30 | Gefrorene Kirschtorte

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»Was'n mit dir passiert?«, fragte Lexie, als ich am nächsten Morgen in die Küche gehumpelt kam. Die Schmerzen waren über Nacht schlimmer geworden, was ein unnötiger Scheiß.

Der Geruch von Nagellackentferner mischte sich beißend mit dem kalten Rauch, der das kleine Zimmer erfüllte.

»Nichts«, erwiderte ich und öffnete eine der Schubladen. Aus einer Tüte nahm ich eines dieser Brötchen zum Aufbacken, die Mühe, es auch in den Backofen zu schieben machte ich mir nicht.

»Du kannst nicht mal richtig laufen«, merkte sie an und zog mit konzentrierter Miene das Pinselchen über ihren Nagel. Sie lackierte jeden in einer anderen bunten Farbe. Als ob ihr noch keiner gesagt hatte, dass das echt kindisch aussah.

Ich kratzte den letzten Rest aus dem Nutellaglas, dessen Deckel schon vor einer Weile abhanden gekommen war, ignorierte die paar Obstfliegen, die am Rand kleben geblieben waren.

Genau wie meine Schwester.

War für sie aber kein Anlass, die Schnauze zu halten.

»Ernsthaft, geh' zum Arzt«, sagte sie, gefolgt von einem Fluchen, weil sie daneben gemalt hatte. Achtlos schmiss ich das klebrige Messer ins Spülbecken, konnte sich mal schön meine Alte drum kümmern. »Muss man ausnutzen sowas. Der gibt dir dann bestimmt ein Attest und du musst nicht beim Schulsport mitmachen.«

»Alter, im Gegensatz zu dir bin ich kein fettes Walross, das'n Problem mit Sport hat.« Ich verlagerte mein Gewicht auf das gesunde Bein, wollte mir nicht die Blöße geben, wie so ein Krüppel zu laufen, doch es misslang mir.

Lexie klaute mir eine Brötchenhälfte, als ich mich an den Tisch setzte.

»Ey, was soll die Scheiße?«, schnauzte ich sie an und packte ihr Handgelenk. Mit einer groben Bewegung riss ich ihr das Brötchen aus der Hand.

»Ich wollte nur meinem Ruf als fettes Walross gerecht werden.« Sie zuckte mit den Schultern und öffnete das nächste Nagellackfläschchen, als ich wieder von ihr abgelassen hatte. Knallorange.

»Morgen«, erklang die Stimme meiner Mutter, die eben in ihrem hässlichen, unförmigen Nachthemd durch den Türrahmen trat. Wenigstens ohne ihren Stecher.

Lexie erwiderte ihren Gruß, ich nicht. Kein Bock, die Heile-Welt-Tour zu schieben.

Während meine Alte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen machte und diese zu rödeln begann, sagte sie: »Sieht man dich auch mal wieder, Jonathan. Du bist in letzter Zeit so viel weg.«

»Ja, gestern zum Beispiel. Da hat er sich bei irgendwelchen total geheimen Dingen verletzt«, musste Lexie ihr natürlich mitteilen. Mit gemeinem Grinsen schlug ich ihre rechte Hand weg, sodass die orangene Farbe über ihre Finger schmierte.

»Du Idiot!«

Meine Mutter kratzte die letzten Reste aus der Packung mit dem Katzenfutter in den Napf, dann wandte sie mir ihren Blick zu. »Was hast du denn gemacht?«

»Tu mal nicht so, als ob's dich auf einmal interessiert«, maulte ich sie an und stand dann auf, um die Küche zu verlassen. Mit zusammengebissenen Zähnen, damit die beiden mein Humpeln nicht sahen.

Natürlich waren meine Erlebnisse vom Wochenende perfekt dafür geeignet, um damit herumzuprahlen. Doch ich hielt meinen Mund. Alles andere wäre auch verdammt dämlich gewesen, da die Bullen ja Wind von der Sache gekriegt hatten, und sowieso. Ich hatte es garantiert nicht nötig, zu posen.

Stattdessen wartete ich darauf, dass Aykan irgendetwas dahingehend erzählen würde, was mit dem Friseursalon seines Cousins geschehen war. Ich freute mich schon richtig auf die Genugtuung, doch unsere Gespräche am Raucherplatz liefen wie immer ab. Weiber, Titten, Games, irgendwelche Rapstars - doch kein Wort von Üzeyir.

Die Verlierer - Könige der PlattenbautenWhere stories live. Discover now