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'Zeitverschwendung'. So war das also. Einige Minuten stand Jungkook noch wie angewurzelt auf seinem Fleck, wartete bis sich der Schulflur gänzlich leerte und er vollkommen verlassen vor den Schließfächern stand. Feste biss er sich auf die Unterlippe, klemmte sich seine Bücher unter den Arm und lief mit gesenktem Kopf, um die aufkommenden Tränen in seinen Augen zu verbergen, auf seine Klasse zu.

Gerade wollte er seine Hand an die Türklinke legen und eintreten, als sich plötzlich schlanke Finger um sein Handgelenk schlossen und ihn davon abhielten. Sofort schreckte Jungkook auf und ließ seinen Blick an dem Arm der Person heraufwandern, die ihn hier davon abhielt, pünktlich in den Unterricht zu kommen. Doch mit jedem Zentimeter, den er dem Gesicht der Person näher kam, desto schneller fing sein Herz an zu klopfen. Schon als ihm der dunkelrote Stoff der Collegejacke in die Augen gefallen war, wäre er am liebsten ganz schnell verschwunden und hätte den größtmöglichen Abstand zwischen diese Person und sich selbst gebracht.

Aber er war wie festgefroren, während seine Augen schließlich auf die dunklen Augen Taehyungs trafen. Der Basketballer musterte ihn eingehend und Jungkook vermeinte sogar ein leichtes Lächeln auf den Lippen des Jungen auszumachen. Doch dann fielen die Mundwinkel seines Gegenübers wieder und er löste seine Finger von dem Handgelenk des Jüngeren.

Immer noch verweilte Jungkook wie angewurzelt auf seinem Platz und konnte sich kein Stück weiter bewegen. In seinem Kopf prangte eine gähnenden Leere und er verstand überhaupt nicht, warum Taehyung jetzt doch vor ihm stand, wenn er doch angeblich 'reine Zeitverschwenung' sei. Vielleicht wollte der Sportler ihm auch nur wieder eins Auswischen und ihn noch mehr in den Dreck ziehen.

Jungkook hätte sich am liebsten selbst in den Allerwertesten getreten, da ihn sein eigenes dümmliches Verhalten selbst gehörig gegen den Strich ging, aber es ging nicht. So gerne er auch etwas gesagt hätte, dem Typen vor sich all die bösen Beleidungen, die in seinen Gedanken schwebten, an den Kopf geworfen hätte, ihm wollte kein einziges Wort über die Lippen kommen.

Für einen kurzen Moment standen sie sich einfach stillschweigend gegenüber und starrten sich gegenseitig in die Augen. Doch schließlich hielt Jungkook dem undeutbaren Blick des Basketballers nicht mehr stand und senkte seinen Kopf peinlich berührt gen Boden. Die Hitze stieg ihm in die Wangen und selbst jetzt konnte er an nichts anderes, als an Taehyungs weiche Lippen auf den seinen denken. Wie der Größere ihn hatte gut fühlen lassen. Wie seine Hand sanft durch seine Haare gewuschelt hatte.

Sein Herz machte einen Satz nach vorne und für einen Moment vergaß er all die erniedrigenden Momente, in denen Taehyung ihm klar gemacht hatte, was er für ihn bedeutete. Nämlich gar nichts. Er war ein Nicht. Ein kleiner, hässlicher Streber, den niemand mochte und das würde wohl auch immer so bleiben.

Sofort erkämpften sich die Tränen ihren Weg zurück in seine Augen und ihm entkam ein leises Schluchzen. Beinahe gleichzeitig konnte er sehen, wie Taehyung ein paar Schritte nach hinten machte und wohl gehen wollte. Das hatte Jungkook ja wieder toll hingekriegt.

Doch gerade als ein weiterer Schluchzer seine Lippen verlassen und er sich zum Gehen umdrehen wollte, hörte er plötzlich wie Taehyung wieder näher auf ihn zukam. Keine Sekunde später stand der Großgewachsene direkt vor ihm, seufzte einmal laut auf und schien mit sich zu ringen.

Ein Schauer wanderte Jungkooks Nacken hinab, bei der plözlichen Nähe zu dem Lockenschopf. Doch das war gar nichts zu dem Kribbeln, was sich über seinen kompletten Körper ausbreitete, als Taehyung aufeinmal Daumen und Zeigefinger an Jungkooks Kinn führte und dieses so sanft anhob. Jungkooks Herz begann heftig zu pochen und er traute sich nicht, auch nur eine Sekunde zu dem Sportler heraufzusehen.

"Na sieh mich schon an, Jungkook", hauchte Taehyung dann aber verführerisch, als hätte er Jungkooks Gedanken lesen können.

Jungkook schluckte schwer. Er wollte das alles nicht. Er wollte nicht wieder verarscht werden. Er hatte es satt und eindeutig Besseres zu tun, aber sein Verstand schaltete sich einfach aus, während sein schwaches Herz die Führung übernahm. Zögerlich schlug er seine Lider auf und schielte zu Taehyung empor.

"Geht doch", flüsterte dieser sanft und ein schiefes Lächeln wanderte auf seine Lippen.

"W-was willst d-du?", brachte der Jüngere schließlich doch stotternd über die Lippen und wollte den Kopf erneut senken, doch Taehyungs Griff an seinem Kinn hielt ihn davon ab.

Für einen Moment sagte keiner der beiden etwas und ein weiteres Mal legte sich diese beinahe erdrückende Stille über sie. Sie beide starrten sich in die Augen, als würden sie dort bis auf die Seele des anderen blicken können. Doch Jungkook konnte in Taehyungs Augen nichts erkennen. Sie waren so undurchsichtig, beinahe so wie ein Buch mit sieben Siegeln, dass er niemals lesen können würde. Wer war dieser Junge vor ihm? Wer war Kim Taehyung?

Schmerzlich wurde ihm bewusst, dass er den Jungen, in den er all die Jahre über verliebt gewesen war, überhaupt gar nicht kannte. Doch in dem Moment, wo die tiefe Stimme des Basketballers erneut an sein Ohr drang, verwarf er all die Gedanken augenblicklich wieder. Es war ihm egal, ob er ihn kannte oder nicht. Es war ihm egal, wer dieser Junge eigentlich war und was er mit ihm anstellen würde. Er liebte genau diesen Jungen. Er liebte Taehyung und das versetzte ihm einen gewaltigen Stich ins Herz.

"Ich will mich entschuldigen", meinte der Schwarzhaarige aber sanft und ließ seinen Daumen flüchtig über Jungkooks Unterlippe streichen "du bist keine Zeitverschwendung...das habe ich nicht so gemeint." Jungkooks Herz setzte für einen Moment aus, nur um anschließend mit doppelter Geschwindigkeit weiterzuschlagen. Seine Wangen wurden in einen zarten rosa Schimmer getaucht und die Berührung von Taeyhungs Daumen auf seiner Unterlippe, löste ein starkes Kribbeln auf dieser aus.

Jungkook wusste überhaupt nicht, was er sagen sollte. Am liebsten hätte er Taehyung gesagt, dass es mit einer Entschuldigung nicht einfach so getan ist, dass er sich gefälligst verpissen sollte und er ihm das nicht so schnell verzeihen würde. Aber anstattdessen lehnte Jungkook sich in seinen Gefühlen gefangen, etwas zu dem Größeren vor, sodass sich ihre Nasenspitzen gefährlich nahe kamen.

Auch Taehyung zog den Jungen am Kinn näher zu sich, sodass sie bereits den warmen Atmen des jeweils anderen auf ihren Lippen spüren konnten. Ein aufregendes Zucken schoss durch Jungkooks Körper, als Taehyungs Lippen sich plötzlich beim Sprechen gegen seine eigenen bewegten.

"Ich brauche Nachhilfe...", hauchte der Dunkelhaarige gefährlich verführerisch "heute Nachmittag."

Daraufhin löste er sich hastig von dem völlig überforderten Jungkook, der nicht einmal zu einem einfachen Nicken im Stande war. Dann stolperte Taehyung ein paar Meter nach hinten und wollte schon auf den Flur der Abschlussklasse verschwinden, als Jungkook aufeinmal aus seiner Schockstarre erwachte und dem Basketballer hektisch hinterherrief: "Wann? Und...wo?"

Taehyung hielt in seiner Bewegung inne bevor er lächelnd zurück zu Jungkook herüber hüpfte. Ohne Vorwarnung lehnte er sich etwas vor und platzierte einen hauchzarten Kuss auf der Wange des Schülers. Danach löste er sich mit einem schelmischen Grinsen von ihm und rannte zu der Glastür herüber. Kurz bevor er durch die Tür trat und in seiner Klasse verschwand, warf der dem Jungen, dem sein Herz bereits vor einigen Sekunden in die Hose gerutscht war, einen letzten Blick über seine Schulter zu.

"Um 4 Uhr, bei mir. Veilchenallee 17."

Worst of you // TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt