19 | Jenseits von Moral

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Natürlich musste Federico wieder das Moralapostel spielen und mir erklären, wie falsch mein Verhalten war. Dabei erkannte er nur nicht, wie dumm es war, sich von solchen gesellschaftlichen Vorstellungen wie richtig oder falsch einschränken zu lassen.

»Jay, das ist deine Schwester! Du kannst doch nicht so kalt zu ihr sein«, nervte er rum, kaum dass ich aufgelegt hatte.

»Siehst doch, dass ich es kann.« Grinsend schob ich mir eine Gabel des fast wieder kalten Essens in den Mund. Draußen war es längst dunkel, hier drinnen brannte eine funzelige Lampe.

»Denkst du nicht, dass sie es in den letzten Tagen schon schwer genug hatte?« Federico zog seine Augenbrauen ein wenig nach oben.

Alessia griff gerade mit ihren Fingern in das Essen und ließ es auf den Boden bröseln, ihre dreckigen Finger wischte sie an Fedes Jeans ab. Er beachtete sie nicht weiter, zu sehr war seine Aufmerksamkeit auf mich gerichtet. »Du solltest für Lexie da sein! Ist doch scheiße so!«

»Verdammt, hör' auf, dich einzumischen!«, fuhr ich ihn an und beugte mich vor. Schnell streckte ich meine Hand aus, packte Federico am Kragen seines Langarmshirts. Die kleine Kröte starrte uns schockiert an, während Fede sich nichts draus machte.

»Wir lassen das Thema jetzt, verstanden?«, beschloss ich. Ratschend leierte der dünne Stoff seines billigen Shirts aus.

Fede lachte lediglich unbeirrt auf. »Mann, Jay, langsam wird's echt langweilig mit dir. Du ziehst immer die gleichen Aktionen ab.« Bestimmt griff er nach meiner Hand und schob sie weg.

Ich hätte ihm in die Fresse schlagen sollen. Ihm dieses Verhalten nicht durchgehen lassen. Ihm endlich zeigen, dass er sich das mir gegenüber nicht erlauben konnte.

Doch ich tat es nicht. Biss wütend meine Zähne aufeinander, griff nach meiner Gabel und spürte Federicos Blick auf mir ruhen, während ich die letzten Reste vom Teller kratzte.

Spätestens, als ich hinter Federico in sein Zimmer trat, hätte ich mich am liebsten wieder verpisst.

Leonardo lag Chips futternd auf seinem Bett. Als er mich entdeckte, war die Begeisterung in seinem Gesicht unübersehbar. Kurzerhand schmiss er die Tüte zur Seite, krümelte dabei alles voll und rannte mir entgegen.

»Jay! Voll cool, Mann, voll cool! Was geht?«

»Nichts«, erwiderte ich knapp und schob mich grob an Leonardo vorbei. Aus dem Fernseher klangen laute Schreie, dann das Geräusch von Kettensägen.

»Non dovresti farlo, cazzo!« Federico schnappte sich die Fernbedienung und schaltete zu irgendeiner langweiligen Castingshow um. Die schlechte Qualität ließ die hässlichen Fressen der Affen dort auch nicht schöner aussehen.

»Sei un stronzo!«, gab Leonardo eingeschnappt zurück und boxte seinen Bruder gegen den Arm. Der packte ihn kurzentschlossen und haute ihm grob die Hand in den Rücken, sodass er aufs Bett fiel.

Ich hob die Augenbrauen. Der Junge konnte brutaler sein, als man ihm zutrauen würde.

»Was?« Fede, der meinen Blick bemerkt hatte, sah mich fragend an. Ich zuckte mit den Schultern.

Mit dem Gesicht nach unten und den Füßen auf dem Boden blieb Leonardo liegen. »Ich sterbe«, murmelte er undeutlich in die Laken hinein.

»Ja, mach' mal. Viel Erfolg«, lachte ich und schmiss mich auf Fedes Bett. Die Wodkaflasche stellte ich auf dem Boden ab. »Aber gib' erst ma die Chips.«

Natürlich tat er es, während Federico damit begann, seinen Rucksack auszuräumen. Typisch. Scheiß Streber. Als er die Bücher für den nächsten Tag hineingestopft hatte, schmiss er den Rucksack in die Ecke und steuerte auf die Tür zu.

Die Verlierer - Könige der PlattenbautenWhere stories live. Discover now