Die Verbannung

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Die Kälte in meinen Adern gefror zu Eis. Meine Seele zerbarst. Jeder Atemzug schmerzte. Keuchend krümmte ich mich zusammen. Das war nicht wahr ... Das konnte nicht wahr sein ... Cinora, sie ...

»Atme«, flüsterte ihre Stimme aus den Schatten.

Tränenbäche nahmen mir die Sicht. Bodenlose Finsternis durchdrang jede Faser meines Seins und riss mein Herz entzwei - wieder und wieder. Bis nichts mehr übrigblieb als der nackte, unerträgliche Gedanke an ihren Tod.

Mit ihr war auch ein Teil von mir gestorben. Also warum weitermachen? Wofür noch leben, wenn der Verlust so groß war, dass man ihn niemals allein schultern konnte? Dass man bei jedem Atemzug drohte zu ersticken.

»Atme ...«, klangen ihre Worte nach.

»Ich ...«, meine Fingernägel kratzten über den staubigen Untergrund und suchten nach dem Halt, den ich verloren hatte, »kann nicht.« Ich konnte einfach nicht atmen. Nicht ohne sie.

»Atme und kämpfe!«

Ich schüttelte den Kopf.

Nein ...

Und doch glich die Erinnerung an ihre Stimme einem aufflackernden Licht in der endlosen Nacht - ein Licht, das Wärme spendete und die kriechende, tödliche Kälte herausforderte.

»Kämpfe!«

»Wofür?« Es gab nichts, für das es sich noch zu kämpfen lohnte.

Mehrere Gestalten traten an mich heran, umfassten meine Oberarme und zerrten mich in eine aufrechte Position. Wie in Trance hob ich den Blick und sah Joron vor mir stehen. Er nickte Odnar zu, der daraufhin schwere Eisenketten an meinen Handgelenken anbrachte. Gleichgültigkeit rahmte ihre Gesichter.

»Wie kann euch das nur alles ... gleich sein?«, entfuhr es mir. Meine Unterlippe bebte. »Cinora ist ... Sie ist tot!«

»Cinora ist zur Göttin zurückgekehrt.« Mit Leichtigkeit legte mir Odnar die schweren Kettenglieder über die Schulter und band sie um meinen Brustkorb; ihr Gewicht war nichts im Vergleich zu der Schwere, die auf meiner Seele lastete.

»Sie -« Ein Leinen erstickte meine Worte.

»Schweig jetzt«, erklärte Joron, »du hast schon genug Schande über unser Haus gebracht!«

Was? Feuer vertrieb das Dunkel, lodernd und züngelnd durchströmte es mein ganzes Sein und gab mir Stärke - Stärke, die sich von Schmerz und Qualen nährte. Bedrohlich richtete ich mich auf.

Schande ... Das war es, was sie fürchteten?!

»Es reicht! Bringt ihn her!«, befahl die Bramordar. »Es bedarf keiner vorherigen Verhandlung, wir haben alle gesehen, was er ist.«

Unsanft landete ich vor den Stufen, die zum Altarraum hinaufführten. Es waren dreizehn an der Zahl, aus dem feinsten Marmor gemeißelt - rein und makellos. Doch der Glanz konnte nicht darüber hinwegtäuschen, was mich an deren Ende erwartete.

»Atme.«

Wie sollte ich ...

»Atme!«

Ich schloss die Augen und lauschte ihrer Stimme.

»Atme und kämpfe!«

Sie gab mir Kraft.

Benommen richtete ich mich auf und betrat wankend die erste Stufe. Das Urteil, das man über mich verhängt hatte, schien unbedeutend im Vergleich zu den Wehklagen meines Herzens, dessen Schreie ungehört im Nichts verhallten.

Vor dem Steinaltar angekommen, zwang mich Odnar schließlich grob in die Knie. Die Bramordar begann zu sprechen: »Tholon, aus dem Haus der Schmiede,« alles erschien unwirklich, so fern - nur ein Schatten von dem, was einst gewesen war, »Treya zeigte uns, welches Wesen wahrhaftig in deinem Inneren wohnt: Eine Seele, die nicht würdig ist, die Gaben der Göttin zu empfangen.«

Tannengold - Die Erben des JenseitsWhere stories live. Discover now