Ein Schritt

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Zarter Sandelholz- und Jasminduft stahl sich in meine Gedanken und holte mich Stück für Stück aus der dämmerhaften Schattenwelt zurück. Der Sturm über dem Meer meiner Vergangenheit war einer friedvollen Ruhe gewichen – einer Ruhe, die verflöge, sobald ich die Augen aufschlug, so befürchtete ich.

Nur bruchstückhaft erinnerte ich mich an das, was geschehen war. Den Verlust. Den Schmerz. Den Versuch, mich zu befreien. Dann musste ich das Bewusstsein verloren haben. Und ... War es nicht Cinora gewesen, die meinen Namen gerufen hatte?

Moment. Befanden wir uns etwa immer noch im Wolkensaal?

Schlagartig war alle Ruhe dahin. Ich riss die Augen auf. Mein Herz hämmerte wild gegen den Brustkorb, bis ich erkannte: Ich befand mich in meinen Gemächern; die Lichtkristalle hoch über mir an den Deckengewölben glommen schwach.

Und Cinora ...

Ich drehte den Kopf zur Seite. Eingekuschelt in eine rote Decke lag sie neben mir und schlief. Dabei lugte ein schwarzes Augenpaar aufmerksam unter ihrem Haar hervor und fokussierte mich. Lelei.

»Den Sternen sei Dank!« Mit einer Wasserschale in Händen eilte Octavia auf mich zu und stellte diese neben dem Bett auf dem Nachttisch ab.

Erst da bemerkte ich die nassen Leinen, die meinen Oberkörper bedeckten und – ich hob eines der Tücher an –, die Verbrennungen, die sich um die Ränder der schwarzen Ketten gebildet hatten, kühlen sollten. Verdammt. »Was ... ist passiert?«

»Wir haben dich und Cinora vor den Spiegeln in der Eingangshalle gefunden.«

Mein Herz zog sich zusammen. Cinora. »Ist mit ihr ...?«

Meine Schwester verstand: »Ihr geht es gut, keine Sorge. Sie ist keinen Tag von deiner Seite gewichen.«

Keinen Tag? Wie lange war ich denn bewusstlos gewesen? Als könnte Octavia meine Gedanken lesen, sagte sie: »Sieben Tage.«

»Was?«, hauchte ich ungläubig.

Sie nickte. »Wir hatten solche Angst, dass du nicht mehr aufwachen würdest. Ich hole Martizian, ja? Ihm wird ein Stein vom Herzen fallen.«

Sobald Octavia verschwunden war, ließ ich mich mit zusammengebissenen Zähnen zurück in die Kissen sinken. Bei der kleinsten Bewegung spannte meine Haut und reißende Blitze jagten durch meinen Körper. Jedes Mal, wenn ich meine Magie zu entfesseln versuchte, geschah ebendas: Die Ketten fraßen sich in mich hinein und zwangen mich zur Kapitulation. Aber sieben Tage ...

»Du bist aufgewacht.« Cinora setzte sich auf, zog sich die Decke eng um die Schultern und sah mir aus dem sturmverhangenen Ozean ihrer Augen entgegen. »Gut.«

Ich suchte nach Worten, doch schließlich flüsterte mein Herz verhalten: »Du warst die ganze Zeit über bei mir?«

»Ja.«

Mir war zum Lächeln zumute, doch ich unterließ es. »Danke.«

Irritiert blinzelte sie. »Wofür?«

Für alles. Für das Licht, das sie mir schenkte. Für einen Ort, an dem ich Ruhe finden konnte. Hier, in diesem Moment, an ihrer Seite ... Es war, als brächte ihre Anwesenheit die quälenden Geister der Vergangenheit dazu, sich schlafen zu legen. »Du hast mich gerettet.«

Die Worte wurden dem, was ich fühlte, nicht einmal im Ansatz gerecht – nichts konnte dem gerecht werden. Cinora öffnete den Mund, doch bevor sie etwas erwidern konnte, stürmte Martizian in den Saal.

Mit bebenden Schultern trat er neben mich. Dann beugte er sich zu mir herunter, umfasste mein Gesicht und legte seine Stirn an meine. »Verflucht, Namir! Versuch so etwas nie wieder, hörst du? Wir waren krank vor Sorge.«

Tannengold - Die Erben des JenseitsWhere stories live. Discover now