37 | Distanz

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Am nächsten Tag fehlte Federico in der Schule. Es hätte mir egal sein müssen, verdammt, nicht mal auffallen dürfen, aber irgendwie war es das nicht. Als ob sich dieser Streber einfach so seinen heiligen Unterricht entgehen ließ. War bestimmt todtraurig deswegen.

Als auf dem Nachhauseweg Fedes Block mit dem verblassten grünen Putz in meinem Blickfeld auftauchte, zögerte ich kurz. Ich könnte bei ihm vorbeigucken. Bisschen auf ihm rumhacken, wenn es ihm eh schon scheiße ging, sowas halt.

Warum nicht. Ich ging die paar Stufen hinunter, bis ich vor den zahlreichen Klingeln stand. Es brauchte einen Moment, bis ich die passende gefunden hatte und drückte. Und nochmal, als sich nichts tat.

»Hallo ... wer ist da?«, erklang eine aufgeweckte Jungenstimme. Geil, der kleine Spast hatte mir gerade noch gefehlt. Hatte er es noch nicht geschafft, sich versehentlich bei einer seiner idiotischen Aktionen umzubringen?

»Jay hier.« Ich zog an meiner Kippe, von der nur noch ein kurzer Stummel übrig war.

»Ey, voll cool! Du, Fede ist gar nicht da, aber wenn du Bock hast, komm ich runter und wir chillen zusammen! Bis gleich!«

Leonardo war schon wieder weg von der Sprechanlage, ehe ich überhaupt etwas erwidern konnte. So ein Idiot. Dachte der echt, ich würde hier bleiben und mit ihm rumhängen?

Andererseits ... wer wusste schon, wann ich das nächste Mal die Gelegenheit hatte, ihn zum saufen zu bringen. Ich schnippte meine Zigarette weg und holte mein Handy raus, auf dem eine Nachricht von Samu eingegangen war. Heut abend saufen vorm einkaufscenter?

Es dauert nur ein paar Augenblicke, bis die Haustür aufgerissen wurde und Leonardo herausgestürmt kam. In seine Turnschuhe war er nur reingeschlüpft und legte sich jetzt fast auf die Fresse, weil er auf den offenen Schnürsenkel trat.

»Hey, Jay!«, grinste er und streckte mir die Hand entgegen. Ich steckte mein Handy wieder weg, ohne Samu geantwortet zu haben, und schlug ein.

»Wieso is' Fede nich' daheim? Ich dachte, der's krank«, fragte ich nach, während Leonardo die Schnürsenkel in seine Schuhe stopfte.

Er schüttelte mit dem Kopf und richtete sich wieder auf. »Der ist nicht krank«, erklärte er und zeigte auf den Spielplatz, auf dem ich noch nie irgendwelche Kinder spielen gesehen hatte. »Wollen wir da rüber?«

»Was hat er dann?« Meine Fresse, wieso musste ich ihm denn jetzt alles aus der Rotznase ziehen? Sonst laberte er doch auch so viel, als wär' er auf Speed.

Ich ließ mich auf dem einst rot lackierten Karussell nieder, Leonardo neben mir.

»Guck mal«, grinste er und griff in seine Hosentasche. »Hab ich geklaut. Neulich«, erzählte er mir stolz, als er mir eine Kippenschachtel mit rotblauem Aufdruck präsentierte. Pall Mall war darauf zu lesen.

»Cool.« Mein Desinteresse war nicht zu überhören.

»Willst du auch eine?« Aufgeregt öffnete er die Packung und streckte sie mir hin. Bisher fehlte nur eine einzige Zigarette, auch wenn die Schachtel zerdrückt war, als würde er sie schon länger mit sich rumtragen.

»Klar.« Ich nahm eine Kippe raus und schob sie mir zwischen die Lippen.

»Mein Bruder weiß nichts davon, der würde mich töten oder so«, erzählte Leonardo und holte auch noch ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche. Er ließ es aufflammen und hielt es an die Zigarette in meinem Mund. Er brauchte zwei, drei Versuche, bis sie dann endlich brannte.

»Wow, geschafft«, spottete ich.

Er überging es einfach, hatte wahrscheinlich nicht mal gerafft, dass ich mich über ihn lustig machte. »Und du darfst ihm nichts verraten, versprochen? Ein Mann, ein Wort und so, du weißt schon.«

Die Verlierer - Könige der PlattenbautenWhere stories live. Discover now