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"Wieso vertraust du ihr?", fragt Kenneth mich und unterbricht damit die unangenehme Stille zwischen uns.

Wir sind schon seit zwanzig Minuten hier draußen.

Während ich auf dem Fahrersitz sitze und meine Beine aus dem Auto hängen lasse, steht er zu meiner Rechten und starrt auf die Ruinen, in welchen ich Silas untergebracht habe.

"Was bleibt mir anderes übrig?", frage ich stattdessen und betrachte mit verschwommener Sicht meine Finger.

Ich kann einfach nicht aufhören, an all das zu denken.

An meine Freunde, meine Familie, die ich einfach zurückgelassen habe.

Mein Rudel.

Mein Zuhause.

Ich habe mir bloß ein Problem zur Ausrede gemacht, um vor meinen eigenen Problemen zu fliehen und jetzt kann ich einfach nicht aufhören, an mein Zuhause zu denken.

Ich vermisse sie und bereue meine Entscheidung.

Und das tue ich nicht bloß, weil mein Körper inzwischen ziemlich den Geist aufgibt, denn daran bin ich schon durch die Hypothermie gewohnt gewesen.

"Wenn ich mir nicht irgendjemanden suche, dem ich den Rest meines übrig gebliebenen Vertrauens schenken kann, werde ich niemals eine Lösung für dieses Problem finden. Außerdem sagt mir irgendetwas, dass diese Frau mich längst hätte töten können, wenn sie es gewollt hätte", erkläre ich ihm.

Langsam sehe ich von meinen Fingern auf und verberge vor ihm meinen anderen Verdacht.

Natürlich bemerkt er es sofort und dreht seinen Kopf in meine Richtung.

"Es ist nichts, worüber du dir Gedanken machen müsstest. Bloß ein seltsames Gefühl, dass da mehr ist", erkläre ich ihm sofort, während ich mir die Ruinen etwas genauer ansehe.

"Du denkst, bei dieser Frau mehr zu spüren, aber denkst nicht darüber nach, deinen Sehnsüchten einfach nachzugeben?", fragt er plötzlich.

Ganz langsam drehe ich meinen Kopf zu ihm und verfluche einen Moment, ihn zum Mitglied meines Rudels gemacht zu haben.

Wieso musste ich noch gleich zulassen, dass er in mich hinein sehen kann?

"Er hat die Frau umgebracht, die dir helfen wollte, Kenneth. Sie wurde nur dazu gezwungen, Silas zu helfen", argumentiere ich, doch plötzlich verändert sich seine gesamte Erscheinung.

Es ist, als würde er plötzlich reifer und zugleich wütender werden, als er vor mich tritt und zu mir heruntersieht.

Seine braunen Augen glänzen leicht durch das Licht, welches von dem Wagen verursacht wird, den ich mir von meinem Onkel geborgt habe, um einfach verschwinden zu können.

"Ich habe ein Mitglied deines Rudels umgebracht, weil ich die Kontrolle verloren habe. Sie war dir sozusagen unterstellt und du hast mir verziehen", argumentiert er zurück und schon lasse ich den Kopf fallen.

"Das ist etwas anderes, Kenneth. Du hattest keine Kontrolle. Derrick hingegen, wusste genau, was er getan hat. Du und ich hatten keine Kontrolle. Er hat seine Macht ausgenutzt und hatte dabei die volle Kontrolle", sage ich, doch die letzten Sätze murmel ich eher in mich hinein.

Für einen Augenblick bin ich über meine eigenen Worte überrascht, doch bei dem Thema die Kontrolle zu verlieren, kam mir plötzlich das Gesicht von Cody vor Augen.

Ich hatte damals auch keine Kontrolle.

Genau, wie Kenneth sie nicht hatte.

Derrick hingegen hatte einen bestimmten Plan, ist aus dem Reservat verschwunden, hat sie aufgesucht und umgebracht.

Es war geplant.

Er wusste, was er tat.

"Jason hat mir vergeben. Es war seine Mutter", murmelt Kenneth leise, was mich sofort wieder den Kopf heben lässt und schon betrachte ich ihn dabei, wie er sich wieder an den Wagen lehnt und geradeaus starrt.

Ich reagiere nicht über.

Es war nicht fair.

Es war absolut nicht das richtige.

Ich reagiere definitiv nicht über.

Und wieso muss ich mich jetzt selbst davon überzeugen?

"Der junge ist nicht so schwer dran, wie ich angenommen hatte!", ruft eine Bekannte Stimme, also sehe ich sofort wieder auf und betrachte Yennefer, wie sie die alten Treppen hinauf steigt und dann zu uns kommt.

Sie erklärt einige Dinge, die ich sowohl akustisch als auch vom Inhalt her nicht verstehe und kommt dabei zu uns zum Wagen zurück.

Als sie vor uns stehen bleibt, sehe ich direkt zu ihr auf, während ich meine Ellenbogen auf meine Knie stütze.

Mir ist unendlich kalt und trotzdem fühlt es sich so an, als würde ich verbrühen.

Sie tippt sich zweimal an die Nase und schon seufze ich auf, ehe ich ein Taschentuch aus meine Jackentasche ziehe.

"Du hast ihm durch einen Mondstein das Gen genommen?", fragt sie, um sicherzugehen und schon nicke ich zur Bestätigung.

"Wenn du noch genau denselben Stein besitzt, könnte ich es womöglich hinbekommen, den Prozess umzukehren. Er hätte sein Gen zurück und ihr könntet die Manipulation ohne Probleme aufheben", erklärt sie und betrachtet dabei genau meine Reaktion.

Nur ist das Problem, dass ich ihr keine gebe, auf welche sie reagieren könnte.

Ich bin zu schwach, um ihr eine Reaktion zu geben.

Meine ganzen Gedanken und Emotionen zu kontrollieren, ist schon schwer genug.

"Ich habe den Stein noch. Er ist zu Hause. Aber was genau ist der Preis?", frage ich, da Magie niemals um sonst ist.

Es muss immer ein Preis gezahlt werden, um das Gleichgewicht zu erhalten.

"Darum können wir uns demnächst in Ruhe kümmern", beginnt sie und kommt plötzlich ganz langsam näher.

Ich versuche mich etwas aufzusetzen, doch ganz plötzlich wird mir unbeschreiblich schwindelig, während ihre Stimme immer leiser und gedämmter auf mich wirkt.

"Gerade jetzt müssen wir dich erstmal so nah an deinen Seelenverwandten bringen, wie es möglich ist. Ich fahre, weil du gerade das Bewusstsein verlierst. Achte auf ihren Kopf", höre ich sie noch verschwommen sagen, ehe mein Körper an jeglicher Muskelkraft verliert und alles schwarz wird.

The Alpha GirlOnde histórias criam vida. Descubra agora