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Juni 2015

Ich war ein mieser Wichser, das wussten alle im Viertel. Typen wie ich freuten sich nicht für andere. Und doch konnte ich nicht anders, als verdammt stolz auf meinen besten Freund zu sein, als er beim Abiball auf die Bühne gerufen wurde und der Direktor ihm mit lobenden Worten sein Zeugnis in die Hand drückte. Federico war Jahrgangsbester.

Während der Feier verschwand ich zweimal auf der Toilette, einmal, um eine Line Koks zu ziehen - besondere Tage erforderten besondere Drogen - und einmal, um mir von einem Mädel einen blasen zu lassen. Sie blies mittelmäßig, aber das spielte kaum eine Rolle.

»Das üben wir aber nochmal, was?«, meinte ich grinsend, kaum, dass ich in ihrem Mund gekommen war und meinen Schwanz wieder einpackte. Sie schluckte, doch nicht ohne das Gesicht zu verziehen. Ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet, als sie sich erschöpft nach hinten sinken ließ.

Sie machte einen elendigen Eindruck, wie sie auf dem Boden der nach Pisse stinkenden Schultoilette kauerte und sich über den Mund wischte. Die versifften Fliesen waren an mehreren Stellen zerschlagen. Abgerissene Sticker klebten auf den Papiertuchspendern, an den dreckigen Wänden Eddinggekritzel.

Ich zog den Reißverschluss meiner Jeans zu und strich ihr eine der zerzausten Haarsträhnen aus der Stirn, ehe ich mich mit »Hau' rein, Schlampe« von ihr verabschiedete. Allein blieb sie zurück, während ich mich auf den Weg in die Aula machte. Sie war mit billiger Deko, deren Farben längst verblasst waren, und abartig kitschigen Blumen geschmückt. Unverkennbar hatte sich hier jemand Mühe gegeben, doch es sah beschissen aus.

Ich drückte mich durch die engen Stuhlreihen und latschte einer Frau über die Füße, deren zeternden Nachruf ich mit Ignoranz bedachte. Dann ließ ich mich auf meinen Platz an dem Tisch von Federicos Familie fallen. Seine Eltern waren nicht allzu begeistert davon, mich hierzuhaben, doch mein bester Freund hatte darauf bestanden.

»Wo steckt Fede?«, fragte ich Leonardo, seinen kleinen Bruder. Gelangweilt hatte der seinen Ellenbogen auf dem Tisch abgestützt und zerzupfte unruhig eine der Servietten in unzählige Einzelteile.

»Hinter der Bühne. Hält gleich seine Rede, weil er doch Schülersprecher is'«, erwiderte Leonardo und setzte ein »Der Streber, ey« hinterher.

»Verdammt, im Vergleich zu dem Kerl sind wir zwei kiffende Versager, was?«, grinste ich.

Meine Aussage bewirkte ein bestätigendes Seufzen bei Leonardo und doch konnte er das breite Grinsen, das über sein Gesicht huschte, nicht verbergen. Er schien ziemlich stolz darauf zu sein, dass ich von uns beiden als Wir gesprochen hatte.

Die Mutter der beiden wurde auf unser Gespräch aufmerksam und begann, auf Leonardo einzureden. Leise klimperten die silbernen Armbändchen um ihr Handgelenk, als sie mit vielen Gesten in der Luft herumfuchtelte. Wie immer sprachen die beiden Italienisch miteinander, doch auch ohne ein Wort zu verstehen, war klar, dass es um das Kiffen gehen musste.

»Dio m'assiste«, seufzte seine Mutter und wandte sich wieder ab, während Leonardo genervt die Arme vor der Brust verschränkte.

»Alles cool?«, fragte ich ihn, doch er zuckte nur mit den Schultern und ließ seine Serviettenfetzen auf den abgenutzten Linoleumboden rieseln.

In diesem Moment trat mein bester Freund auf die Bühne und ans Mikrophon heran. Langsam ebbte das Stimmengewirr ab.

Federico war aufgeregt, das war unübersehbar. Er nestelte an seinen Karteikarten herum und warf dann einen flüchtigen Blick in die Menge.

Das weiße Hemd passte verdammt gut zu seiner gebräunten Haut und den dunklen, leicht lockigen Haaren. Er sah gut aus, das dachten auch die meisten Mädels. Von mir ließen sie sich ficken, doch Federico gehörte zu den Kerlen, in die sie sich verliebten. Bei denen sie auf eine Beziehung hoffen konnten. Das gab's bei mir nicht, das war ihnen von Anfang an klar.

Die Verlierer - Könige der PlattenbautenWhere stories live. Discover now