Jenseits der Wälder und Berge

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Das Wasser knisterte, zuckte und sprühte Funken, als ich die glühende Klinge des Messers darin versenkte. Mit einem Leinen wischte ich mir Schweiß und Dreck von der Stirn und warf einen Blick zu Lumera, die mit Hammerschlägen das Metall unter ihren Händen formte. Die Flammen der Esse in ihrem Rücken züngelten und erhitzten die ohnehin schwüle Luft in der Schmiede weiter. Es war fast unerträglich.

»Lumera?«, rief ich über das Donnern hinweg und legte währenddessen das Schlachtmesser, an dem ich mich schon seit mehreren Tagen abmühte, beiseite.

»Ja, gut!«, sie hielt kurz inne und steckte sich ein paar lose Strähnen zurück in ihren Zopf. »Geh ruhig, morgen wird ein anstrengender Tag für euch. Ich lösche hier alles, wenn ich fertig bin.«

Mehr brauchte es nicht. Einen Handschlag später trat ich hinaus in die kühle Abenddämmerung und gestattete mir, zum ersten Mal seit Stunden durchzuatmen. Zu viel ging mir durch den Kopf.

Seit dem Erntefest vor nunmehr einer Woche hatte sich Cinora zunehmend von mir ... distanziert. Und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Zunächst hatten wir noch alltägliche Floskeln ausgetauscht, dann vermied sie es, in meiner Nähe zu sein und jetzt? Jetzt konnte sie mir nicht einmal mehr in die Augen sehen.

Hatte ich denn ...

Hatte ich etwas falsch gemacht?

Kurzerhand passierte ich den mit einer Plane abgedeckten Karren, der mitten im Hof stand und unter dem sich Körbe und Werkzeug stapelten, die wir brauchten, wenn wir uns morgen bei Tagesanbruch in Richtung der Berge aufmachten, und verschwand ins Innere des Hauses. Ich verzichtete auf ein Abendessen, säuberte mich und betrat anschließend den Dachboden.

Sedaria und Cinora schliefen bereits. Joron und Odnar dagegen saßen auf ihren Strohbetten und unterhielten sich leise, Humir war in die Seiten eines Buches vertieft. Gedankenverloren wechselte ich meine Kleidung und legte mich hin. Dabei wagte ich es nicht, zu Cinora hinüberzusehen.

Zu stark war die Verbindung, die ich zu ihr spürte. Dieses Band, von dem ich glaubte, dass es manchmal sogar sichtbar war. Greifbar. Alles zog mich zu ihr hin. Einfach alles.

Schnaubend drehte ich mich auf die Seite und sah der Nacht zu, wie sie sich über die Stadt senkte. Sie gesellte sich zu der lärmenden Stille, die mich unentwegt verfolgte. Aber ich konnte Cinora keine Vorwürfe machen. Es schmerzte und zerriss mir das Herz, doch wenn sie beschlossen hatte, unser Band der Göttin wegen zu durchtrennen, dann ... würde ich das akzeptieren.

Mein Sehnen sollte ihren Wünschen nicht im Wege stehen. Niemals.

Nach einer gefühlten Ewigkeit fiel ich endlich in einen unruhigen Dämmerschlaf ... bis ein lautes Knarzen mich ihm wieder entriss. Abrupt schreckte ich hoch und suchte nach Orientierung.

Es musste mitten in der Nacht sein, doch das Mondtor spendete ausreichend Licht, sodass ich eines nur zu deutlich erkennen konnte: Cinoras Bett war verlassen, die Truhe davor stand offen und es lugten einige Kleidungsstücke hervor.

War sie etwa ...

Ich erhob mich und trat vorsichtig näher heran. Schnell stand fest: Ihr mitternachtsblauer Umhang fehlte. Was ... wollte sie denn um diese Uhrzeit draußen?

Ein ungutes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit und meine Gedanken überschlugen sich. Sollte ich ihr ... folgen? Nein. Ich schüttelte den Kopf. Sie wollte mich nicht dabeihaben, wohin auch immer der Weg sie nun führte. Aber was war, wenn ... Hastig schnappte ich mir ein Paar Schuhe und schlüpfte hinein.

Handelte ich unüberlegt? Gewiss.

Aber ich konnte nicht anders. Irgendetwas sagte mir, dass sie mich brauchte.

Tannengold - Die Erben des JenseitsWhere stories live. Discover now