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Fragend sehe ich ihn an, da er unglaublich nervös auf mich wirkt und ich eigentlich das Gefühl hatte, ihn etwas beruhigt zu haben.

"Kann ich kurz mit dir reden?", fragt er mit zittriger Stimme, doch seine Stimme ist nicht das einzige, was zu zittern beginnt.

Auch seine Hand, welche nach dem Stoff meines Oberteils gegriffen hat, beginnt plötzlich total zu zittern.

Seine Augen schnellen plötzlich hinter mich und ohne mich umzudrehen, kann ich bereits sagen, wen er alles angesehen hat.

Meinen Vater, meinen Bruder und auch meinen Seelenverwandten.

"Was hast du getan, Kenneth?", fragt Magnus streng und mit einem knurrenden Unterton, der Kenneth nur noch mehr zu beunruhigen vermag.

Ich greife sanft nach seiner Hand, löse seine Finger von meinem Oberteil und nehme seine Hand locker in meine.

"Kümmert euch nicht darum. Das dauert bloß einen kurzen Moment. Ich möchte nicht, dass einer von euch zuhört", sage ich ernst und gehe einige Schritte, mit Kenneth an meiner Hand.

Ich behandle ihn nicht so, weil er jünger ist als ich, sondern weil er das gerade womöglich gebrauchen kann, um ihm zu beweisen, dass ich keine Gefahr für ihn bin.

"Woher willst du wissen, wenn wir es tun?", fragt Magnus beinahe schon zickig, was mich sofort dazu bringt, mich zu ihm zu drehen.

Langsam verstehe ich, wieso dieser Junge sich so unwohl in unserer Gesellschaft fühlt.

Wenn er schon von den Leuten, die ihn aufgenommen haben, nicht für voll genommen wird, ist es bestimmt mehr als nur schwer, jemandem zu vertrauen, den man nicht kennt.

"Ich bin die einzig wahre Alpha", sage ich beinahe schon knurrend und blicke flüchtig zu meinem Vater, der diesen Titel bloß bekommen hat, weil ich das bisher nie richtig akzeptiert habe.

Heute muss ich es tun.

Ich habe Verantwortungen und wenn ich bloß noch eine gewisse Zeitspanne habe, um das alles zu akzeptieren, werde ich mich darum kümmern, es zu tun.

"Ihr wisst nicht, wozu ich alles in der Lage bin", füge ich noch hinzu, als ich mich gerade wieder nach vorne drehe und Kenneth mit mir ziehe.

Wir laufen schon seit ungefähr fünf Minuten durch den Wald und je länger er still bleibt, desto nervöser macht es mich, weil es uns so viel Zeit kostet.

Ich weiß nicht mehr, wie viel Zeit uns überhaupt noch übrig bleibt, doch viel kann es nicht mehr sein.

Wir haben uns nicht gerade weit vom Reservat entfernt, doch ich wollte ihm einfach das Gefühl von Respekt und Treue vermitteln, damit er weiß, dass ich keine Gefahr bin.

"I-Ich", stottert er, scheint aber dann nicht die richtigen Worte zu finden.

Trotzdem bleibe ich still und gebe ihm die Zeit.

Äußerlich ruhig und innerlich unruhig, lehne ich mich an einen Baum und verschränke die Arme vor der Brust, während ich ihm dabei zu sehe, wie er nervös vor mir hin und her läuft.

"Ich habe, glaube ich, einen Fehler gemacht", sagt er schließlich, doch ich bleibe weiterhin ruhig und versuche keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.

"Er meinte, dass er jemanden kennen würde, der mir bei dem Problem mit der Kontrolle helfen könnte. Ich glaube nicht, dass er Hintergedanken hatte, aber als ich dann gesehen habe, wie alles aus dem Ruder gelaufen ist und bekannt wurde, dass er einer von denen ist, habe ich Angst bekommen. Ich will nicht, dass Micah und Magnus mich für einen Verräter halten", plappert er total nervös vor sich hin, sodass ich mich unglaublich konzentrieren muss, um alles genau zu verstehen.

Entschlossen stoße ich mich vom Baum ab und laufe auf ihn zu, nur um ihn zum Stoppen zu bringen und meine Hände an seine Wangen zu legen.

"Versuch dich einfach zu konzentrieren und erzähl mir dann alles von Anfang bis zum Ende", sage ich ruhig und sehe ihm direkt in die Augen, um das ganze viel vertrauter zu gestalten.

Ich werde einem Kind nicht den Kopf abreißen, weil es etwas Unüberlegtes getan hat.

Er nickt zögerlich und atmet etwas tiefer ein, während seine rechte Hand in seine Hosentasche wandert, als wäre es eine Art Angewohnheit.

Dann schließt er für einen Moment die Augen.

"Ich hatte mich vor ein paar Tagen mit Kai gestritten. Wir kannten uns nicht und sind einander auf die Nerven gegangen, ohne etwas dafür zu tun", beginnt er zu erklären.

Natürlich verstehe ich sofort, was er meint.

Je jünger der Wolf in einem ist, desto schneller kann man die Kontrolle verlieren.

Man ist ständig gereizt und wird von allem provoziert, ohne wirklich wütend darüber zu sein.

Das Ganze ist unglaublich kompliziert.

Sanft wische ich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn und sehe ihn weiterhin unparteiisch an.

Ich weigere mich einfach, einen Entschluss zu treffen, ohne die ganze Geschichte zu kennen.

"Blaze hat uns auseinander gezogen und versucht mich zu beruhigen, als ich weiter auf Kai losgehen wollte. Im Endeffekt habe ich ihm erzählt, dass es mir schwerfällt, mich zu beruhigen und all das Zeug. Plötzlich meinte er, er kenne jemanden, der mir vielleicht dabei helfen könnte."
Langsam nimmt das ganze eine Form an, doch ich weiß noch immer nicht ganz, wo das alles hinführen soll.

The Alpha GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt