Hoffnung

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Ein Jahr später ...

Das erste Licht des Tages blitzte durch das dichte Blätterdach über unseren Köpfen, gleich schimmernden Kristallen tänzelte es über die Astzweige und kam uns immer näher. Es konnte sich nur noch um wenige Minuten handeln, bevor die Sonnenstrahlen Ashra wecken würden.

Doch nicht heute.

Heute würde ich der Sonne zuvorkommen.

Lächelnd sah ich zu Ashra, die in meinen Armen schlief; ihre Hand ruhte auf meiner Brust, auf Höhe meines Herzens. Bei ihrem Anblick fühlte ich nur eins: Frieden. Tiefen, federleichten Frieden.

Behutsam beugte ich mich vor und küsste sie auf die Stirn. Grummelnd kuschelte sie sich daraufhin enger an mich. Das war meine Chance. Jetzt oder nie.

»Mein Stern, mein Leben, mein Licht«, begann ich leise zu singen. »Der Weg war weit, die Reise schwer, ein Ende fern.« Blinzelnd hob Ashra den Kopf. »Doch dann fand ich dich. Du reichtest mir deine Hand und führtest mich zurück ins Leben. Gegen dein Licht hatte die Finsternis keine Macht.«

»Der Weg ist weit, die Reise schwer, doch nun kann ich den Pfad sehen. Gemeinsam mit dir will ich diesen Weg nun weitergehen. Mein Licht, mein Leben, mein Stern.« Mit einem zarten Kuss besiegelte ich meine Worte.

»Du ... hast für mich gesungen«, hauchte Ashra.

»Das habe ich.« Sanft drängte ihr Körper gegen meinen und entfachte damit erneut diese brennende, unstillbare Sehnsucht nach ihrer Nähe. Es glich einem Flammenmeer, dem ich mich nicht entziehen konnte.

Sie kicherte. »Deine Stimme ist atemberaubend!«

Ich schloss die Augen, lehnte mich zurück und setzte ein zufriedenes Grinsen auf. »Weiß ich doch.«

»Sie muss gehört werden! Du könntest mein Hofsänger werden, was meinst du?«

»Niemals!« Demonstrativ öffnete ich ein Auge. Dann packte ich Ashra an der Hüfte und kniete im nächsten Augenblick über ihr. »Ich singe nur für dich«, raunte ich ihr ins Ohr.

Sie erschauderte und zog mich näher zu sich.

Liebevoll vergrub ich den Kopf an ihrer Halsbeuge und begann, ihre Haut mit Küssen zu bedecken. Als ich die silbernen Sterne an ihrem Hals mit der Zungenspitze berührte, leuchteten diese schwach auf.

Ashras Hand wanderte unterdessen in meine Haare. Die Liebkosungen ihrer Finger auf meiner Haut entfachten einen Sturm, in dessen Angesicht die Welt und alles darin verblasste.

Es gab nur noch uns beide.

Das Stöhnen, welches aus meiner Kehle drang, vermischte sich mit ihrem.

Ich küsste sie. Ich küsste sie, bis ich an nichts anderes mehr denken konnte als ihren Duft, der mich wie einen schützenden Kokon einhüllte.

Mit einem Mal begann Ashra jedoch leise zu lachen und umfasste mein Gesicht. »Ein neuer Tag bricht an«, wisperte sie und strich mir mit dem Daumen über die Unterlippe. »Die Welt erwacht.«

Fragend hob ich die Augenbrauen, bis ich das freudige Quietschen einer Kinderstimme hörte und mir klar wurde, wovon sie sprach. Jetzt war ich es, der lachen musste.

»Ich möchte heute auf die Blumenfelder. Darf ich, darf ich? Biiiitte.«

Ein langgezogenes Seufzen folgte. »Deine Schwester ist gerade erst eingeschlafen, Renéja.« Das Lächeln in Aktons Stimme war deutlich herauszuhören.

Er sprach von Jareina – Isras und Usnams Tochter –, die mein Bruder längst fest in sein Herz geschlossenen hatte. Wenn ich Akton mit den beiden sah, erinnerte mich das unweigerlich an Vater. Bedingungslose Liebe war alles, was er den Kindern entgegenbrachte.

Tannengold - Die Erben des JenseitsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt