23. Tyler

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In der Schule ist mir aufgefallen, dass ich mein Handy zu Hause gelassen habe. Dann habe ich mich daran erinnert, dass der Akku leer ist, also habe ich es an die Steckdose gesteckt.
Nach zwei Minuten warten, kann ich es einschalten.

Sofort piepst und klingelt es. Kein Wunder. Seit gestern habe ich es nicht mehr an gehabt.
Schnell überfliege ich die Meldungen über Updates, Kommentaren und Likes bei meinen Social Media Accounts.
Eine Nachricht sticht mir jedoch sofort ins Auge. Eine Whatsapp Nachricht von Corey.

Zuerst zögere ich sie anzuklicken, tue es aber trotzdem, da ich neugierig bin, was er will.

Hey, können wir reden?
Meld dich bitte.

Als ich sie gelesen habe, wird mir heiß. Meine Brust schmerzt plötzlich und ich weiß nicht was ich antworten soll. Irgendwann müssen wir reden.
Zwar kann ich es hinauszögern, aber das Problem wird nie verschwinden.
Also fasse ich einen Entschluss.

In einer halben Stunde am Fußballplatz?

Fußball. Mein Traum der mir zerstört wurde. Bald ist das Finale gegen Twinbrook. Da ich sowieso nicht hin kann, ist es mir ziemlich egal. Zurzeit habe ich andere beschissene Probleme.
Gleich darauf piept mein Handy.

Ok, dann bis gleich.

Langsam bekomme ich Angst vor dem Gespräch mit ihm. Das ist als ob ich zum Zahnarzt muss. Man hat Angst, muss aber hingehen.  Danach stellt sich heraus, dass es garnicht so schlimm war.

Ich ziehe mir eine Jacke über, stecke mein Handy ein, gebe Estelle bescheid und mach mich auf den Weg zu Corey.

Je näher ich dem Platz komme, desto mehr zittern meine Hände. Ob ich ihm in die Augen schauen kann, nachdem ich ihn verprügelt habe?
Ob er mir überhaupt in die Augen sieht? O mann.

Der Augenblick ist gekommen. Ich kann ihn bereits sehen. Corey lehnt an dem Torpfosten. Er trägt einen dunkelblauen Hoodie, dessen Kapuze er sich über den Kopf gezogen hat. Besser so. Es ist ziemlich kalt und windig.

Als ich näher an ihn herantrete, nimmt er die Kapuze ab.
Sofort bleibe ich stehen und ziehe scharf die Luft ein.
Mein Gott.
Sein rechtes Auge ist blau. Eine Schramme ziert seine Schläfe und an seiner Lippe ist ebenfalls eine Wunde zu sehen.
Corey sieht aus als wäre er in eine Raufferei von der Mafia gekommen.
Das warst du. Meldet sich eine Stimme in meinem Kopf. Ich.
Wegen mir sieht er so aus.

Unbemerkt habe ich mir eine Hand vor den Mund geschlagen. "E- Es tut mir leid." stottere ich. Mehr bringe ich in dem Moment einfach nicht heraus.

Corey kommt auf mich zu. "War das wirklich nötig?"
Sein bissiger Unterton jagt mir einen Schauer über den Rücken.

"Mein Vater. Er hat mich angeschrien, er meinte er brauche keinen Schwanzlutscher als Sohn. Dann hat er mich rausgeschmissen und meine Mutter hat dabei zugesehen."
Das alles wusste Corey noch nicht. Er wirkt überrascht, trotzdem ist seine Miene noch finster. Mir sind bereits Tränen in die Augen gestiegen.

Da er mir nicht antwortet, muss ich ihm die Frage stellen, die mir schon ewig in meiner Kehle brennt.
"Wieso?" Meine Stimme ist laut und ernst. "Wieso hast du das getan?!"

"Weil ich nicht mitansehen konnte wie unglücklich du bist und deinen Traum aufgibst! Ich hatte Angst dass du mich auch aufgibst!"

"Wie könnte ich jemanden wie dich aufgeben? Du bist mein bester Freund.
Du bist sogar mehr als das."

Ehe ich überlegen kann, was ich da sage, sind die Worte bereits aus meinem Mund. Aber es ist die Wahrheit.

Mit offenem Mund starrt er mich an.
Dann sehe ich wie eine Träne seine Wange hinunterkullert. Er weint.
Das letzte Mal, dass ich Corey weinen sah, war, als seine Mutter gestorben ist.
Ich kann nicht einordnen ob er glücklich oder traurig ist. Er steht einfach nur da.

In dem Moment spüre ich ebenfalls einen Tropfen an meiner Wange, aber es ist keine Träne, sondern Regen. Es tröpfelt.

Corey sieht mich immer noch an.
Der Regen wird stärker. Im Bruchteil einer Sekunde schüttet es ziemlich. Jedoch macht keiner von uns beiden Anstalten zu gehen, stattdessen kommt mir Corey näher. Die feuchte Luft wird kälter, aber Corey so vor mir stehen zu sehen, lässt meine Haut brennen. Seine nassen Haare kleben ihm bereits an der Stirn und seine Schramme an der Schläfe ist verdeckt.

Mein weißes Shirt unter meiner Jacke ist ebenfalls nass und lässt so einiges durchblicken. Als ich wieder hochblicke ist er mir ziemlich nahe.
Es herrscht Stille zwischen uns, man hört nur den Regen prasseln.

Mein Blick findet Coreys und ich sehe wieder seine Wunden, für die ich verantwortlich bin.
"Es tut mir leid." flüstere ich, in der Hoffnung das er es überhaupt gehört hat. Der Regen ist ziemlich laut, aber im Moment kann ich nicht lauter sprechen, da es sich anfühlt, als sei meine Kehle zugeschnürt.
Corey kommt näher und erwidert leise: "Mir auch." und in dem Moment nimmt er meinen Kopf in seine Hände und küsst mich, verdammt nochmal.

Anstatt ihn aufzuhalten, lasse ich ihn gewähren. Ich schließe meine Augen und genieße den Augenblick in dem die Welt um mich herum verblasst. Den Regen höre ich garnicht mehr. Da ist nur Corey, der seine weichen und vom Regen nassen Lippen auf meine drückt. Ich spüre die Wunde seiner Lippe an meiner. Wie sehr wünsche ich mir, ich könnte ihm den Schmerz, den er ertragen musste, nehmen.

Corey, der allen Mädels, denen er begegnet, den Kopf verdreht.
Der sich eben mal aus Langeweile mit einer davon Vergnügt, küsst seinen besten Freund, der nur wegen des Geldes seiner Eltern von anderen gemocht wird.
Der ein Vollidiot war.

Zwar haben wir uns schonmal geküsst, aber da gibt es einen entscheidenden Unterschied.
Diesmal ist es nicht Teil eines Spiels.

RiptideWhere stories live. Discover now