10 | Respekt durch Freundschaft

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Einem Streber wie Federico hätte ich viel mehr Manieren zugetraut. Aber schon gar nicht, dass er mich einfach zur Seite stoßen und an mir vorbei in die Wohnung gehen würde.

»Was soll'n die Scheiße?« Grob packte ich ihn am Arm und zwang ihn so dazu, stehen zu bleiben. Nicht einfach in mein Zimmer zu stürmen, auf das er zugesteuert hatte.

Noch ehe er etwas erwidern konnte, mischte sich Lexie mit einem frechen Grinsen auf den Lippen ein. »Ach, jetzt weiß ich, wer du bist. Federico. Der Typ, von dem Jay ständig redet.«

Ich warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Lexie brauchte gar nicht zu glauben, dass sie sich so einen Bullshit erlauben konnte, nur weil sie zufällig mit mir verwandt war. Betont unschuldig sah sie mich an und wirkte dabei wie ein verschissenes Schulmädchen aus 'nem Hentai.

Auch wenn Federico seine Augenbrauen hob, ging er glücklicherweise nicht weiter auf das dumme Gelaber meiner Schwester ein und wandte sich mir zu. »Leonardo ist hier, oder?«

Erst jetzt bemerkte ich, wie aufgewühlt seine Stimme klang, ganz danach, als wäre etwas passiert. Interessant. Wer weiß, vielleicht könnte ich diese Situation ja noch für mich nutzen. Mich dafür rächen, dass er mich bei dem Abendessen vor ein paar Tagen lächerlich gemacht hatte.

»Komm mal wieder klar. Ich bin nicht an allem schuld, was in deinem Leben schiefläuft«, grinste ich überheblich. Ohne weiter auf mich einzugehen, hatte er sich schon mit einer schnellen Bewegung von mir losgerissen und steuerte auf die Tür am Ende des Flures zu, hinter der sich mein Zimmer befand.

Ich versetzte meiner Schwester einen groben Stoß nach hinten, sodass sie gegen die ungleich gelb gestrichene Wand stieß. »Wir reden später noch«, zischte ich und folgte Federico, der eben in mein Zimmer trat. Hektisch sah er sich um, doch als er nicht finden konnte, was er suchte, wandte er sich mir zu.

»Jetzt rück raus damit, wo ist mein Bruder?«, forderte er. Die Wut ließ seine Augen dunkler als sonst wirken.

»Ernsthaft, bis eben wusste ich nicht mal, dass was mit ihm ist. Ich hab' keine Ahnung.«

»Wenn er hier wäre, würde ich's dir sagen«, mischte sich Lexie ein, die klammheimlich hinter mir aufgetaucht war. »Allein schon, um Jay eins reinzudrücken.« Für wen hielt sich die Schlampe eigentlich? Den Hang zur Selbstüberschätzung teilten wir uns mit Sicherheit nicht.

Federico musterte erst mich, dann Lexie prüfend, dann entschied er sich offenbar dazu, mir die Sache abzukaufen.

»Verdammt!«, entfuhr es ihm. Mit hängenden Schultern ließ er sich auf mein Bett sinken, starrte erschöpft vor sich hin. »Ich hätte schwören können, dass er hier ist.«

»Hau' ab, Lexie, dich braucht hier keiner«, machte ich ihr klar, schob sie aus dem Zimmer und schlug ihr die Tür vor der Nase zu. Kaum, dass ich die Klinke in der Hand hielt, blieb Federicos Blick lauernd an mir hängen, ganz so, als hätte er Angst, dass ich ihn wieder einschließen würde. Kurz überkam mich das Gefühl von Überlegenheit. Ganz spurlos war die Sache also doch nicht an ihm vorbeigegangen.

»Was is'n überhaupt passiert?« Ich lehnte mich gegen meinen Schrank und verschränkte abwartend die Arme vor der Brust.

»Leonardo ist nicht heimgekommen. Schon gestern Abend nich'«, antwortete Federico mit abwesend klingender Stimme. Eine nachdenkliche Falte war zwischen seinen Augenbrauen aufgetaucht.

»Vielleicht bei 'nem Kumpel?«, schlug ich vor.

»Wow, Jay, so viel Intelligenz hätte ich dir ja gar nicht zugetraut.« An jedem anderen Tag hätte er wahrscheinlich spöttisch aufgelacht, doch heute beschränkte er sich darauf, die Augen zu verdrehen.

Die Verlierer - Könige der PlattenbautenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt