36. Kapitel - Therapie

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Mir stand eine zierliche, ältere Frau gegenüber, die mich freundlich anlächelte.

„Hallo, du musst Sam sein. Freut mich dich kennenzulernen."

„Hallo."

„Ich bin Mrs. Rutherford", sagte sie und reichte mir die Hand. Der höflichkeitshalber schüttelte ich ihr die Hand und setzte mich anschließend in einen pastellgrünen Sessel, gegenüber von Mrs. Rutherford. Schweigsam starrte ich sie an und wartete darauf, dass sie mir die erste unangenehme Frage stellen würde. Vielleicht etwas Belangloses, wie: „Wie gehts dir?" oder „Was sind deine Gedanken zu dieser Sitzung?", das mich jedoch trotzdem in Verlegenheit bringen würde. Aber Mrs. Rutherford stellte keine dieser Fragen. Stattdessen gab sie mir Zeit anzukommen, mich umzusehen und sie ausgiebig mustern zu können. Sie hatte nicht die giftroten Haare, wie ich es bei ihrem Namen vermutet hatte und sie hatte auch keine harten Gesichtszüge, die einen unwohl fühlen lassen würden.

Stattdessen saß sie mit ihrem grauem, hochgestecktem Haar da und wartete darauf, dass ich bereit war. Angesichts meiner Umstände wollte ich weiterhin nicht hier sein und hätte sie mir die Möglichkeit geboten durch die Tür wieder zu verschwinden, wäre ich aufgestanden und gegangen, aber ihre ruhige, entspannte Art gab mir wenigstens das Gefühl, dass die Therapiestunden ein kleines Bisschen weniger ätzend werden würden, als ich gedacht hatte.

Was erst eine gut gemeinte Geste gewesen war, wurde langsam unangenehm. Ich starrte die Uhr über ihrem Stuhl an und stellte erstens fest, dass ich zehn Minuten zu spät dran war und zweitens, dass wir uns bereits zwei ganze Minuten schweigend gegenüber saßen. Jetzt fing es an in meinem Kopf zu rattern. Worauf wartete sie noch? Sollte ich etwas sagen? Oder würde sie mir irgendwann einfach eine Frage stellen? Falls sie das nicht tun würde, was sollte ich dann sagen? Sollte ich eine Frage stellen? Aber was könnte ich sie schon fragen? Aus Büchern wusste ich, dass es Therapeuten nicht gerne sahen, wenn man sie nach ihrem Privatleben fragte. Ich wusste warum ich hier war, es ging nicht um sie, es sollte um mich gehen. Dieser Gedanke machte mich noch unruhiger. Wenn der Fokus nur auf mir lag, würde sie früher oder später merken, dass es mir ganz und gar nicht gut ging. Ich seufzte. Okay, ich brauchte etwas, um das Gespräch erst mal in eine harmlose Richtung zu lenken. Ich starrte wieder auf die Uhr. Drei Minuten waren es jetzt schon, in denen wir uns anschwiegen. Zeit! Ja das war ein guter Anfang.

„Ähm Entschuldigung, dass ich zu spät bin... ich hatte noch ein Gespräch mit Janine." Mrs. Rutherford nickte.

„Das macht nichts, wir haben genug Zeit." Ich lächelte zustimmend, weil ich das Gefühl hatte irgendeine Reaktion auf ihre Aussage zeigen zu müssen.

„Weißt du, warum du hier bist?" Ich runzelte die Stirn.

„Ja? Also um meine Magie zu verbessern." Mrs. Rutherford nickte wieder und studierte dabei meinen Gesichtsausdruck. Ihre braunen, starrenden Augen wurden mir allmählich unangenehm, also wandte ich den Blick ab und schaute mich im Zimmer um. Erst jetzt bemerkte ich, dass es gar nicht die Psychiater-typische Liege gab, auf der die Patienten lagen und von ihrem schmerzendem Leben erzählten. Auch so, es waren keine Bilder mit seltsamen Mustern ausgehangen, nichts in diesem Raum erinnerte an eine Psychotherapeutin. Durch die großen Fenster war der kleine Raum mit Tageslicht hell erleuchtet. Gegenüber der Tür stand ein Schreibtisch, mit Computer, daneben ein Schrank mit diversen Akten. Der Raum ähnelte eher einem Büro, als einem Therapeutenzimmer. Es gab kein Warteraum, in dem die verschiedensten Leute saßen, sich gegenseitig anstarrten und sich womöglich fragten, was der Andere wohl für eine Störung hatte. Hatte ich diese ganze Therapiesache falsch verstanden? Waren das vielleicht doch nur lockere Gespräche über mögliche Probleme?

„Ja, das fasst es gut zusammen", sagte Mrs. Rutherford und zog damit wieder meine Aufmerksamkeit auf sich.

„Seit wann bist du beim Weißen Orden?", fragte sie mit ruhiger, leicht hoher Stimme und verschränkte die Finger auf ihrem Schoß.

Zufälle gibt es nicht! (2. Teil)Where stories live. Discover now