♕ 7 • Die Mauer ♛

1.8K 260 41
                                    


Taehyung

Ein Leben in Furcht ist kein Leben, das hat mein Bruder stets gesagt. Nicht etwa um mir Mut zu machen, darauf das es etwas besseres gibt als das Schloss, etwas wofür es sich tatsächlich lohnt zu kämpfen, sondern um mir bewusst zu machen, dass obwohl ich dank Vater Güte am Leben bin, ich nicht wirklich lebe.

Seit 19 Jahren bin ich eingesperrt hinter diesen Mauern, an die ich mich selbst nach all den Jahren nicht gewöhnt habe. Man könnte meinen, dass ihr Anblick mich nicht mehr so traurig stimmen, das er mich sogar glücklich machen sollte, wo sie mich doch vor der Grausamkeit der Außenwelt beschützt, aber so ist es nicht.

Mit jedem Jahr, das ich hier verbringe, kommt sie mir immer größer vor. Ich weiß, dass sie nicht wächst, aber die Steine, aus denen sie gebaut ist, kommen mir dichter vor, schwerer, als könnte nichts sie auseinander brechen. Ich wusste bereits seit ich klein bin, dass ich die Ewigkeit hier verbringen würde.

Alles was ich jemals wollte, war hier heraus zu kommen. Meine Geschwister haben so viel von der Welt gesehen, dass selbst wenn sie jetzt in ihren jungen Jahren sterben sollten, sie nicht viel zu bereuen hätten. Ich würde sterben mit dem Gedanken nicht richtig gelebt zu haben, sowie mein Bruder es mir schon immer gesagt hatte.

Aber jetzt macht mir dieser Gedanke nicht mehr viel aus. Jetzt, wo ich weiß das mich hinter diesen Mauern der Tod im Süden erwarten könnte, klingt ein Tod irgendwann in der weiten Zukunft hier hinter den Mauern nicht mehr so schlecht. Ich hätte zwar nicht gelebt, sowie es andere trotz einem frühen Tod getan hätten, aber ich hätte wenigstens lange gelebt.

Diese Mauern mögen für mich zwar für Gefangenschaft und Einsamkeit stehen, aber für viele andere, für das Land und die Feinde, die uns umgeben ist sie ein Zeichen von stärke, denn in all den Jahren hat es noch niemand geschafft diese Mauer zu zerstören oder zu durchdringen. Kein Feind hat es bisher geschafft hinter diese Mauern zu kommen. Es ist beinahe unmöglich sie zu überwinden, zumindest von außen.

Ich habe bereits mehrmals darüber nachgedacht einfach von hier zu verschwinden, vermissen würde mich wohl kaum einer, aber es ist das erste mal das ich diesem Gedanken solch eine Ernsthaftigkeit schenke. Es ist das erste mal das es für mich tatsächlich um Leben und Tod geht.

Bisher hat es noch niemand versucht, wieso auch? Das hier ist der sicherste Ort in Illiora, sollten die Feinde jemals angreifen, und das werden sie irgendwann, dann ist es nirgendwo im Land sicherer als hier. Aber für mich ist es anders. Ich werde sterben, das ist das einzige was ich mit ziemlicher Sicherheit weiß, die Frage ist nur wie. Soll ich im Süden durch die Hand der Feinde oder beim Versuch sterben, eben diesem Schicksal zu entkommen?

"Du stehst bereits seit Stunden hier, brauchst du jemanden zum reden?"

Ich schrecke zusammen und drehe mich, als wäre ich bei etwas verbotenem erwischt worden, um. Am wenigsten hätte ich jetzt wohl meinen Vater sprechen wollen, es sei denn er hätte seine Meinung was das Bündnis angeht geändert, ansonsten hätte ich dafür keinen Nerv gehabt. Selbst mein Bruder wäre mir im Moment lieber, auch wenn der seine einzige Aufgabe darin sieht mir Salz in die Wunden zu reiben. Deswegen bin ich umso glücklicher, dass es keiner von beiden ist.

Obwohl es mir schwer fällt, versuche ich sein Lächeln zu erwidern und wende ihm wieder den Rücken zu um die Mauer und die Menschen drum herum zu betrachten. Er stellt sich ohne weiter etwas zu sagen um und folgt meinem Blick.

Namjoon ist, genau wie Sungjae, nicht oft hier im Schloss, sondern häufig im Ausland im Namen der Krone unterwegs. Er lebt ein Leben wie ich es mir wünsche, dient als Botschafter und schwingt das Schwert nur dann, wenn es gebraucht wird. Kinder suchen sich häufig ein Vorbild aus ihrer Familie und für mich war es eben Namjoon, mein Onkel.

Keiner von uns sagt ein Wort während wir einfach nur da stehen und in die Ferne blicken. Was genau ich da beobachte weiß ich nicht einmal genau, es könnten die Menschen sein, Arbeiter im Schloss, denen es frei zusteht die Mauer zu passieren wann sie wollen, oder aber ob die Stadt außerhalb eben dieser Mauer. Viel sehen kann man dort nicht, aber trotzdem erkennt man das dort sehr viel mehr Leben ist als hier im inneren.

"Würdest du mich aufhalten, wenn ich versuchen würde zu fliehen?", frage ich selbst für mich selber überraschend in die Stille hinein. Trotz der Angst, die sich in mir seit den Worten meines Bruders ausbreitet wie eine Seuche, ist meine Stimme fest und sicher, als würde ich die Antwort nicht fürchten, dabei ist es ganz anders. Ich fürchte sie, vielleicht sogar mehr als ich die Tat selber fürchten würde.

Er lächelt, so breit das ich es selbst bemerke ohne ihn anzusehen und dreht sich zu mir. "Ich denke, dass du genau weißt das ich das nicht tun würde." Seine Hand ruht auf dem Knauf seines Schwertes, aber nicht etwa aus Angriffsbereitschaft, sondern weil sie es immer tut. Wenn man so viel durch die Welt reist wie er es tut, lernt man irgendwann immer achtsam zu sein und die Hand stets auf dem Schwert ruhen zu lassen. "Denkst du wirklich darüber nach?"

"Was bleibt mir denn anderes übrig? Er schickt mich nicht irgendwohin, Namjoon, er schickt mich in den verdammten Süden!" Ich klammere mich fester an das Geländer aus Stein. Egal wie weit meine Verzweiflung noch wächst, egal wie wütend ich auf meinen Vater bin, die Zeit läuft weiter und die Menschen halten nicht an. Nicht einmal wenn ich sterbe.

"Ich kann deine Verzweiflung verstehen", sagt er und sieht wieder nach unten. "Aber es ist deine Pflicht als Prinz dieses Landes es mit deinem eigenen Leben zu schützen."

"Wir leben für dieses Land und wir sterben für dieses Land, nicht wahr? Zur Hölle damit."

Namjoon sieht mich überrascht über meine Worte an, aber am meisten überrasche ich damit wohl mich selber. Das ich vor einiger Zeit noch selber diese Worte gesprochen habe als wären sie ein Gebet ist plötzlich unvorstellbar, denn jetzt wo es tatsächlich so weit sein soll sie in die Tat umzusetzen, kommt es mir einfach nur noch verrückt vor. Ich bin nicht bereit für dieses Land zu sterben, das mir nichts als Verachtung entgegen gebracht hat.

"Ich möchte lernen zu leben bevor ich überhaupt an den Tod denke." Zum ersten mal hört man in meiner Stimme die Trauer heraus, zum ersten mal merke ich selber wie sehr mir das ganze tatsächlich zu setzt. Dem einzigen Menschen, dem ich bisher dankbar war, das war mein Vater. Er war der einzige, der für mein überleben gekämpft hat, ohne ihn auf dieser Welt wäre ich bereits als Säugling gestorben, aber selbst er kann mich nicht mehr vor dem bewahren, was da draußen auf mich wartet.

"Man lernt nicht zu leben, Taehyung. Du musst dich Blind hinein stürzen und dich daran verletzen bevor du es zu schätzen lernst."

Ich schnaube verächtlich, wütend über mich selber und darüber ihm überhaupt zugehört zu haben. Neben meinem Vater war er immer der einzige, der mir ohne Angst begegnet ist und mich behandelt hat wie einen Menschen, aber seine Ratschläge waren schon immer viel zu optimistisch. Statt mir zu helfen, hat er mir nur noch mehr Stoff zum nachdenken geliefert.

"Meine Flucht wäre sowieso gescheitert", sage ich und setze meine Kapuze zum gehen auf. "Diesen Mauern habe ich es zu verdanken, dass ich überhaupt noch am leben bin, da draußen würde man mich sofort töten."

Begin |Vkook|Where stories live. Discover now