und mindestens genau so wichtige Schritt, bevor Kania sich aus dem Staub machen konnte. Sie lockerte einige lose Ziegelsteine mit einem Dolch und zog sie aus der Wand, um ein Geheimversteck freizumachen. Dort lagerte ihre Ausrüstung. Zwei Kurzschwerte mit Zacken die es ermöglichten Feinde problemlos zu entwaffnen und ein stabiler kleiner brauner Rucksack. Sie hatte keine Zeit, den Inhalt zu kontrollieren, wusste aber genau, was sich darin verbarg. Shuriken, Wurfmesser, Gifte, Ihre Maske, Rauchbomben, zwei Dolch und weitere lebensverlängernde Utensilien. Zumindest was mein eigenes Leben angeht.

Sie grinste leicht und bereitete die provisorische Schnur zum Einleiten der Explosion vor. Führte Sie sorgsam und zügig zugleich die Treppe nach oben hinauf. Hätte ich beim Kampf gegen ihren Anführer doch bloß meine Ausrüstung griffbereit gehabt.

Draußen angekommen schlug ihr frische Nachtluft entgegen und der Mond erleuchtete in Kombination mit einigen über die Straßen verteilten Fackeln das Dorf. Sie merkte erst jetzt wie bestialisch es im Gasthaus nach Tod und Verwesung stank und atmete mit einem tiefen Zug die frische Luft ein. Ihr knapper Blick zum Stall versicherte Kania, dass Nikul und Arya bereit zur Flucht waren. Sie standen im Schutz der Dunkelheit mit dem alten braunen Hengst und einer jungen weißen Stute gesattelt und reisebereit am Eingang. Kurz darauf entzündete ein Streichholz aus ihrer Ausrüstung die bis zum Keller gelegte Schnur. Ein für ihre Verletzungen fast schon übermenschlicher Sprint katapultierte Kania auf den braunen Hengst. Nikul schnappte sich die weiße Stute und Arya setzte hinter ihm auf.

»Gib Ihr die Sporen und folg mir, hier wird's gleich ungemütlich«, genügte zur Warnung. Kania trieb Ihren alten braunen Hengst, der sich heute bereits verausgabt hatte, an. Sie stellte mit einem Blick nach hinten sicher, dass Nikul ihrem Kommando nachkam, und lehnte sich etwas vor, um dem Hengst ins Ohr zu flüstern

»Du musst heute stark sein mein alter Freund.« Die Gruppe war keine hundert Meter entfernt, als die geplante Explosion im Keller erodierte. Der Boden schien für einen Moment zu beben, nachdem die Detonation sich ausbreitete, und das gesamte Gebäude inklusive Stall und Anbauten erfasse. Beide Pferde schreckten auf und scheuten unkontrolliert. Die Explosion betäubte Kanias Ohren. Nach einer kurzen Erholungszeit summte stummes Piepen als Folge der Überbeanspruchung ihres Gehörs.

Nikul hatte einen Moment Schwierigkeiten, die weiße Stute wieder unter Kontrolle zu bekommen. Sie war für solche Abenteuer definitiv nicht ausgebildet. Kania schaffte es, ihren alten Hengst mit beruhigenden Handbewegungen zu besänftigen. Nikul benötigte etwas mehr Zeit, um sein Pferd unter Kontrolle zu bringen, folgte Kania schlussendlich jedoch wieder und schloss auf.

Dabei fing sie seinen Blick auf und tat sich schwer ihn zu deuten. Vielleicht schwang tief in seinen Augen Hass auf die Mörderin von Anja mit. Sie mussten die Angelegenheit zu einem späteren Zeitpunkt aus der Welt schaffen. Die Gruppe preschte gerade durch den Nordausgang Muyas und die Erleichterung das schlimmste hinter sich zu haben ließ Kania Schmerzen und Erschöpfung, die Ihrem Körper zugefügt wurden, deutlich wahrnehmen. Einen Blick zurückwerfend erklärte sie ihren Gefährten:

»Wir nutzen den Schutz der Nacht, solange es geht, um möglichst viel Distanz aufzubauen, dann können wir ....«

Kanias Ausführung wurde jäh unterbrochen und sie gab ihrem Hengst die Sporen.

»Weg hier!« Nikul folgte Ihrem Blick und tat es ihr umgehend gleich. Rufe einer fremden Sprache durchdrangen die Stille der Nacht und eine Truppe von zehn Reitern in goldenen Rüstungen kam aus dem Westen Muyas auf sie zu. Einer der Soldaten entdeckte Nikul und schlug umgehend Alarm. Der Ruf war unverkennbar. Kania kannte die grundlegenden Züge der Sprache ihres Feindes und übersetzte sich, dass man die Drei erledigen soll.

Das laute aufschlagen von Pferdehufen auf Erde unterbrach die Stille der Nacht und Kania hatte nur wenige hundert Meter Abstand zu ihren Verfolgern. Den Rufen nach verlangten die Männer aus Pharos ihren Pferden alles ab, um aufzuholen. Kämpfen ... wir müssen kämpfen. Ihr geschulter Verstand wog die Möglichkeiten ab, zu entkommen, und stellte berechnend fest, dass es keine gab. Ihre Pferde waren erbärmliche Nutztiere. Für das Ziehen von Karren und die Arbeit auf dem Land gezüchtet. Alt und gebrechlich. Ihre Verfolger hatten frisch erholte Tiere, für den Krieg und die Jagd trainiert.

Sie werden die drei in kürzester Zeit einholen. Wir brauchen ein Wunder. Ihre Gedanken erstarrten als Pfeile anfingen an ihnen vorbeizuziehen. Kania drehte vom Reiseweg ab und führte die Gruppe direkt ins Waldesinnere. Bäume und Dunkelheit gewährten nicht nur Deckung, sondern auch Sichtschutz. Mit etwas Glück waren sie imstande ihre Verfolger im Schutz der Nacht mithilfe des undurchsichtigen Walston Forest abzuschütteln.

Nikuls Stute holte auf und war nun gleich auf mit Kania. Der Vodrug sah sie verzweifelt an. Er war sich Ihrer Situation ebenfalls bewusst. Viel Zeit für den Austausch von gegenseitigem Mitleid blieb aber nicht. Beide waren voll darauf konzentriert ihre Pferde nicht in einen Baum oder von einer Anhöhe zu navigieren.

The Fredgar Chronicles: Rise of the VodrugWhere stories live. Discover now