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Eben habe ich Kenneth alles erzählt, was ich geplant habe und er war derjenige, der sofort gesagt hat, dass er mir helfen wird.

Ich habe ihn weder fragen müssen, noch musste ich ihm sagen, dass er mir dabei helfen müsse.

"Du solltest wenigstens dafür sorgen, dass dein Rudel sich keine Sorgen um dich macht", spricht er mir kleinlaut zu, während wir uns auf den Weg zum Standort der Feinde machen, welche sich außerhalb der Stadt befinden.

Ein kleines Lächeln huscht über meine Lippen, bis ich seine Stimmlage so deute, dass er sich überhaupt nicht dazu zählt.

Wie kann er denken, dass sich niemand um ihn Sorgen würde?

"Alles mit der Zeit, Kleiner", sage ich dann leise, während ich meine Hände in meine Hosentaschen schiebe.

Es wird ziemlich schwer werden, alles alleine mit Kenneth zu erledigen, doch solange ich dazu in der Lage bin, mein Gen und meine Gabe zu benutzen, wird das ganze schon funktionieren.

Meine Gabe ist nun, abgesehen von Kenneth, mein größter Verbündeter.

Ich bin ziemlich überrascht, als ich entdecke, dass Silas niemanden hier stehen hat, der dafür sorgt, dass seine Leute beschützt werden.

Dementsprechend alarmiert laufe ich vorsichtig auf den Platz und bin noch überraschter.

So überfüllt wie der Platz vorhin noch war, wundert es mich, dass hier plötzlich nur noch eine Handvoll Leute stehen und sich lautstark mit Silas unterhalten.

Plötzlich fällt mir auf, dass uns auch niemand in den Weg gekommen ist, als wir uns auf den Weg hierher gemacht haben.

"Die Kleine ist eine wahre Alpha, Silas. Sie wird uns mit einem Fingerschnippen in die Knie zwingen!", höre ich eine Frau argumentieren, ehe mehrere Leute ihr zustimmen.

Kenneth stellt sich hinter mich und scheint auch von dem winzigen Haufen überfordert.

Doch das liegt wahrscheinlich eher daran, dass er vor seiner eigenen Kraft Angst hat.

Nicht vor unseren Feinden.

"Wie zum Teufel ist das alles passiert? Das alles war ganz anders geplant. Die Hexe war schwach! Das war alles anders geplant!", kommt es von Silas, der plötzlich unheimlich verzweifelt auf mich wirkt.

Er scheint mit sich selbst zu ringen, was in meinem Inneren plötzlich ein seltsames Gefühl auslöst.

Ich sollte ihn für all das hassen, was er mir und meinen Leuten angetan hat.

Und doch möchte ich plötzlich dafür sorgen, dass er nicht sterben muss.

Unsere gemeinsame Vergangenheit war schön.

Wieso also alles damit enden, ihn sterben zu lassen?

"Das alles hätte von vornherein anders laufen können, Silas", sage ich recht leise, doch sofort drehen sich alle zu mir um.

Die meisten gehen bereits in Abwehrstellung, doch die anderen haben bloß Angst.

Vor mir.

Vor mir und meinen Fähigkeiten.

In der Vergangenheit hätte ich niemals gedacht, dass ich mal von meines gleichen gefürchtet werden würde.

Silas starrt mich schon fast vollkommen verrückt geworden an, doch dann stolpert er benommen auf mich zu.

Kenneth greift sofort nach meinem Arm und will mir damit sagen, dass ich etwas tun soll, doch ich bleibe bloß an Ort und Stelle stehen.

Ich habe keine Angst vor Silas.

Ich fühle aber auch rein gar nichts mehr für ihn.

Nur, weil mir die Erinnerungen der Vergangenheit etwas bedeuten, bedeutet das noch lange nicht, dass ich all das vergessen kann, was er getan hat.

Auch, wenn er durch den Einfluss von einem wahren Alpha dazu gezwungen wurde, ist das keine Entschuldigung.

Er stolpert weiterhin auf mich zu, was dazu führt, dass Kenneth immer nervöser wird.

Doch kurz vor mir lässt Silas sich einfach auf die Knie fallen und starrt zu mir hinauf.

"Wieso funktioniert es nicht? Wieso lässt du es nicht zu, Mazie?", fragt er beinahe völlig neben der Spur.

Der Mann, welcher vor mir auf dem Boden hockt, ist kaum mit dem Mann zu vergleichen, der mir alles über meine Natur beigebracht hat.

Ganz langsam löse ich Kenneths Hand von meinem Arm und gehe sanft in die Hocke.

Ich streiche Silas eine lose Strähne aus dem Haar und scheine erst jetzt zu erkennen, wie ausgelaugt er eigentlich aussieht.

Sein Haar ist gewachsen.

Er hasst es, wenn sein Haar zu lang wird.

Es stört ihn in seinem Alltag.

Früher hat es ihn auch immer dabei gestört, als er in seiner Garage gearbeitet hat.

Ein kleines Lächeln huscht über meine Lippen, als ich an seinen alten Wagen denke, der noch immer nicht in seinem Besitz ist.

Damals ist er immerhin einfach abgehauen und hat alles hier gelassen.

"Lass uns dich wieder in Ordnung bringen, Silas", sage ich der alten Zeiten Wille.

Ich stehe auf, lehne mich aber zeitgleich zu ihm herunter und greife nach seinem Arm.

Zögerlich ziehe ich ihn auf die Beine und lege seinen Arm um meine Schultern, ehe ich mich mit ihm umdrehe.

"Was wird das?", fragt einer der Wölfe hinter mir wütend.

Ich nehme mir davon aber nichts an und laufe weiter, während ich ihnen zeige, wie unbeirrt ich von ihnen bin.

"Wer sich weiterhin mit mir und meinem Rudel anlegen will, kann das gerne tun. Seid euch nur bewusst, dass ihr haushoch verlieren werdet. Ich bin nicht mehr der Wolf, der seine Natur verabscheut. Ich bin die Tochter von Meadow", ist das Letzte, was ich ihnen sage.

Heute soll sich alles ändern.

Ich werde mich heute ändern.

Wieder einmal werde ich für eine Weile die Stadt verlassen, doch wenn ich zurückkomme, wird alles anders sein.

Alles wird wieder normal sein.

Ich werde stärker sein.

The Alpha GirlWhere stories live. Discover now