7 | Respektlos

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Ich tat das nicht für Federico. Nicht für Aykan.

Sondern einzig für mich.

Das machte ich mir klar, während ich meinen Blick über die unzähligen Klingelschilder gleiten ließ. In langen eintönigen Reihen waren sie neben der Haustür angebracht, rechts davon die überfüllten Briefkästen. Ziegler. Dann Coşkun. Und schließlich di Benedetto.

Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich Federico mit meinem Auftauchen ziemlich abfucken würde. Vielleicht war das der Grund für mein Zögern. Oder, weil ich keine Ahnung hatte, was ich sagen würde.

Wie auch immer.

Ich nahm einen letzten Zug meiner Zigarette, die ich auf dem Weg zu Federicos Block geraucht hatte, ehe ich sie wegschnippte. Atmete nochmal durch. Ich würde da jetzt einfach reingehen und die Sache wieder in Ordnung bringen. War doch kein großes Ding, verdammt.

Entschlossen drückte ich den abgenutzten Knopf.

»Ja, bitte?«, erklang eine Frauenstimme blechern aus der Gegensprechanlage. Der italienische Akzent war unüberhörbar.

»Ist Federico da?«, fragte ich.

Statt einer Antwort ertönte der Summer und ich schob die breite Tür auf, deren Glasscheibe ganz verschmiert war. Ein vergilbtes Papierschild war an der zerdellten Aufzugstür angebracht. Außer Betrieb verkündete es, also stieg ich die Treppen nach oben. Federico lebte im vierten Stock, das hatte ich von Maxim erfahren, der ihn Anfang des Jahres für eine Schularbeit besucht hatte.

Dort trat eben eine junge Frau aus der Brandschutztür, wie sie auf jeder Etage angebracht waren, und schlug sie mir direkt vor der Nase zu.

»Danke auch, Schlampe«, kommentierte ich und zog die Tür wieder auf.

»Führ' dich mal nicht so auf, du kleiner Pisser«, schnauzte sie mich an, woraufhin sie meinen Mittelfinger zu Gesicht bekam, ehe ich in den Flur trat und sie die Treppen hinunter stöckelte. Was für eine romantische Begegnung.

Wie auch in unserem Plattenbau war die Luft abgestanden, es roch nach Pisse und irgendwelchen orientalischen Gewürzen, überlagert von einem starken Putzmittel. Unzählige, anonyme Türen gingen von dem langen Flur ab. Die dritte auf der rechten Seite war die, hinter der Federicos Wohnung lag.

Seine Mutter öffnete mir. Sie war eine kleine, dicke Frau, die in einer potthässlichen Flatterbluse steckte, umgeben von einer erschlagenden Parfumwolke.

»Hallo ... bist du Freund von Federico?«, fragte sie mich und blieb im Türrahmen stehen. Die dunkelbraunen Haare hatte sie im Nacken zusammengebunden.

Ich nickte. »Wir kennen uns aus der Schule. Kann ich reinkommen?«

Federicos Mutter trat zur Seite und ließ mich in den schmalen Wohnungsflur durch. Auf ihren Lippen lag ein freundliches Lächeln, doch ihre strengen Gesichtszüge konnte es nicht verdecken. Ich war mir sicher, dass sie zu jenen Müttern gehörte, die auf die verfickten Zeugnisse ihrer Kinder masturbierten.

»Da ist seine Zimmer«, erklärte sie dann und deutete auf eine der braunen Türen aus billigem Sperrholz, ehe sie in einem anderen Raum verschwand.

Ich klopfte, dann trat ich ein. Das Zimmer war ziemlich klein, kleiner als mein eigenes, und es herrschte ein verdammtes Chaos, das ich Federico nicht zugetraut hätte.

»Hey«, meinte ich. Abwartend blieb ich im Türrahmen stehen und vergrub die Hände in den Taschen meiner grauen Jogginghose.

Federico saß auf einem der beiden Betten. Er hob seinen Blick von dem Buch, das in seinem Schoß lag. »Was für'n hoher Besuch, ich fühl' mich ja schon fast geehrt«, grinste er.

Die Verlierer - Könige der PlattenbautenWhere stories live. Discover now