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Hanji hat mir das Abendessen gebracht. Brav esse ich alles auf und lege das Tablett dann auf den Tisch neben meinem Bett.

"Wo ist Levi hin?", frage ich.
Ich bin etwas gekränkt, denn er hat mich einfach verlassen. Ohne ein Wort zu sagen, ohne eine Nachricht hinterlassen zu haben.

Hanji ist natürlich ausgeflippt dass Levi nicht liegen blieben ist. Da muss ich schon schmunzeln. Und dann ist sie mit lautem und erschrockenem Gebrüll rausgerannt, auf der Suche nach dem kleinen schwarzhaarigem Mann.
Meinem kleinen schwarzhaarigem Mann.

Nun bin ich wieder allein. Hanji will dass ich wenigstens eine Nacht im Krankenflügel verbringe. Doch als Eren mich wieder einmal nach meiner Vergangenheit ausgefragt hat, kann ich nicht einschlafen. Zu gern will ich wissen was von vor 3 Jahren passiert ist. Zu gern möchte ich wissen woher die Narben kommen.
Es kann doch nicht sein dass ich mich an ganze 3 Jahre meines Lebens nicht erinnern kann! Das ist lächerlich...

Es sind gestaltlose Erinnerungen. Wie aus einem längst vergessenen Traum. Immer wenn ich denke dass die Lösung zum Greifen nahe ist, da entwischt sie mir und rinnt wie Sand durch meine Finger. Ein endloser Tunnel ohne Licht.

Umso seltsamer ist es dass diese Nacht bestimmt war, mir Lösungen zu bieten.

Irgendwann schlummere ich ein. Jedoch gleite ich nicht in einen Traum. Ich gleite zurück an mehreren Stellen meiner Vergangenheit.

"Mama? Mama wach auf! Mama bitte, ich brauche dich! Du darfst nicht gehen!"
Ich kralle mich an meinen Teddy fest. Er ist das Einzige was mir bleibt.
"Hey Kleine. Komm lass uns gehen. Sag deiner Mama lebe wohl."
"Wer bist du?"
"Mein Name ist Levi. Ich werde jetzt auf dich aufpassen. Du musst keine Angst haben."
"...Levi..."
Ich schaue nochmal in das leblose Gesicht meiner Mutter.
"Wo kommt Mama jetzt hin?"
"An einen besseren Ort."
"Ich habe angst..."
Levi kniet sich vor mich.
"Ich weiß. Ich kenne dieses Gefühl. Aber ich verspreche dir dass ich mich um dich sorgen werde. Komm. Nimm meine Hand. Ich bring dich hier weg."

"Aua Aniki! Das tut weh!"
Ich reibe mir den Hinterkopf auf den ich gerade geflogen bin.
"Ich dachte du wolltest kämpfen lernen."
"Aber so macht das keinen Spaß!", rufe ich und ziehe einen Schmollmund.
Levi wuschelt mir durchs Haar.
"Merk dir eins. Kämpfen macht keinen Spaß. Es muss so selbstverständlich werden wie atmen. In dieser Welt überlebt nur der Stärkere. Und irgendwann werde ich nicht mehr da sein um dich zu beschützen..."
"Du lässt mich allein?!"
Er lächelt traurig.
"Ich wünsche nicht."

"Ach verdammte Scheiße!"
Levi schlägt wütend mit der flachen Hand auf den Holztisch. Ich zucke erschrocken zusammen.
"Schon wieder ein vermasselter Auftrag!"
"Bitte reg dich nicht auf, Aniki..."
"(V/N)! Halt einfach den Mund, ja?"
Es war das erste Mal dass er mich so anbrüllte.
Tränen sammeln sich in meinen Augen.
Vorsichtig lege ich meine Hand auf seine, in der Hoffnung ihn zu beruhigen.
"Aniki...", sage ich mit zittriger Stimme.
"Lass mich in Ruhe, Balg! Ich wünschte ich hätte dich niemals von der Straße gekratzt!"
Ich höre wie mein Herz in tausend Stücke zerbricht.
Dicke Tränen rollen meine Wange hinunter. Ich drücke meinen Teddy so fest es geht an mich und laufe aus dem Haus, vorbei an einen überraschten Farlan.
"Verdammt Levi! Sie kann nichts dafür! Lass deinen Frust nicht an ihr aus! Sie ist ein Kind!", höre ich Farlan schimpfen.
"Ja aber nicht meins!"
Und schon wieder. Er hat die Scherben mit den Füßen getreten. Ich laufe so schnell es geht über die gepflasterten Steine. Immer weiter, immer schneller.
Bis ich erschöpft auf den Boden sinke. Ich bin noch nie so lang gelaufen. Durch das Weinen und Laufen habe ich eine Schnappatmung bekommen.
Schniefend sitze ich am Straßenrand in einer dunklen Gasse. Allein.
"Hey du hübsches Mädchen, komm doch her.", rufen mir zwei Typen zu.
Voller Angst rolle ich mich zusammen.
"Onkel Terry und Onkel Gabriel wollen dir auch sicher nichts böses..."
Sie kommen immer näher, doch ich kralle mich nur noch fester an das Gesicht des Teddys. Langsam füllt mich angst.
"Levi...", flüstere ich dem Bären zu.
Ich spüre wie der Eine mein Handgelenk umschließt und mich auf die Beine zieht.
"Nein! Lasst mich in Ruhe! Mein Bruder wird kommen!"
"Freches kleines Ding. Sollen wir es disziplinieren, Gabriel?"
Der Typ neben ihm grinst breit. Wieder die salzigen Tränen.
"Levi!", schreie ich aus voller Kehle.
Langsam zieht der eine mein Kleid hoch während der andere mich festhällt.
Und dann sehe ich nur noch wie er auf dem Boden zusammenbricht.
Ich sehe rot. Vorsichtig schaue ich hoch und blicke in Levis Augen.
"Bruder!", schluchze ich.
"Ihr dreckigen Bastarde fasst nicht noch einmal mein Mädchen an!"
Der andere ist auch schnell verjagt. Traumatisiert knie ich im Dreck und weine.
"Es tut mir so unendlich Leid, (V/N). Ich wollte dich nicht anschreien. Ich werde dich beschützen. Immer. Versprochen."
Er hebt mich hoch, drückt mir einen Kuss auf die Stirn und trägt mich nach Hause.

"Farlan! Ich will auch fliegen können! Zeig es mir bitte!"
"Nanu junge Dame. Bist du dem denn auch gewachsen?"
"Farlan ich bin 12!"
"Genauso sturr wie der Papi Levi!", lacht er.
"Halt die Fresse, Farlan.", grunzt Levi.
"Wenn du das lernst dann begleitest du uns auf unseren Raubzügen, ja?"
"Jaaa endlich!"
"Na komm. Wir gehen nach draußen. Ich werde es dir beibringen.", lacht er.

"Seht euch den Mond an. Wie wunderschön. Wir haben es geschafft. Wir sind aus dem Untergrund."
"Wir werden dich auf die Mission begleiten, Aniki! Bitte glaub an uns!"
Levi schmunzelt.
"Na gut. Ich glaube an euch."
"Juhuuu! Levi ist wohl der Dickköpfige in dieser Truppe!", lacht Isabell.
"Ich liebe euch Leute.", flüstere ich in die Dunkelheit.
Isabell drückt mir einen Kuss auf den Kopf.
"Und wir dich auch, kleine Schwester."
Und dann lassen wir unsere Beine von der Mauer taumeln und schauen uns den Himmel und die Sterne an.
Es war wohl der schönste gemeinsame Abend. Und wie das Schicksal soll wollte, der Letzte.

"Ich werde sie auf mich lenken, Levi!"
"Das vergisst du sofort! Das kommt nicht infrage, (V/N)!"
"Es ist der einzige Ausweg."
Meine Stimme ist ganz leise und Tränen sammeln sich in meinen Augen. Das dumpfe Beben der Erde wird immer lauter.
Zu meiner Überraschung weint Levi auch.
"(V/N). Ich habe dich mit meinen eigenen Händen großgezogen. Ich darf dich nicht verlieren. Bitte. Bitte tu mir das nicht an. Ich werde es nicht überleben."
Ich schließe ihn fest in meine Arme. Die Tränen fließen unaufhörlich. Mein Körper wibriert und ich püre wie der dünne Stoff  an meinem Hals nass wird von Levis Tränen. Seine Finger krallen sich regelrecht in meinen Rücken.
"Es tut mir Leid, Aniki.", flüstere ich bevor ich ihm eine mit einem Stein verpasse. Sofort sackt er zu Boden.
Ich drücke ihm kurz einen Kuss auf die Stirn.
"Lebe wohl, und vergiss mich nicht. Danke für alles. Ich liebe dich."
Und schon schwinge ich mich aufs Pferd. Das einzige Pferd was noch da ist.
Ich sause am Aufklärungstrupp vorbei, die mir panisch hinterherrufen, dass mein Vorhaben irre ist.
Die Titanen rennen auf mich zu, folgen mir sogar. So schnell es geht reite ich in die andere Richtung, immer noch die Schreie meiner Freunde im Genick. Es funktioniert. Es funktioniert tatsächlich.
Sie folgen mir alle. Alle.
Mein Ende naht. So früh schon.
Doch ich habe Levi gerettet. Einer der einzigen Personen die mir in dieser Welt etwas bedeutet, auch wenn es heißt ihm dabei sein Herz zu brechen und ihn allein zurückzulassen.
Ich werde sterben.
Aber er wird leben.
Getrennt und allein auf ewig.

Coming Home // Levi x Reader x ErenWhere stories live. Discover now