9 | Kippen, Vokabeln, Planlosigkeit

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Auf dem Weg zu Leonardo nach Hause zündete ich mir eine weitere Zigarette an, die ich ihm nach ein paar Zügen hinhielt. Mit einem breiten Grinsen nahm er sie entgegen. Wahrscheinlich konnte er sein Glück kaum fassen, dass er schon wieder zum Rauchen kam, und hatte in Freude darüber seinen Hustenanfall von vorhin längst vergessen.

Wieder paffte er und reichte mir dann mit einem stolzen Ausdruck in den Augen die Kippe zurück.

»Beeindruckend«, spottete ich, als wir gerade die Schienen überquerten und dann über das nasse Gras den rutschigen Hang hinunterschlitterten. »Wenn du jetzt noch richtig inhalierst, kann man das auch Rauchen nennen.«

Auch wenn es hier ziemlich dunkel war – schließlich befanden sich die nächsten Straßenlaternen erst bei den Plattenbauten, auf die wir zusteuerten – entging mir nicht, dass meine Aussage Leonardo getroffen hatte. Wieder zog er mit den Zähnen ein Stückchen Haut von seiner Unterlippe ab.

Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann kehrte er zu seiner üblichen Quatscherei zurück. Eine zusammenhangslose Story über irgendetwas, das er im Fernsehen gesehen hatte, war es dieses Mal.

»Ja, krass«, warf ich gerade desinteressiert ein, als wir den vierten Stock erreicht hatten und uns die Wohnungstür geöffnet wurde, dieses Mal von einem kleinen Mädchen mit dunklen Locken. Es steckte in einem verwaschenen Fußballtrikot vom AS Roma, das ihm ein paar Größen zu groß war, und mochte um die acht Jahre sein.

»Hallo, hallo!«, begrüßte uns die Kleine, beachtete mich aber nicht weiter. »In 'ner Viertelstunde, wenn papà daheim ist, essen wir!«, verkündete sie und rannte dann auf nackten Füßen in Richtung des Wohnzimmers, das sich hinter einem offenen Durchgang befand. 

»Das war übrigens Gloria, meine Schwester.«

Wirklich interessant.

Leonardo kickte seine Schuhe, die er ausgezogen hatte, zu dem unordentlichen Schuhhaufen, der sich unter der überfüllten Garderobe befand. Der Geruch nach mediterranen Kräutern und Bratfett stieg mir in die Nase.

»Wir können noch kurz in mein Zimmer gehen«, schlug er vor. Kaum hatte ich meine noch immer ganz durchnässten Turnschuhe abgestreift, zog er mich schon mit sich und riss seine Tür auf.

Schnell machte ich mich aus seinem Griff frei. Er brauchte gar nicht zu glauben, dass uns irgendetwas in den letzten Stunden zu Freunden machen würde. Es ging mir nur darum, diesen uneinsichtigen Streber Federico eins auszuwischen, um nichts weiter.

»Ich hab' jemanden mitgebracht«, verkündete Leonardo seinem Bruder, der mit dem Rücken zu uns am Schreibtisch saß und sich über seine Schulsachen gebeugt hatte. In dem kleinen Zimmer herrschte dasselbe Chaos wie auch beim letzten Mal.

»Congratulazioni. Du hast Freunde gefunden«, kommentierte Federico ironisch und hielt es scheinbar nicht für nötig, sich umzudrehen.

»Seit wann bist du so gemein?«, warf ich mit breitem Grinsen ein und verschränkte meine Arme vor der Brust. Auf diesen verschissenen Moment hatte ich die ganze Zeit gewartet.

Jetzt ließ er sich also doch dazu herab, sich zu uns beiden umzudrehen. Als er mich entdeckte, weiteten sich seine Augen überrascht – doch das nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann hatte er sich wieder gefangen. »Oh, hi, Jay«, meinte er beiläufig, dann wandte er sich wieder ab und schlug die nächste Seite seines Buches auf.

Der Wichser brauchte mal gar nicht so zu tun, als wäre ihm mein Auftauchen egal. Seine offensichtliche Gleichgültigkeit war doch ohnehin nur gespielt.

Wie selbstverständlich ließ ich mich auf Federicos Bett fallen. Es war ungemacht und die Decke lag zusammengeknüllt auf dem Boden.

»Was willst du hier?« Federico sah nicht auf, während er irgendetwas in sein Heft kritzelte.

Die Verlierer - Könige der PlattenbautenWhere stories live. Discover now