Sternenkinder

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Meine Sinne kochten über. Ich spürte zu viel:

Die ohrenbetäubende Stille.

Den kalten Untergrund, auf dem ich lag.

Die Gestalt, die über mir kauerte und deren Aura, die gleich feinen Webfäden ihre Farben in die Welt sandte.

Ich schlug die Augen auf und sah direkt in Martizians entsetztes Gesicht. Mit einem knappen Lächeln gab ich meinem Bruder zu verstehen, dass alles in Ordnung war, rollte mich auf die Seite und richtete mich auf. Dabei stürzten dutzende Sinneseindrücke auf mich ein. Ich roch die Nacht, schmeckte den Himmel und fühlte ... das Leben. In all seinen Facetten.

Und mit einem Mal erschien alles so klar.

Die Illusion, die all die Zeit mein wahres Ich verborgen hatte, gehörte der Vergangenheit an, der Schleier war gefallen. Die Verbindung, welche ich mit Octavia teilte und die hin zu Ayert – der Fürstin des Tages und unserer beider Mutter – führte, lag nun offen.

Mit großen Schritten steuerte ich auf Ashra zu. Lelei kauerte über ihrem bewusstlosen Körper und weinte Tränen in den schillerndsten Farben des Regenbogens.

»Weine nicht, Lelei. Sie ist nicht fort.«

Beim Klang meiner Stimme schreckte sie hoch. »Namir, du ...«

Ich sank neben Ashra zu Boden. Ihr Herz schlug wild in ihrem Brustkorb, doch ihre Seele schlummerte noch. »Wach auf, mein Licht.« Zärtlich strich ich ihr durchs Haar. Ihre Lider zuckten. »Komm zurück«, wisperte ich und beugte mich vor. »Es gibt noch so vieles, was die Welt für dich bereithält.«

Zaghaft öffneten sich ihre Augen. Irritiert wanderte ihr Blick über den zerstörten Tempel, bevor er letztlich meinen fand. »Was ... was ist passiert?«

»Die Sterne«, ich küsste sie auf die Stirn, »haben unsere Seelen vereint.« In meinen Armen lag nicht länger eine menschliche Seele, sondern eine Göttin mit Haaren so rot wie Mohn.

»Was hast du getan!«, schrie Treya, hob den goldenen Dolch vom Boden auf und richtete ihn auf mich.

Xorian entgegnete: »Siehst du es denn nicht?«

»Was! Was sollte ich sehen?«

»Er ist genau wie wir. Ein Sternenkind.«

Die Nachtfürstin erstarrte. »Nein, unmöglich.«

»Nichts ist unmöglich.« Gestützt durch Eneja – den Jungen mit den topasblauen Augen –, und Octavia erhob sich Ayert aus ihrem gläsernen Sarkophag. »Lass die Waffe sinken, Schwester. Es ist vorbei.«

Die Mundwinkel der Nachtfürstin zuckten, dann schnellte sie ohne Vorwarnung nach vorne und zielte mit der Inxa direkt auf mein Herz.

»Nein!« Ashra sprang auf und stoppte Treya, indem sie diese am Handgelenk packte. Magie drängte dabei aus ihrer Seele und umgarnte in Form von roten Blütenblättern ihren Körper. »Du wirst ihm nie wieder ein Leid zufügen.«

»Du bist nur ein Mensch, was könntest du schon ausrichten?«, spie die Nachtfürstin zähneknirschend, ging jedoch im Angesicht von Ashras Macht in die Knie. Die Klinge fiel ihr aus der Hand.

»Oh, sehr viel sogar«, stellte Eneja klar. »Sie ist nun mächtiger als du, Schwester.«

Treya funkelte ihre Brüder hasserfüllt an. »Ja, aber nur, weil ihr mir meine Magie genommen habt!«

Mijamar ergriff das Wort. »Das haben wir nicht.« Er flüsterte Kjertan, der am Boden kauerte und Tiqar, den kleinen Vogel, in Händen hielt, etwas zu. »Du bist nur nicht länger würdig, die Flamme des Lebens zu hüten. Sie hat sich eine neue Trägerin erwählt.«

Tannengold - Die Erben des JenseitsWhere stories live. Discover now