Tannengold

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Mit Treya waren auch die Mauern um das Reich der Abenddämmerung gefallen, die schwarzen Schatten für immer verschwunden. Die Stadt der Tannen war nicht mehr. Stattdessen erstreckten sich hinter den Pforten der Sonnensäulen nun weite, in goldenes Licht getauchte Felder.

»Du sagtest ja, dass es viele seien, aber das ...« Isra raffte ihren Rock und sah zu den Seelen, die sich auf den offenen Feldern zusammengefunden hatten. Manche standen aufrecht, andere kauerten am Boden, wieder andere starrten apathisch in die Ferne.

Die Fürstin der Tränen wartete nicht auf eine Antwort, sondern betrat den aus Mondlicht geformten Pfad, der sie vor die Tore des Palais und damit zu den Seelen führte. Ashra und ich folgten ihr.

»Beenden wir dieses ganze Leid«, erklärte Ashra und umfasste meine Hand.

»Ja.« Bei dem Lächeln, das sie mir daraufhin schenkte, erwärmte sich mein Herz.

Die Wärme erstarb jedoch, sobald wir die Felder betraten.

Schmerz. Trauer. Qual. Verzweiflung und der dunkle Schleier einer alles verschlingenden Hoffnungslosigkeit lagen in der Luft. Gefühle so greifbar, dass ich sie am eigenen Körper spüren konnte.

Vor einem in sich zusammengekauerten Mann hielt Isra inne. Unaussprechliche Qualen zeichneten sein Gesicht, derweil er sich die feuerroten Haare raufte. Ich blinzelte. Das war doch ...

»Joron?« Ashra löste sich von mir und beugte sich zu dem einstigen Mitglied aus dem Haus der Schmiede hinunter. Ihre Worte waren nur ein Flüstern, doch die Seele schreckte zusammen, als hätte man sie geschlagen. Seine Augen schnellten hektisch über die Umgebung, bevor sie zurück zu Ashra fanden. »Weißt du noch, wer ich bin?«

»C-Cinora ...«

Sie nickte. »Aber die bin ich nicht länger.«

Er schwieg.

»Du bist auch nicht länger Joron, hab ich recht?«

»Nein, ich ... bin Hakul.«

»Hakul«, wiederholte Ashra seinen Namen. »Es wird besser werden, ich verspreche es.«

Tränen liefen der Seele über die Wangen. »Wie?«

Isra trat neben ihn und flüsterte ihm etwas zu. Als Fürstin der Tränen konnte sie in den Gebrochenen lesen, den letzten Funken Licht in ihren Seelen ausfindig machen und daraus einen Ort erschaffen, an dem Heilung gefunden werden konnte. »Was sagst du dazu?«, fragte sie schließlich sanft.

Sekunden verstrichen, bevor Hakul zaghaft zustimmte.

Gemeinsam mit Ashra half ich ihm sodann auf die Beine.

»Wo bleibt eigentlich Xorian?«, wisperte Ashra und biss sich nervös auf die Unterlippe. »Ich habe keine Ahnung, wie ich diese Pforte ins Reich der Tränen öffnen soll.«

Ich konnte nicht umhin zu schmunzeln. »Das hast du längst«, entgegnete ich und deutete auf die Perlenfäden, die sich hinter ihr zu einem Vorhang formiert hatten. Perplex drehte sich Ashra um und starrte das Portal aus großen Augen an. Dann übergab sie Hakul an Isra, die die Perlen beiseiteschob und mit ihm dahinter verschwand.

Es dauerte nicht lange und die Fürstin kehrte allein wieder zurück. »Seine Seele wird Frieden finden. Sie wird wieder leben.« Ihr Blick lag auf den unzähligen Seelen, die uns umringten. »Sie alle werden wieder leben.«

Der Klagelaut einer Frau zerschnitt die Luft.

Ohne zu zögern, wandte sich Ashra der Frau, die sich unweit unter Tränen zusammenkrümmte und mit ihren Händen Grasbüschel aus dem Untergrund riss, zu. Ich wollte ihr folgen, doch es war Isra, die mich zurückhielt.

Tannengold - Die Erben des JenseitsWhere stories live. Discover now