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"Mazie, mach langsam!", ruft Danny mir hinterher, nachdem ich einfach aus dem Bett gesprungen und losgelaufen bin.

Ich stütze mich an den Wänden ab und laufe durch den Flur, hinüber in die Küche und von der Küche sofort ins Wohnzimmer, wobei ich meinen Onkel und Felicia vollkommen ignoriere.

Seit einer Woche ist er nicht mehr aufgewacht.

Nachdem er erfahren hat, dass ich nicht nach Hause gekommen bin, hat er das Bewusstsein verloren und ist nicht mehr aufgewacht.

Sonst war ich immer die schwächere von uns beiden, also warum macht er mir jetzt solche Probleme?

Liegt es vielleicht daran, dass er dachte, seine größte Angst, sei in Erfüllung gegangen?

Dachte er wirklich, ich hätte ihn einfach verlassen?

Mit all meiner Kraft, versuche ich die Treppen zu ihm hochzugehen, doch immer wieder verliere ich das Gleichgewicht.

Plötzlich spüre ich zwei warme Hände an meinem unterkühlten Körper und schon sehe ich zurück.

Asher sieht mich mit einer sanften Miene an.

"Neutral wie die Schweiz", versichert er mir, während die anderen drei hinter ihm stehen und nicht wissen, was sie tun sollen.

Magnus sieht so aus, als würde er es überhaupt nicht gutheißen, wenn ich jetzt zu Derrick gehe, während Jason so aussieht, als würde es ihn beruhigen.

Danny hingegen sieht vollkommen zwiegespalten aus.

Langsam drehe ich mich wieder nach vorne und lasse mich von Asher stützen, bis wir vor der Tür flüchtig stehen bleiben.

Ich sehe nach hinten und betrachte für einen Moment die vier Jungs.

Mein Beta, mein bester Freund, mein Bruder und derjenige, mit dem ich wirklich alles aushecken könnte.

Trotzdem brennen die Tränen in meinen Augen, als ich seinen Schmerz hinter dieser Tür spüren kann.

Sie alle können es wahrscheinlich auch spüren.

Sie haben es wahrscheinlich die gesamte Zeit über gespürt, während ich es verdrängt und ignoriert habe.

"Ich komme klar. Ich lasse euch einfach wissen, wenn ich etwas brauchen sollte", sage ich mit zittriger Stimme.

Asher lässt sofort von mir ab und verschwindet von meiner Seite.

Doch bei den anderen Jungs dauert es einen Moment, bis sie den Flur endlich verlassen und nach unten verschwinden.

Ich zögere, atme tief ein und fühle mich schuldig.

Meine Emotionen und Gedanken haben seiner Kondition wahrscheinlich nicht wirklich geholfen.

Er hat es mit Sicherheit alles gespürt.

Langsam lege ich meine Hand an die Türklinke und drücke sie nach unten, ehe ich die Tür öffne und in das Zimmer gehe, doch als ich mich umdrehe, erstarre ich förmlich.

Ich sehe ihn an und er sieht mich an.

Wir sehen einander an.

Und wir beiden sehen unglaublich geschwächt aus.

So habe ich ihn noch nie gesehen.

Er scheint auch eben erst zu Bewusstsein gekommen zu sein.

Nun sehen wir einander an und trauen uns einfach nicht, etwas zu sagen oder uns gar zu rühren.

Als er dann aber den Blick senkt, bin ich die erste von uns beiden, die das Wort ergreift.

"Die Jungs haben mir erzählt, dass du eine ganze Weile lang, nicht bei Bewusstsein warst", sage ich und nehme beide Arme hinter den Rücken, ehe ich meine Hände dort miteinander verschränke.

"Du hast dir Sorgen gemacht", stellt er fest und klingt dabei plötzlich so überrascht.

Mir ist klar, dass er es in meinen Emotionen gesehen und gespürt haben muss, doch die Tatsache, dass er denkt, ich würde mich überhaupt nicht um ihn sorgen, ist verletzend.

Und dann spüre ich es.

Die unermessliche Angst in seinem Inneren.

"Das ist verletzend", lasse ich ihn wissen.

Er versteht natürlich sofort, macht sich aber nicht die Mühe, sich zu entschuldigen oder gar den Kopf zu heben.

"Wie geht es euch?", fragt er dann mit seiner dunklen Stimme.

Für einen kurzen Moment bin ich tatsächlich etwas verwirrt, bis mir dann wieder einfällt, dass ich schwanger bin und ein Kind in meinem Inneren heranwächst.

Etwas nachdenklich sehe ich an mir hinab und lege unbewusst eine Hand auf meinen Bauch.

"Ehrlich gesagt, habe ich keinen blassen Schimmer, wie es dem kleinen Ding geht", sage ich ziemlich leise und muss dabei etwas lächeln.

Natürlich ist die gesamte Situation unglaublich beängstigend, doch ich bezweifle, dass so eine Situation ein so starkes Baby gefährden kann.

Auszuschließen ist es bei meiner menschlichen Gesundheit jedoch auch nicht.

Immerhin war mein Immunsystem als Mensch noch nie wirklich das beste.

Überrascht sehe ich auf, als ich einen bewegenden Schatten wahrnehme.

Derrick ist aufgestanden und steht inzwischen wackelig neben dem Bett.

"Setz dich", befiehlt er mir und zeigt auf das Bett, ohne mich überhaupt anzusehen.

"Sag mir nicht, was ich zu tun habe, Derrick."
Endlich hebt er den Kopf und sieht mich wieder an, doch in dem Moment, in welchem er mir in die Augen sieht, spüre ich einen unerklärlichen Schmerz in meiner Brust.

Das sollte nicht so sein.

Ich sollte mich nicht so fühlen müssen, wenn ich in die Augen des Mannes sehe, welchen ich so unermesslich liebe.

"Das meine ich", sagt er mit tiefer und rauer Stimme, als er langsam zu mir kommt.

"Ich wollte es von vornherein nicht spüren. Mir war klar, dass du mich irgendwann verabscheuen wirst und jetzt muss ich es spüren. Ist dir klar, wie gefährlich das für uns beide ist?", fragt er immer wütender, je näher er mir kommt.

Doch ich bleibe an meinem Platz stehen und nehme auch nicht für eine Sekunde die Augen von ihm.

"Du hast die Frau umgebracht, Derrick. Kurz nachdem du gesagt hast, dass du auch nicht davor zurückschrecken würdest, meinen Bruder oder meinen Vater zu töten. Verstehst du meinen Standpunkt denn überhaupt nicht?", entgegne ich stattdessen.

Er bleibt direkt vor mir stehen und sieht mich für einen Augenblick einfach nur an.

Wir beide sind so unglaublich kraftlos, doch sein Anblick ist hundertmal schlimmer, als meiner es sein könnte.

Darauf wette ich.

Seine Haut ist von einem leichten Dreitagebart besetzt und zeitgleich ist sie so blass, dass er einfach nur mehr als krank aussieht.

Unter seinen Augen haben sich dunkle Schatten gebildet, als hätte er seit Wochen keine Ruhe gefunden.

Seine Lippen sind trocken und an manchen Stellen eingerissen.

Er ist in einer wirklich schlechten Verfassung.

Ich hätte nicht gehen dürfen.

"Du solltest dich noch etwas erholen. Lass uns ein anderes Mal darüber sprechen", sage ich, während ich mich umdrehen und zur Tür gehe.

"Makenzie!", knurrt er schon fast, als ich die Tür öffne, doch das einzige Gefühl, welches ich wahrnehmen kann, ist seine pure Angst.

"Ich werde nicht wieder gehen, Derrick. Es fällt mir nur schwer, mich nicht um dich sorgen zu wollen, wenn du so schrecklich aussiehst", sage ich, ehe ich ein letztes Mal zu ihm nach hinten sehe und dann den Dachboden verlasse.

The Alpha GirlWhere stories live. Discover now