Tore

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Mit rasendem Herzen jagte ich durch die Gänge des Palastes und folgte Leleis Anweisungen, bis wir die Treppenstufen erreichten, die hinunter in eine Art unterirdische, von Runen und Ornamenten übersäte Kammer führten. In die Wände waren acht Portaltore eingelassen – jedes ein exaktes Abbild des anderen. Es war unmöglich, auch nur zu erahnen, welches Tor in welches Reich führte.

Einen Fluch unterdrückend ging ich in die Hocke und legte Ashra, die immer noch nicht bei Bewusstsein war, vorsichtig auf dem Boden ab; Lelei wachte unterdessen am Treppenaufgang, bereit, mich zu warnen, falls sich jemand nähern sollte. Dann kramte ich die schwarze Halskette aus meiner Hosentasche hervor.

Die Furcht in Xorians Augen, als er mir in der Glasstadt von dem Seelengefäß erzählt hatte, ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Sie war so groß gewesen, dass er uns fortgeschickt hatte und damit die Möglichkeit, Ayert zu befreien, aufs Spiel setzte.

Aber ... das Amulett ... dieses Seelengefäß ...

Irgendetwas hatte ich übersehen, das fühlte ich. Etwas Bedeutendes. Doch egal, wie sehr ich es auch versuchte, ich bekam die Schemen, die durch meinen Verstand geisterten, einfach nicht zu fassen.

Meine Konzentration nun gänzlich auf die Kette zu richten, fiel mir schwer. Noch dazu ertrug ich den Gedanken kaum, die Essenz, welche hinter dem schwarzen Onyx schlummerte, in Ashras Nähe zu entfesseln.

Doch ... was blieb mir anderes übrig.

Widerstrebend legte ich eine Hand auf die kühle Oberfläche des Colliers und schloss die Augen; die Magie dahinter pulsierte förmlich. Es dauerte nicht lange und ich sah ineinander verwobene silberne Fäden in meinem Geist aufleuchten. Sie führten allesamt hin zu einer dunkellodernden Flamme im Zentrum eines labyrinthartigen Geflechts.

Intuitiv ergriff ich einen der feinen Stränge zu meiner Linken, dann noch einen weiteren direkt über mir. Es brauchte jedoch immer drei, deshalb beugte ich mich mit den beiden Fäden in Händen zu Boden und wählte aus dem Wirrwarr von Schnüren, eine einzige aus ... und zog sanft daran.

Das Licht der schwarzen Flamme zerbarst.

Ich schlug die Augen auf. Die Kette war verschwunden und hatte einem wabernden Schatten Platz gemacht, der träge über meiner Handfläche schwebte. Bevor ich einen nächsten Gedanken fassen konnte, rief Lelei:

»Sie kommt hierher! Treya kommt hierher!«

Was?! Es war unmöglich, dass die Nachtfürstin wusste, was wir vorhatten.

»Namir!« Lelei erschien an meiner Seite. »Ihr müsst gehen!«

Hastig hob ich Ashra in meine Arme und betrachtete die Finsternis, die hinter den Toren lauerte.

Verdammt, was sollte ich tun?

Durch welches der Tore sollte ich gehen?

Schritte waren auf der Treppe zu hören und sie kamen unaufhörlich näher.

Es blieb keine Zeit mehr. Blindlings traf ich deshalb eine Entscheidung und rannte mit Ashra auf das Portal direkt vor uns zu. Sobald wir es betreten hatten, legte sich die Finsternis wie ein Film über meine Haut. Sie infiltrierte meine Gedanken und verwehrte mir den Blick nach vorne. Dann: Kurz bevor ich glaubte, in der Dunkelheit zu ertrinken, öffnete sich ein gleißend helles Tor. Der Ausgang.

Schwankend schritt ich hindurch, verlor das Gleichgewicht und sank zu Boden. Erleichtert ließ ich meine Stirn gegen Ashras sinken. Es hatte funktioniert ... Es hatte tatsächlich funktioniert. Ein Zurück gab es nicht mehr, die Überreste von Treyas Magie verrauchten in meiner Hand.

»So wach doch auf«, wisperte ich. »Wir haben es geschafft.«

Sie reagierte nicht. Langsam hob ich den Blick, um herauszufinden, welches der Reiche wir betreten hatten. Was sich mir zeigte, ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. Das Portal hatte uns dort hingeführt, wo alles begonnen hatte. In die Stadt der Tannen.

Tannengold - Die Erben des JenseitsWhere stories live. Discover now