41 | Kotze im Papierkorb

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Fede ließ sich so viel Zeit mit seiner Antwort, dass ich schon vergessen hatte, überhaupt gefragt zu haben, als sie endlich kam. »Weiß nicht. Ja, doch, als ich ihr gesagt hab, dass ich auf jeden Fall Abi machen und studieren möchte, war sie schon enttäuscht. Hat gemeint, dass ich die Familie nicht genug unterstützen würde und sowas. Dass wir das Geld brauchen und ich lieber sofort arbeiten soll.« Ich spürte seinen Blick auf mir, wie er mit Sicherheit nachdenklich die Stirn in Falten gelegt hat.

»Hab' halt Scheiße gebaut irgen'wie. Die hat voll geheult.« Ich zuckte mit den Schultern und ließ mich etwas enger gegen ihn sinken, war bequemer so. Allgemein fand ich das hier viel gemütlicher als gedacht.

»Was hast du getan?«, fragte er nach.

»Egal. Aber weiß'e ... die hat ech' geweint, okay?«

Auf einmal fühlte ich, wie er leicht über meinen Rücken strich, seine Fingerspitzen ein wenig hin und her bewegte. Ein angenehmes Kribbeln zog sich über die Stelle. »Mann, Jay, Kopf hoch, das wird schon. Entschuldige dich bei ihr und vielleicht machst du mal extra was im Haushalt oder so, das finden Mütter doch immer ganz toll«, sagte Fede und klang beruhigend dabei. Voll lächerlich eigentlich, ganz ehrlich. Ich war der letzte, den man trösten musste.

Und doch war es irgendwie doch schön. Dass es ihn kümmerte und sowas, dass es ihm nicht scheißegal war, was mit mir war.

»Du bist richtig kalt«, hörte ich ihn sagen.

»Mir's warm.«

»Ja, wegen dem Alkohol.«

»Des Alkohols, Alter. Immer diese Auslän'er hier, die kein Deutsch könn'n.« Auf meinen Lippen lag ein leichtes Grinsen und ich öffnete meine Augen, um ihn anzugucken. Fuck, er war mir echt nah. Das war mir gerade irgendwie nicht so klar gewesen. Nah genug, um das kleine Muttermal neben seinem rechten Ohr zu erkennen und ein paar Pickel auf seiner Wange. Das Braun seiner Iris, das am Rand dunkler war als in der Nähe seiner Pupille.

Fede sah mit einem drohenden, aber belustigten Blick zu mir runter und hielt in seiner Bewegung inne, ich fühlte seine Fingerspitzen auf meinem Hinterkopf ruhen. Sie waren warm.

»Mach' weiter«, murmelte ich. Meine Lider fielen wieder zu, sodass mich Dunkelheit umhüllte.

»Seit wann kennst du den Genitiv?« Er fuhr tatsächlich damit fort, mich zu kraulen, seine Finger in sanften Kreisen über meinen Rücken zu ziehen. Hatte ich ihn gerade ernsthaft aufgefordert, nicht aufzuhören? Verdammt, verdammt, verdammt.

»Nur wen'ich besoff'n bin.« Was klang ich eigentlich so scheiße zufrieden? War doch bescheuert, Alter.

»Ach so.«

»Fresse«, lallte ich und hob meine Finger an, um sie ihm auf den Mund zu drücken. War das überhaupt sein Mund? Oder seine Nase? Keine Ahnung.

»Du redest selber die ganze Zeit«, grinste er und drückte meine Hand weg. Gelang ihm erstaunlich leicht. Musste an den Quallenschnüren liegen.

»Trotzdem.«

Wir schwiegen wieder, aber irgendwie war das voll okay so. Reden war eh anstrengend und wenn ich meine Augen schloss, fühlte es sich an, als würde ich zuhause in meinem Bett liegen. Ein bisschen so, als wäre es voll gut, hier zu sein. Genau hier und nirgendwo anders.

Irgendwann spürte ich Fedes Hand an meiner Schulter und dann, wie er sie sanft schüttelte. »Komm, Jay, lass' mal gehen jetzt.«

»Mhm«, murrte ich und richtete mich langsam auf. Meine Klamotten waren ekelhaft feucht geworden, doch wenigstens nieselte es nicht mehr. Unsere Umgebung wurde langsam sichtbarer, doch die Dämmerung war noch so farblos, sodass sich die Plattenbauten nur wenig vom Himmel abhoben. Der Rückweg fühlte sich wie eine halbe Ewigkeit an und ich war so müde, dass ich die ganze Zeit das Gefühl hatte, im Stehen einzuschlafen. Aber irgendwie machte das nichts aus. War alles okay so.

Die Verlierer - Könige der PlattenbautenWhere stories live. Discover now