Die Zurückgekehrte

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Nein, nein, nein! Meine Gedanken überschlugen sich. Ich selbst war es gewesen, der ihr am Tag der Erweckung das Herz mit einem Dolch durchstoßen und ihrem Leben damit ein Ende gesetzt hatte. Also wie konnte Parina nun hier sein?! Ihre Seele sollte sich in der Stadt der Tannen – in den Händen der Göttin – befinden und nicht zusammengekauert vor mir sitzend, mit nichts weiter als einem zerschlissenen Gewand am Leib, an dem Harz und Tannennadeln klebten; selbst ihre Hände und Füße waren in das schwarze Baumpech getränkt.

Scheinbar teilnahmslos wippte sie auf ihren Fußballen auf und ab. Nur ihr Blick zuckte unruhig über den Waldboden, bis er unvermittelt meinen fand. »Lügen«, zischte sie, ihre blutunterlaufenen Augen stierten mir bedrohlich entgegen. »Alles nur Lügen.«

Ehe ich reagieren konnte, schnellte sie in die Höhe und packte mich am Handgelenk. Sie murmelte noch etwas, doch ihre Worte verblassten im Angesicht des Harzes, das sich wie flüssiges Eisen in meine Haut brannte. Eine ewige Finsternis legte sich über meinen Geist.

Schmerz und Qual. Ich wollte nur noch schreien und konnte es nicht.

Nebelschleier. Alles erschien auf einmal nichtig und unbedeutend.

Die Welt verging.

Die Welt entstand.

Die Welt verging erneut.

Tage wurden zu Nächten. Und Nächte zu Schatten.

Kein Licht. Keine Hoffnung. Kein Leben.

Keuchend schlug ich auf dem Boden auf und krümmte mich zusammen. Es sollte aufhören. Es sollte aufhören! Bitte ... Bitte! Ich ertrug diese ... Gefühle nicht länger. Doch nichts geschah. Minuten vergingen. Tage. Wochen. Ein ganzes Leben. Erst als ich glaubte, endgültig den Verstand zu verlieren, verblasste der Schmerz.

Doch die Erinnerung blieb. Nur allmählich erlangte ich wieder Kontrolle über meinen Körper, richtete mich benommen auf und übergab mich kurzerhand.

Was im Namen der Göttin ...

Viel Zeit darüber nachzudenken, was soeben im Bruchteil weniger Sekunden geschehen war, blieb mir nicht, denn in der Ferne erspähte ich Parina, die auf die Wagenfläche des Karrens gekrabbelt war und sich nun hinter einem der Flechtkörbe verkroch.

Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Ich brauchte Antworten, zudem konnte sie unter gar keinen Umständen in diesem Wagen bleiben. Hundert Fuß später stand ich erneut vor der Zurückgekehrten, wahrte dabei jedoch Abstand; dass sie mich noch einmal berührte, kam nicht infrage. »Was tust du hier, Parina?« Meine Stimme zitterte, man merkte mir deutlich an, wie aufgewühlt ich war. Verdammt, Tholon, jetzt beruhig dich!

Als Erwiderung verzog sie das Gesicht zu einer Fratze. »Verfluchter.«

Ich erstarrte. Kälte machte sich in meinem Körper breit. »Ich bin nicht verflucht!«

»Verflucht, verflucht, verflucht«, säuselte sie, zog ihre Beine an den Oberkörper und umschlang sie mit den Armen. »Du bist verflucht, Tholon

»Schweig!«, zischte ich. Niemand durfte davon erfahren. Niemand! Und doch hatte Parina die Wahrheit gleich erkannt.

»Es ist eine Lüge.«

Was? »Was ist eine Lüge?«

»Alles.« Ihr Fokus verlor sich im Nichts. Mit den Fingernägeln schabte sie sich über die Unterarme und riss die Haut auf, grünes Blut trat hervor.

Ich schüttelte den Kopf. »Was meinst du damit?«

Brummend schloss sie die Augen und schwieg.

Mir war elend zumute. Es schien aussichtslos, etwas von Parina zu erfahren. Weder begriff ich, wovon sie sprach, noch konnte ich mir einen Reim darauf machen, wie und aus welchem Grund sie die Stadt der Tannen verlassen hatte. Doch eines wusste ich: Sie konnte nicht hierbleiben. Denn wenn sie so vor den anderen zu reden begann ... wäre das mein Untergang.

Tannengold - Die Erben des JenseitsWhere stories live. Discover now