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Eine ganze Woche konnte Jungkook sich vor der Schule drücken. Er hatte es doch tatsächlich geschafft seine Eltern davon zu überzeugen, dass er sich krank fühlte und wenn er ehrlich war, dann war er das auch. Alles an ihm schmerzte und es hörte einfach nicht mehr auf. Seine Brust, sein Kopf, seine Glieder, manchmal bekam er sogar Magenschmerzen. Die ganzen Tage über hatte er sich in seinem Bett verkrochen und war nur aufgestanden, um sich zwischendurch etwas zum Trinken zu holen oder eine Kleinigkeit zu essen, wobei er eigentlich kaum etwas herunterbekam.

Doch heute morgen stand seine Mutter pünktlich um halb sieben in seiner Zimmertür und drängte darauf, dass er entweder zur Schule gehen oder sich ein Attest besorgen müsste. Im ersten Moment hatte er tatsächlich überlegt, seinem Hausarzt vorzuspielen, wie krank er doch sei, aber dann wurde er schon von einem schlechten Gewissen geplagt. Er war nicht krank. Zumindest nicht körperlich und er müsste einfach seine Arschbacken zusammenkneifen und sich zusammenreißen. Was blieb ihm denn auch anderes übrig?

Er könnte sich doch niemals für den Rest seines Lebens im Bett verkriechen, selbst wenn ihm das gerade die einzige Sicherheit bot. Es war erbärmlich ja, aber die durchgelegen Matratze, die vielen Kissen und die federne Decke, boten ihm den Schutz, den er sonst immer bei anderen Menschen gesucht hatte. Auch wenn seine Eltern sich anscheinend wirklich Gedanken gemacht hatten und sich fortan besser um Jungkook kümmern wollten, konnte er ihnen alles, was ihn in den letzten Wochen beschäftigt hatte, einfach noch nicht anvertrauen. Und wer war da sonst noch? Niemand, denn Yoongi hatte seit geraumer Zeit kein Wort mehr mit ihm gewechselt. Also blieb ihm nur sein Bett.

Trotzdem hatte er sich heute morgen einen Ruck gegeben, sich aus dem Chaos an Decken und Kissen geschält und stand nun vor seinem gelben Spint. Ratlos fummelte er an dem Schloss herum, während ihm die viel zu langen Arme seines übergroßen Hoodies, bis zu den Ellenbogen heraufrutschten. Er fühlte sich gar nicht richtig anwesend, so als ob nur sein leerer Körper vor der metallenen Schrankreihe stehen würde. Was tat er hier überhaupt? Wieso war er hier?

Ein Seufzen entkam seinen Lippen, als er mit zittrigen Fingern das Schloss schließlich entriegelte und die Tür mit Schwung aufzog. Ein Windstoß zog bei dem hastigen Öffnen durch sein Gesicht und wirbelte ihm etwas gelbes vor die Nase. Blinzelnd beobachtete er das flatternde Etwas, wie es langsam durch die Luft bis auf den Boden segelte und dort zum Liegen kam. Verwirrt musterte Jungkook den kleinen Zettel, dessen Anblick ihm einen Stich ins Herz gab. Sofort schossen ihm Erinnerungen ins Gedächtnis, die er am liebsten ausradieren würde. Aber wie sollte er das jemals wieder vergessen? Wie sollte er vergessen, wie Taehyung ihn berührt hatte?

Wie versteinert stand er auf seinem Fleck, den Blick immer noch auf den Zettel gerichtet und mit einer Gänsehaut auf seinem gesamten Körper. Ganz langsam bückte er sich zu dem Papier herab und streckte seine zitternden Finger danach aus. Zögerlich, als ob er sich daran verbrennen könnte, hob er es vom Boden auf und richtete sich damit wieder auf.

Sein Herz donnerte in seiner Brust und das Blut rauschte ihm in den Ohren. Die Notiz in seiner Hand fühlte sich so viel schwerer an...nicht wie ein federleichtes Papier, sondern viel mehr wie ein riesiger Stein. Und dennoch schaffte er es irgendwie diese in seiner Hand herumzudrehen.

Als ihm die schrägen, schwarzen Buchstaben in die Augen fielen, zog er einmal scharf die Luft ein und weitete seine Augen entsetzt. Keine Sekunde später riss er seinen Kopf zu dem offenen Spint herum und was er dort sah, ließ sein Herz für einen Moment aussetzen.

Sein ganzes Fach war voll mit bunten Notizzetteln. Bestimmt zwanzig Stück bildeten einen kleinen Haufen auf seinen Schulbüchern und einige steckten in den Rillen des Spints fest. Panisch trat Jungkook vor den Schrank, ließ seine Finger vorschnellen und griff nach dem ersten Zettel, der etwas zerknickt ganz oben auf dem Haufen lag.

"Am liebsten würde ich zu dir kommen...ich denke zumindest, dass du Zuhause bist. Aber du willst mich sowieso nicht sehen."

Ruckartig stopfte er die gelesene Notiz in seine Hosentasche und griff bereits keine Sekunde später zu dem nächsten Zettel in seinem Spint.

"Vielleicht bin ich wirklich Schuld an alledem."

Je mehr Zettel Jungkook hervorzog, desto schwerer wurde sein Herz. Immer wieder flogen seine Augen über die Papierchen, während sich die Tränen in ihnen sammelten und seine Sicht verschwimmen ließen. Laut schniefend nahm er auch den letzten Zettel heraus, wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen ehe er sich so gut es ging auf die krakeligen Buchstaben fokussierte.

"Ich bin ein Idiot."

Bei diesen Worten konnte sich der Junge ein lächerliches Grinsen nicht verkneifen. Jedoch traten ihm keine Sekunde später erneut die Tränen in die Augen und er begann bitterlich zu weinen. "Ja, Kim Taehyung, du bist ein Idiot. Ein riesengroßer Idiot", murmelte er kaum hörbar zu sich selbst bevor er auch den letzten Zettel in seine Hosentasche stopfte und sich vollkommen fertig, mit der Stirn gegen den Rahmen des Schließfachs lehnte.

"Aber ich bin ein noch viel größerer Idiot", eine dicke Krokodilsträne quetschte sich aus seinem Augenwinkel und kullerte seine Wange hinunter. Was sollte er jetzt tun? Was sollte er mit all diesen Nachrichten anfangen? Warum überhaupt hatte Taehyung ihm diese Zettelchen zugesteckt?

Plötzlich schoss dem Jungen ein ganz bestimmter Gedanke durch den Kopf. Ein Gedanke, den er aber sofort wieder versuchte zu verdrängen. Jedoch gelang ihm das nicht so wirklich, sodass er den Kopf kräftig schüttelte, sich von dem Schrank abstieß und die Tür zuschlug. Dann lief er geradewegs auf den nächsten Mülleimer zu, griff in seine Hosentasche und warf all die Zettel hastig hinein.

Für einen Moment betrachtete er die bunten Papierchen noch mit wehmütigem Blick, doch dann drehte er sich gänzlich von dem Mülleimer weg und steuerte auf seine Klasse zu. Als er durch die Tür trat, lagen sofort alle Blicke auf ihm. Wahrscheinlich war es nicht sonderlich clever gewesen, dass er zuvor geweint hatte und nun mit rotunterlaufenen Augen auf seinen Platz zulief.

Aber das interessierte ihn gerade recht wenig. Viel mehr wollte er seinen dämlichen Kopf einfach nur ausschalten. Denn der Gedanke von vorhin ploppte immer wieder darin auf, wie ein Fleck, den man nicht mehr von seiner Kleidung bekam. Er verblasste vielleicht ein wenig, wenn Jungkook sich Mühe gab, aber letztendlich war er immerzu da.

Warum musste Taehyung ihm auch all diese Nachrichten schreiben. Da war es doch kein Wunder, dass der Schüler sich jetzt wieder Hoffnungen machte. Hoffnung darauf, dass dem Basketballer doch etwas an ihm lag.

Grimmig verzog er sein Gesicht und vergrub es in seinen Händen. Ihm war doch wirklich nicht mehr zu helfen. Er wusste doch genau, dass Taehyung ihn nur ausnutzte und niemals Gefühle für ihn entwickeln könnte. Niemals würde er sich das Gleiche erhoffen wie Jungkook, nämlich, dass sie einfach zusammen glücklich sein könnten. Wie ein richtiges Pärchen eben.

Frustriert rieb er sich über die mit dem Salz der Tränen benetzten Wangen. Er wusste doch genau, dass das alles keinen Sinn hatte. Warum konnte er dann nicht einfach loslassen? Warum konnten diese doofen Gefühle nicht einfach aufhören? Den Unterricht bekam der Junge erneut gar nicht so richtig mit, da er seinen wirren Gedanken nachhing.

Und was der Junge noch viel weniger mitbekam war, dass ein gewisser Lockenschopf ihn die ganze Zeit über beobachtet hatte. Von dem Moment an, wo der erste Notizzettel aus dem Spint heraus auf den Boden gefallen war, über das Entsorgen im Mülleimer, bis hin zu der Sekunde, wo der griesgrämige Lehrer die Tür zu Jungkooks Klasse zugezogen und ihm so die Sicht auf den Braunhaarigen versperrt hatte.

Worst of you // TaekookWhere stories live. Discover now