Seele an Seele

23 4 2
                                    

Der Geruch eines bevorstehenden Regenschauers hing schwer in der Luft, als ich mich ein Stück aufrichtete und den Blick über die Flur der Zwischenwelt schweifen ließ. Der Mohn glich loderndem Feuer. Das Gras einer grünen See. Und Ashra, die mit geschlossenen Augen an meiner Seite ruhte, einem gefallenen Stern.

»Lass mich raten«, raunte ich. »Du möchtest den Regen abwarten.«

Ihre Mundwinkel zuckten. »Bin ich so leicht zu durchschauen?«

»Nein, aber deine Regentänze sprechen für sich.«

Sie schnaubte, drehte sich auf den Bauch und sah zu mir auf. Ich wusste, was nun kommen würde. »Sing etwas für mich, Namir, bitte.«

Das Lächeln, das sie mir schenkte, war so überwältigend, dass ich kurz in Betracht zog, es wirklich zu tun. Der kleine Vogel in meiner Brust schlug wild mit den Flügeln und drängte darauf, freigelassen zu werden. Doch nicht heute. Nicht hier. »Ich hätte dir niemals davon erzählen dürfen.«

»Gut«, Ashra reckte das Kinn, »dann singe ich für dich.« Ihr Mund öffnete sich, doch bevor sie einen Laut von sich geben konnte, beugte ich mich vor und legte meine Lippen auf ihre.

Die ersten Regentropfen fielen vom Himmel. Die Blumen tanzten im Wind. »So schrecklich ist mein Gesang nun auch wieder nicht«, brummte sie.

»Lelei ist da anderer Meinung.«

»Sie war müde und hat sich deshalb unter den Kissen verkrochen. Also schieb es nicht ihr in die Schuhe!«

»Nun gut ...« Ashras Augen strahlten und versicherten mir, dass meine Worte sie nicht verletzten würden. »Ich bin anderer Meinung. Dein Gesang ist ausbaufähig.«

Sie hob eine Hand. »Beschönige es nicht, Namir. Er ist ohrenbetäubend.«

»Haarsträubend.«

Sie pikte mich in die Seite. Lachend ging ich zu Boden, jedoch nicht, ohne sie mit mir zu reißen. Der schlagartig einsetzende Sturzregen verwandelte die Erde unter uns binnen kürzester Zeit in Schlamm.

Ashra grinste verschmitzt.

Oh nein ...

Gerade noch rechtzeitig konnte ich die Augen schließen, bevor sie mir eine Ladung Schlamm mitten ins Gesicht klatschte. »Ashra!«

»Was? Ich passe dein Gesicht nur deinem Charakter an.«

»Ist das so?«, rief ich über den Regen hinweg und blinzelte. »Oder gefällt es dir einfach nur, mich zu berühren?«

Sie schnalzte mit der Zunge und verteilte weiter Erdklumpen auf meinen Wangen. »Mag sein, vielleicht.«

Das Licht, welches ihr Körper ausstrahlte, wurde heller. »Nein ...« Ihre Finger vergruben sich in meinen Haaren. »Ich liebe es, dich zu berühren.« Sanft begann sie, meine Kopfhaut zu massieren, und entlockte mir damit ein leises Stöhnen. »Magst du das?«

Und wie. »Komm näher ...«

»Ja?« Ihre Lippen streiften fast meine.

»Du hast da was«, flüsterte ich und zeichnete einen Kreis aus Schlamm auf die weiche Haut ihres Halses.

Überrascht wich sie vor mir zurück. »Wie wäre es mit einem Wettrennen?«

Mit einem Seufzer rollte ich mich auf die Seite. »Du springst über die Felder wie eine Gazelle, da habe ich doch keine Chance.«

»Hm ...«, sie ging vor mir in die Hocke und stupste mir auf die Nase. »Wie wäre es mit einem Anreiz? Ein Preis, der dir winkt, falls du vor mir die Feuerbäume erreichst.«

Tannengold - Die Erben des JenseitsWhere stories live. Discover now