Kuss der Dunkelheit

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Ich konnte nicht atmen. Schwärze lauerte an den Rändern meines Gesichtsfeldes und Magie umschmeichelte meine Sinne wie das leise Flüstern eines vertrauten Liedes, welches nur Tod und Verderben mit sich brachte. Verzweifelt versuchte ich, an die Wasseroberfläche zu gelangen, doch mein Körper gehorchte nicht.

»So sieht man sich wieder.«

Dunkelheit trübte meinen Geist.

Luft. Ich musste atmen. Ich musste einen Weg zurück zu Ashra und meinen Geschwistern finden.

»Bitte mich«, fuhr die Nachtfürstin fort, »und ich gebe dir deinen Atem zurück.«

»Eher sterbe ich!« Eigenhändig töten konnte Treya mich nicht, das unterbanden unsere Gesetze. Aus diesem Grund benötigte sie auch Instanzen wie das Schattengericht. Das hieß, ich musste nur irgendwie an die Oberfläche. Irgendwie ...

»Du uneinsichtiger Junge«, seufzte sie.

Ein Ruck ging durch meinen Körper, dann schwebte ich in der Luft, nur um dann gewaltsam auf dem Deck des Schiffes aufschlagen. Keuchend krümmte ich mich zusammen und würgte Wasser aus meinen Lungen, unter mir das tosende Meer und über mir ein wolkenverhangener Himmel.

Mit zusammengebissenen Zähnen hob ich den Kopf. Die Schmerzen, die sich schlagartig in meinem Brustkorb ausbreiteten, ließen mich aufschreien. Sie waren jedoch nichts im Vergleich zu dem, was ich nun sah:

Martizian lag am Boden und bäumte sich gegen die Ketten, die ihn fesselten, auf. Octavia rief etwas über den näherkommenden Sturm hinweg und schlug gegen die Mauern des Bannkreises, der sie gefangen hielt. Und Ashra ... Ashra stand wie erstarrt inmitten der untergehenden Welt. Unsere Blicke trafen sich.

Dann versperrte mir ein hämisches Grinsen die Sicht. Grob umfasste die Nachtfürstin mein Kinn. In ihren Iriden zuckten Blitze. »Dachtet ihr wirklich, ich erführe es nicht, wenn jemand unbefugt meine Stadt betritt?« Sie schlug meinen Kopf beiseite und richtete sich auf. »Ich bin neugierig, was habt ihr dort gesucht?«

»Du ...«, zischte ich und brüllte gegen den plötzlich einsetzenden prasselnden Regen an, »DU VERDAMMTE MÖRDERIN!«

All die Jahre hatte ich auf diesen Augenblick gewartet – gewartet, der Frau zu begegnen, die mir alles genommen hatte. Rache. Ich wollte Rache, für all das Blut, das vergossen worden war. Und nun? Nun vermochte ich mich nicht einmal zu wehren, als sie mir über die Wangen strich. Ekel und Abscheu machten sich in mir breit.

»Wie kommt es, dass eine meiner Seelen bei euch ist?« Sie drehte sich um. »Martizian, du warst schon immer ein vernünftiger Mann.« Mit dem Finger deutete sie auf Ashra. »Wer ist sie?«

Blanker Hass spiegelte sich in Martizians Augen wider. »Wisst Ihr das nicht, Nachtfürstin?« Seine Stimme triefte vor Spott. »Schließlich ist es Eure Stadt.«

Kurz darauf brach Ashra unter Schmerzen zusammen. Ihre Qualen übertrugen sich auf mich und ließen mich aufkeuchen. Tatenlos musste ich mitansehen, wie die Fürstin Ashra an den Haaren packte und in die Mitte des Decks zerrte.

»Wie gelang es dir, meinen Wald zu verlassen, Mensch?« Ihre Hand umklammerte Ashras Kehle.

Ich riss an den Ketten und versuchte, meine Magie zu entfesseln; das vernichtende Feuer, das mir dabei fast das Bewusstsein raubten, blendete ich aus. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich konnte nicht zulassen, dass sie Ashra –

»Nein?«, verhöhnte Treya mein Sternenlicht. »Dann brauche ich dich nicht mehr.«

Ashra stieß ein Wimmern aus.

Nein ...

»Halt!«, schrie ich schmerzerfüllt. »Halt. Lasst sie gehen! Lasst sie frei und ich gehe den Bund mit Euch ein.«

Tannengold - Die Erben des JenseitsWhere stories live. Discover now