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Kania| 4

Der alte braune Hengst war mittlerweile nicht mehr dafür geeignet, den Karren zu ziehen, es gab jedoch keine Alternativen und der Weg war nicht allzu weit. Also musste sie mit dem Arbeiten, was zur Verfügung stand.
Kania spannte das vertraute Pferd vor den Karren und tätschelte ihm verständnisvoll den Kopf.

»Keine Sorge, ich überanstrenge dich nicht«, flüsterte sie ihm ins Ohr und legte das Geschirr weiter an. Sie war eine ausgezeichnete Reiterin und liebte es, auf schnellen Pferden durch Wälder und flache Ebenen zu jagen. Leider gab es hier keine Möglichkeit dazu, darum verdrängte sie ihre Gedanken an das Gefühl und beendete die Vorbereitungen.

Der Karren hatte keine Sitzmöglichkeiten. Sie und Nikul, falls er denn tatsächlich erschien, würden neben dem morschen Gerät hergehen müssen. Die Räder waren erst frisch restauriert, nachdem eines von ihnen auf der letzten Versorgungstour brach. Sie sollten den Weg problemlos überstehen, soweit der Rest des mürben Holzes nicht auseinanderbrach.

Pünktlich zum Sonnenaufgang schlenderte Nikul auf Kania zu. Etwas überrascht, dass er aus dem Wald und nicht aus Richtung der Arbeiterwohnungen ankam, kommentierte die Schankmaid den Umstand nicht weiter. Sie wünschte ihm nach einer kurzen Musterung einen wunderschönen guten Morgen.
Eine Mischung aus Nachdenklichkeit und Müdigkeit war auf seinem Gesicht zu sehen. Bei genauerer Betrachtung zeichneten sich leichte Augenringe ab. Ansonsten machte er zu ihrem Entzücken aber den Anschein, in gutem Zustand zu sein.

»Hast du die ganze Nacht Seife an dir abgeschrubbt oder habe ich eine Feier verpasst?« Warf sie ihm neckisch zu, während beide ihre überschaubare Reiseausstattung in den Karren verstauten. Eine Antwort blieb aus.
Kania trug gemütliche braune Wanderschuhe, eine locker sitzende, schwarze Hose und ein beigefarbenes, luftiges Oberteil. Damit sollte die Hitze der Mittagssonne zu ertragen sein.

Während Nikul nur einen Sack mit seinen Habseligkeiten in den Karren schmiss, gab ihm Kania einige Befehle. Er solle den Rest ihrer Vorräte aus der Schenke holen und einladen.
Nahrung für zwei Tage, Feuerholz für ein nächtliches Lager, Wasser, um bei der Mittagssonne hydriert zu bleiben.

»Wie lautet der Plan genau?«, fragte er beiläufig und spielte nervös an seinem Geldbeutel rum.

»Wir brauchen bis zum Sonnenuntergang, um uns bei einer Kreuzung mit dem Händler, der die Schenke versorgt, zu treffen. Dann übernachten wir an einem geeigneten Lagerplatz und reisen zurück. Morgen Abend werden wir wieder hier sein. Wenn alles glatt geht.«

Nikul nickte zufrieden. Der Plan schien seinen Vorstellungen zu entsprechen.
Kania schmiss ein paar Felle und zwei Matten in den Karren, da es nachts kalt wurde. Sie gab dem Pferd einen Klapser, dann machte sich die Gruppe auf Richtung Varis.

Etwa drei Stunden später hatten sie mehrere Kilometer hinter sich gelassen. Kania verbrachte einen großen Teil der Zeit auf der Matte im Karren liegend und futterte aus dem Versorgungsbeutel. So lange keine Waren eingeladen waren, hatte sie im morschen Gerät Platz.
Eine wilde Mischung aus Käse, Brot, Schinken und Früchten wurde elegant verschlungen, während Nikul neben dem Pferd her schlenderte und verträumt ins Nichts starrte. Hin und wieder sah Kania, wie er aus seinen Träumen aufschreckte und die Gegend genau musterte, um potenzielle Gefahren zu erkennen. Die Reise verlief bisher völlig unproblematisch.
Der Hengst hatte kaum Erschöpfungserscheinungen und sie mit Nikul noch keinen großen Wortwechsel angefangen. Von seiner Seite aus kam sowieso nichts.

Kania sprang elegant vom Wagen und schloss zu ihm und dem Pferd auf. Zeit, dem Kerl etwas auf den Leim zu fühlen.

»Jetzt, wo ich dich in meinen Fängen habe und du nicht mehr entkommst. Warum hast du überhaupt zugesagt?« Ihre linke Hand fing an, etwas nachdenklich am Kinn rumzuspielen. Sie hielt Schritt und starrte in die Ferne des Trampelpfads, dem das Gespann folgte.

»Warum hast du mich gefragt?«, erwiderte er plump und schien nur bedingtes Interesse am Gespräch zu haben.

»Ich machte mit Sorgen, wie es mit dir weitergeht. Jeden Tag nur arbeiten und trinken ... allein.« Die Worte waren ernst und entsprachen der Wahrheit. Vielleicht konnte sie mehr über ihn erfahren.

»Niemand sollte sich Sorgen um mich machen. Ich bin wie ich bin.«, kam wieder abschweifend zurück, auch wenn sein Blick etwas überrascht und leicht erfreut schien.

»Falls du schon immer so warst, muss es sehr anstrengend gewesen sein, mit dir aufzuwachsen. Oder gar dich groß zu ziehen.«
Er zuckte etwas zusammen, offenbar traf sie ungewollt einen Nerv.

Eine unerwartet persönliche Offenbarung. Kania war wohl ungewollt ins Fettnäpfchen getreten. Sie schaute ihn entschuldigend an und hakte nicht nach, was mit seinen Eltern passiert ist.

Ihr Kopf ratterte und die Schuldgefühle wichen Neugier. Kania versuchte, seine Geschichte zu verstehen und mit ihrem mysteriösen Auftrag in Einklang zu bringen.
Da er ihr gestern erzählte, dass er einen Vater besaß, schien das Thema komplizierter.

»Das tut mir leid ...«, murmelte sie und fragte nach ein paar Minuten Schweigen mit stetem Fortschreiten der Gruppe.

»Also? Warum hast du zugesagt? Gib's zu, dir wurde es selbst langweilig!«

Er grinste leicht »Du hast wie eine Frau in Not ausgesehen. Ich hatte Mitleid«, was Nikul direkt einen sanften, aber präzisen Boxer in die Rippen einbrachte und kurz aufheulen ließ.

»Dann freue ich mich über dein Mitgefühl«, kommentierte Kania gelassen seinen rachsüchtigen Blick und wurde schneller »Wir sollten die Geschwindigkeit etwas erhöhen. Nicht, dass wir noch unser Treffen verpassen.« Ihre Gefühle waren gemischt. Sie wollte herausfinden, was es mit Nikul auf sich hatte und warum sie einen Holzfäller aus Muya überwachte. Er machte es ihr nicht leicht. Die Reise würde jedoch sicherlich helfen.

The Fredgar Chronicles: Rise of the VodrugWhere stories live. Discover now