45. Kapitel - Hilfe

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Unruhig ging ich vor der Tür von Mrs. Rutherford auf und ab. Der Gedanke ihr gleich von meinen Problemen erzählen zu müssen, löste in mir regelrecht Panik aus. Gestern Abend hatte ich sie telefonisch um einen früheren Termin, als meine sowieso am Freitag festgelegte Sitzung, gebeten. Ich war mir dumm vorgekommen, sie so verzweifelt nach einem Termin zu fragen. Ich war schließlich kein Notfall oder so etwas in der Art. Als ich gestern aber vor meinen Lernzetteln gesessen und meine Gedanken sich unkontrollierbar überschlagen hatten, sodass ich mich trotz großer Anstrengung nicht auf den Unterrichtsstoff hatte konzentrieren können, war ich kurzerhand zu dem Entschluss gekommen, etwas ändern zu müssen. Genau in diesem Moment. Ich war davon ausgegangen, dass ich sofort etwas ändern und meine Probleme angehen müsste, weil das Aufschieben von Problemen ja bekanntlich nur unweigerlich dazu führte, dass sich diese Dinge im Sande verliefen. Aber jetzt bereute ich diese überstürzte Entscheidung sehr. Ich meine wie unangenehm war das Ganze bitte? Wie schwach musste ich sein, dass ich das Bisschen Liebeskummer und den ersten großen Streit mit Maliee nicht alleine hinbekam? Überhaupt, was sollte ich sagen? Womit sollte ich das Gespräch beginnen. Ich wusste ja nicht einmal warum ich wirklich hier war oder wobei sie mir genau helfen sollte. Es stresste mich, dass ich meine Gedanken nicht wenigstens soweit sortieren konnte, dass ich Mrs. Rutherford erklären könnte, was ich eigentlich von ihr wollte oder warum ich so spontan einen Termin verlangt hatte. Wenn ich nicht mal wusste, was ich eigentlich bei ihr wollte, wie sollte sie mir dann helfen? Das würde so ein verdammt unangenehmes Gespräch werden, dass ich am liebsten auf der Stelle umgedreht und wieder verschwunden wäre. Aber bevor ich diesen Wunsch auch nur zu Ende hatte denken können, wurde die Tür aufgerissen und ein braunhaariges Mädchen trat freudestrahlend aus dem Raum. Etwas verwirrt sah ich ihr nach und fragte mich, wegen welchen Dingen sie wohl bei der Therapeutin gewesen sein könnte. Entweder hatte sie kein schwerwiegendes Problem oder Mrs. Rutherford schien ihren Job wirklich gut zu machen.

„Hallo Sam schön, dass du hier bist", sagte Mrs. Rutherford erfreut und bat mich mit einer Handgeste einzutreten. Eigentlich fand ich es nicht besonders schön, dass ich da war. Offensichtlich hatte ich ein Problem, sonst wäre ich nicht bei ihr und das war ja wohl kein Anlass, um sich über die Anwesenheit von jemanden zu freuen. Aber diesen Kommentar verkniff ich mir. Ich trat in den Raum und setzte mich. Ich musterte Mrs. Rutherford einen Moment lang und wollte herausfinden, ob ihre außergewöhnlich positive Reaktion auf mein Erscheinen echt war. Sie setzte sich mir gegenüber und behielt ihr erfreutes Lächeln bei, während sie ihre Unterlagen sortierte. Obwohl ich es nicht ganz glauben konnte, sah es ganz danach aus, dass sie tatsächlich froh war, mich zu sehen. Das rief in mir Verwirrung hervor. Schließlich sollte ihr doch klar sein, dass Schüler nur zu ihr kamen, wenn sie Probleme hatten oder? Darüber freute sie sich doch hoffentlich nicht. Vielleicht aber interpretierte ich in ihre Reaktion auch einfach zu viel hinein und ihr eigentliches Ziel war es, dass ich mich erwünscht fühlte. Oder sie sah es als Fortschritt, dass ich bereit war mich ihr anzuvertrauen.

„Sam, tut mir leid, dass ich dir gestern keinen Termin mehr geben konnte", erklärte sie und strich sich eine graue Haarsträhne hinter das Ohr, die ihr aus der hochgesteckten Frisur herausgefallen war.

„Alles gut, so wichtig ist es eigentlich nicht", entgegnete ich schnell und begann nervös meine Hände zu kneten. Was machte ich hier nur? Hatte ich mir wirklich freiwillig eine Stunde Therapie eingefordert? Dabei hatte ich doch eigentlich kein konkretes Problem oder? Anscheinend machte ich nur aus allem ein Problem und das war mein Problem. Somit hatte ich kein Problem oder? Vielleicht müsste ich mich einfach nur mal entspannen und aufhören die Dinge so verbissen zu sehen. Wahrscheinlich war es völlig unsinnig, dass ich hier war. Mrs. Rutherford hatte ganz sicher keine Lösung für Liebeskummer und was sollte sie zu dem Streit mit Maliee schon sagen? Das müsste ich eben aussitzen und wenn ich bereit war, dann müsste ich früher oder später das Gespräch zu ihr suchen. Aber dabei konnte mir doch eine Therapeutin nicht helfen. Wahrscheinlich verschwendete ich meine Zeit mit dieser Scheiße. Schlimmer noch - ich verschwendete ihre Zeit. Vielleicht hatte ich jemanden diesen Termin weggenommen. Vielleicht gab es jemanden, der diesen Termin viel dringlicher gebraucht hätte, als ich. Vielleicht würde Mrs. Rutherford den Grund meines Besuches für unnötig halten. Vielleicht würde sie sich sogar beschweren, dass ich keinen guten Grund hatte, um ihre Zeit in Anspruch zu nehmen. Mir wurde heiß. Panik breitete sich in mir aus. Möglicherweise saß ich völlig grundlos hier. Der Glaubenssatz, dass ich übertrieb, setzte sich in mir fest und ließ mich immer unruhiger werden. Angespannt knetete ich hektisch meine Hände und versuchte mich mit dieser Methode davon abzuhalten, nicht jede Sekunde aufzuspringen und den Raum einfach wieder zu verlassen.

Zufälle gibt es nicht! (2. Teil)Where stories live. Discover now