Fragen

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»Namir!« Leleis Stimme suchte einen Weg zu mir. Flammen brannten in meiner Brust und versengten die Ränder meiner Seele. Was ... Das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, war Treyas Befehl, den ich verweigert hatte ... und Xorians Erwiderung. »So wach doch auf. Was soll ich nur –«

»Ist ... er hier?« Der Bündner hatte mitangesehen, wie ich mich der Nachtfürstin offen widersetzt und dafür den Preis gezahlt hatte. Mit Sicherheit würde er Fragen stellen – Fragen, die ich nicht beantworten konnte, selbst wenn ich es wollte.

»Nein, schon eine Weile nicht mehr.«

Gut. Ich schlug die Augen auf und blickte direkt in Leleis besorgte Miene, ihre schillernden Iriden waren von schwarzen Wolken verhangen.

»So übel?« Zischend richtete ich mich ein Stück auf und blinzelte gegen das Sonnenlicht an, welches die Gemächer durchflutete; durch die offenen Fenster drang fröhliches Gelächter aus den angrenzenden Gärten.

»Aus deinem Gesicht ist jegliche Farbe gewichen.«

Das Reißen in meinem Brustkorb ließ mich aufstöhnen. Mit klammen Händen öffnete ich ein paar Schnüre der Tunika und musterte die schwarzen Kettenauswüchse auf meiner Haut.

Das war übel. Richtig übel.

»Wenn du so weitermachst, gehst du noch zugrunde, bevor wir einen Ausweg finden.«

Einen Ausweg. Leleis Optimismus streute Salz in offene Wunden. »Ich kann ihr nicht wie ein hechelnder Hund zu Diensten sein. Sie ist ein Monster, begierig darauf, mich zu brechen. Und einen Ausweg? Den gibt es für mich nicht.«

»Sag so etwas nicht.«

»Es ist die Wahrheit!« Abrupt wechselte ich das Thema. »Sag mir Lelei ...«, ich zögerte. »Sucht Ashra noch nach mir?« Was für eine unüberlegte Frage.

»Sie wird niemals damit aufhören.«

Ich raufte mir die Haare. Wenn ich sie doch nur noch ein einziges Mal halten könnte, ihr sagen könnte, wie sehr ich sie liebte. Doch das war unmöglich. Treyas Worte standen zwischen uns, ihr grausamer Befehl. Denn sollte ich mich Ashra auch nur nähern, so würde mich der Bund zwingen, ihr Leid anzutun. Und das ... das durfte nicht geschehen. Niemals!

Eine der goldenen Flügeltüren am anderen Ende des Saals schwang auf. Xorian trat hindurch und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Den Göttern sei Dank, diese Kinder sind endlich zurück in ihren Reichen.« Mit einem Knall warf er die Tür hinter sich ins Schloss. »Keine Sekunde länger hätte ich es mit diesen überdrehten Sprösslingen ausgehalten.«

Im Gehen streifte er sich die Schuhe von den Füßen, warf sie achtlos hinter sich und schlurfte dann auf sein Bett, das direkt unter einem der Fenster stand, zu. Rücklings ließ er sich auf die Matratze fallen. Nach einem weiteren Seufzer drehte er sich auf die Seite und sah zu mir herüber. »Geht es dir besser?«

Ich nickte.

Der Bündner durchschaute die Lüge sofort, denn er runzelte die Stirn. Doch er sagte nichts. Auch machte es nicht den Anschein, als wollte er mir Fragen zu den Vorkommnissen im Linarium stellen. Warum? Das konnte ich nicht einschätzen.

»Hör mal«, er schwang sich aus dem Bett und steuerte auf die angrenzenden Bäder zu, »ruh dich noch etwas aus, ja? Wir werden erst später in den Gärten erwartet.« Das Lächeln, das er aufsetzte, wirkte ernst gemeint, aber das war mir gleich.

Sobald Xorian hinter den seidenen Vorhängen verschwunden war und ich ein leises Wasserplätschern vernahm, robbte ich mich zur Bettkante vor, stand auf und tastete mich vorwärts. Hin zu dem massiven Nussbaumtisch, an dem Xorian des Nachts immer saß und an einer seiner Holzfiguren schnitzte. Von dort aus war es nicht mehr weit.

Tannengold - Die Erben des JenseitsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt